Stephanskirchen – Dicke graue Wolken ziehen über den Himmel, der Wald liegt im Halbdunkeln. Bei dem Wetter sind nur wenige Menschen am südlichen Ufer des Simssees unterwegs. Am Waldrand regt sich jedoch etwas. Eine Familie tummelt sich dort, die Augen der Kinder sind weit aufgerissen. „Da ist wieder etwas Neues“, sagt Paula (6) zu ihrer Mama Elisabeth Gürtler. Sie wohnen unweit von dort entfernt in Baierbach. Seit November kommen sie mehrmals pro Woche in den Wald und beobachten, wie das Dorf aus Holz, Moos und Tannenzapfen immer weiter wächst.
Kleine Wesen
mit Glitzerflügeln
„Wir vermuten, dass es Feen und Elfen sind, die hier leben“, sagt Elisabeth Gürtler. Wie viele es seien, wüssten sie jedoch nicht. Sie leben im Verborgenen und verstecken sich im dichten Moos des Waldes, Menschen können sie mit bloßem Auge nicht sehen. Wie sie aussehen, davon haben Paula und ihr Bruder Jakob (4) aber eine ganz genaue Vorstellung: „Sie sind ganz klein und haben bunte Glitzerflügel“, sagt Jakob. „Und sie sind unsichtbar.“ Deswegen hat noch niemand eines der Fabelwesen gesehen. Denn sie haben Angst vor den Menschen, da sind sich die Kinder sicher. „Ich glaube, sie tragen auch Kleidung aus Moos und Blättern“, sagt Paula. So sind sie auch gut getarnt.
Alles begann im November, am sechsten Geburtstag von Paula. Da sei plötzlich ein Brief vor der Tür gelesen. „Der erste Schnee hat die Häuser der Elfen zerstört. Sie brauchten unsere Hilfe“, erklärt die Sechsjährige. Weil die Elfenstadt inzwischen jedoch so stark gewachsen ist, sei vor Kurzem ein zweiter Brief gekommen mit der Bitte die Siedlung umzuziehen. Denn inzwischen müssen sich dort auch andere Waldgeschöpfe eingerichtet haben. „Wir entdecken immer wieder neue Häuslein, die nicht von unseren Elfen sind“, sagt Mama Elisabeth mit einem Augenzwinkern.
Dass die Familie die Waldbewohner unterstützt, erregt viel Aufmerksamkeit. Eine ältere Dame habe neulich etwas für das fantastische Dorf gebastelt und vorbeigebracht. Auch zahlreichen anderen Kindern, die dort vorbeikommen, zaubert das Elfendorf ein Lächeln ins Gesicht, berichtet Gürtler. Doch die Resonanz ist nicht nur positiv – es gibt auch kritische Stimmen.
Wilhelm Huber, Eigentümer des Waldgrundstücks, auf dem das Feen-Dorf steht, und des Gasthauses Gocklwirt, ist zwiegespalten ob der Aktion. „Auf der einen Seite finde ich es sehr schön, dass die Kinder sich draußen in der Natur bewegen und ihre Fantasie ausleben, statt daheim vor der Spielekonsole zu sitzen“, sagt er. „Andererseits muss man sich bewusst machen, dass der Wald kein Abenteuerspielplatz ist, sondern das Wohnzimmer der Tiere.“ Deswegen sei es sehr wichtig, dass Schaulustige auf den Wegen bleiben und sich respektvoll und verantwortungsbewusst in der Natur bewegen.
Denn in der jüngsten Vergangenheit hätte er auch negative Beobachtungen im Wald gemacht, die nichts mit der Familie Gürtler zu tun haben, betont er. So sei an einer anderen Stelle ein Christbaum mit Glaskugeln dekoriert worden. Die Kugeln blieben dort hängen, bis Gäste von Huber vor Kurzem beim Spazierengehen entdeckt hatten, dass der gesamte Weihnachtsschmuck zerstört wurde. „Wir haben dann sämtliche Glassplitter vom Boden aufsammeln müssen, damit sich Tiere daran nicht verletzen.
Waldbesitzer
ruft zur Vernunft auf
Ihm sei daher besonders wichtig, dass die Feen und Wichtel nur natürliche Materialien verwenden und keine Plastikteile in den Wald bringen. „Es gibt Vogelarten, die diese mitnehmen, sie in die Nester schleppen und sich im schlimmsten Fall sogar daran verschlucken können“, mahnt Huber. Auch Moos oder andere Pflanzen auszureißen, um sie für das Feen-Dorf zu verwenden, betrachtet er kritisch. Man dürfe nicht vergessen, dass es sich rund um den Simssee um ein Naturschutzgebiet handle.
Die Familie Gürtler unterstützt ihn deswegen auch mit dem Ordnung halten im Wald: „Wir sammeln Müll auf und halten Ordnung“, sagt Elisabeth Gürtler. Wie Huber sagt, habe die Mutter auch ihm angekündigt, dass die Feen und Wichtel umziehen wollen.
„Wegen mir dürfen die Feen dort bleiben“, sagt Huber. „Ein verantwortungsbewusster Umgang und respektvolles Verhalten im Wald liegen mir am Herzen.“ Diesen Appell richte er an alle, die das Elfendorf bestaunen oder beschenken, an die Elfen, Feen und Wichtel selbst und auch an jeden, der sich im Wald bewegt.