„Eigengemachtes Problem“

von Redaktion

Eine Quereinsteigerin berichtet von ihren Erfahrungen als „pädagogische Hilfskraft“

Aschau/Bernau – Was der viel diskutierte Fachkräftemangel im Alltag wirklich bedeutet, das könnten vielleicht bald zahlreiche Familien in Aschau im Chiemgau erleben. Bereits im Herbst 2023 musste eine Krippengruppe im Kindergarten St.Marien schließen. Eine Wiedereröffnung wäre nur mit einer Fachkraft und einer Ergänzungskraft möglich. Ebenfalls in Schieflage geraten ist die Kindertagesstätte Spatzennest, wo ab Herbst 2024 eine Kindergartengruppe von der Schließung bedroht ist, da die Berufspraktikantenstellen nicht besetzt werden können. Und lässt sich bis zum Herbst keine neue Leitung für den Sachranger Kindergarten St. Michael finden, könnte es auch das Aus für die Betreuung von weiteren 25 Kindern sein.

„Ignoriert und
belächelt“

Für Edina Irlbauer (50) aus Bernau ist es ein „eigengemachtes Problem“: „Die Einrichtungen sind selbst schuld“, sagt sie. Sie ist als „pädagogische Hilfskraft“ in der kommunalen Kindertagesstätte Kinderhaus Eichet in Bernau angestellt – in Vollzeit und unbefristet. „Ich konnte schon immer gut mit Kindern.“ Wie sie sagt, mögen sie auch ihre Schützlinge. Deswegen könne sie sehr gute Arbeitszeugnisse vorlegen. Doch um diese zu bekommen, habe sie immer kämpfen müssen. Denn in ihrem Alter will sie keine Weiterbildung mehr absolvieren. In Bernau hätte sie sich in der Vergangenheit bereits mehrfach erfolglos beworben, bis sie 2022 „aus der Not heraus“ eingeladen und anschließend angestellt worden sei.

Denn Irlbauer ist Quereinsteigerin – ohne pädagogische Zusatzausbildung. Die gelernte Friseurin hat auch schon den Quereinstieg in einer Arztpraxis sowie in ein Büro geschafft. Im Bereich Kinderbetreuung sei es ihr „schwer gemacht“ worden. „Ich war hartnäckig und habe mich immer wieder beworben“, erläutert Irlbauer. In Prien, Frasdorf, Bernau und Aschau, wo sie damals gewohnt hat. Allerdings sei sie „wegignoriert und belächelt“ worden, so sagt sie.

Erstmals in einer Krippe gearbeitet hat sie aufgrund angespannter Personalsituation 2013 in Erding. Es folgten weitere Anstellungen in Forstern sowie in Prien. Da sie kein Auto hat und pendeln musste, wollte sie nach Aschau wechseln. Jedoch ohne Erfolg. „Als ich die Meldungen über die Personalsituation gehört habe, musste ich schon etwas schmunzeln“, so Irlbauer.

Doch mit Quereinsteigern ist das Personalproblem, wie es in Aschau derzeit besteht, nicht zu lösen, erklärt Simone Tewes, Verwaltungsleiterin des Kita-Verbundes Chiemsee. Zum einen müsse ein Fachkräfteschlüssel erfüllt sein. Zum anderen sei die Anstellung von unausgebildetem Zusatzpersonal eine Frage der Finanzierung. „Quereinsteiger ohne pädagogische Zusatzausbildung müssen aus eigener Tasche finanziert werden. Da sie reine Betreuungspersonen sind, muss man sich die Frage stellen, ob man diese wirklich braucht“, so Tewes.

Laut Auskunft des bayerischen Sozialministeriums kann der Träger einer Kindertageseinrichtung frei entscheiden, welches Personal mit welchen Qualifikationen er beschäftigt. „Einschränkungen ergeben sich aber aufgrund der erforderlichen Betriebserlaubnis sowie einer finanziellen Förderung nach Maßgabe des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG)“, heißt es auf Anfrage des OVB.

Da Kitas Bildungseinrichtungen seien, setze die Erfüllung des Bildungsauftrags den Einsatz von pädagogischem Personal voraus. So lege die gesetzliche Regelung fest, dass mindestens 50 Prozent der erforderlichen Arbeitszeit von pädagogischen Fachkräften geleistet werden.

Im Fall von Edina Irlbauer sei also denkbar, dass die Kita den Anstellungsschlüssel und die Fachkraftquote mit dem vorhandenen pädagogischen Personal erfüllt und die Hilfskraft daher zusätzlich eingestellt habe. „Grundsätzlich ist der Einsatz von zusätzlichem Personal (über den Anstellungsschlüssel und die Fachkraftquote hinaus) zu befürworten, um das vorhandene pädagogische Personal zu entlasten“, so die Ministeriumssprecherin.

Hoffen auf
Bewerbungen

Auch Simone Tewes ist der Anstellung von Quereinsteigern ohne Zusatzqualifikation grundsätzlich nicht abgeneigt. „Als zusätzliches Betreuungspersonal sind sie sehr wertvoll“. In den Einrichtungen des Verbundes seien vier Quereinsteiger ohne Ausbildung beschäftigt, befänden sich in Weiterbildung oder würden eine anstreben. Mit dem Einsatz von Quereinsteigern ließe sich das Problem in Aschau jedoch nicht lösen: „Wir benötigen pädagogische Fachkräfte, um die Gruppe aufrecht erhalten zu können“, sagt Tewes. „Deswegen können wir nur weiter auf Bewerbungen hoffen.“

Artikel 1 von 11