„Ich hatte riesiges Glück“

von Redaktion

Im September 2020 platzt ein Aneurysma im Kopf von Christine Prexl aus Schnaitsee. Die Hirnblutung überlebt sie nur knapp – und kämpft sich ins Leben zurück. Eine Geschichte darüber, wie nah Leben und Tod beieinander sind.

Schnaitsee – Leben und Tod liegen manchmal nah beieinander. Wie nah, das weiß Christine Prexl aus Schnaitsee. An dem einem Tag war die 54-Jährige noch ausgelassen feiern, fünf Tage später befand sie sich im Koma, mit einer unklaren Prognose. Über ihr Schicksal redet Prexl ohne zu zögern, auch wenn es ihr etwas unangenehm ist, mit der Redaktion darüber zu sprechen. Sie möchte sich nicht „in den Vordergrund drängen“, sagt sie. „Zahlreiche Menschen haben ein Aneurysma, bei so vielen ist es schon geplatzt. Ich bin doch nur eine davon“, sagt sie. Doch sie ringt sich durch, ihre Geschichte dennoch öffentlich zu machen.

Typische
Migränepatientin

Irgendwie sei es ja doch etwas Besonderes. „Ich hatte riesiges Glück, zu überleben“, sagt sie, „und riesiges Glück, dass es mir heute so gut geht.“ Ein paar Mal muss sie schlucken, ein paar Mal fängt ihre Stimme leicht an zu zittern, während sie von den Geschehnissen erzählt. Sonst merkt man ihr nicht an, dass sie im September 2020 dem Tod näher war als dem Leben. „Mein ganzes Leben lang hatte ich mit Kopfschmerzen zu kämpfen“, erzählt Prexl. Sie bezeichnet sich zwar nicht als „die typische Migräne-Patientin, denen es zum Teil viel schlechter geht“, aber etwa dreimal im Monat habe sie Tabletten gegen die Schmerzen nehmen müssen.

Auch in der zweiten September-Woche 2020 dachte Prexl deshalb an eine übliche Migräne-Attacke, als sie tagelang schreckliche Kopfschmerzen plagten. „Wir hatten gerade die ersten Corona-Lockerungen“, erinnert sie sich. Eine Freundin hatte Prexl zur Gartenparty bei sich zu Hause eingeladen, der 40. Geburtstag sollte ausgelassen gefeiert werden. Eine „wilde Feier“, sagt Prexl mit einem Schmunzeln. Am nächsten Tag geht es der zweifachen Mutter schlecht. Sie nimmt Tabletten, verbringt den Sonntag auf dem Sofa, doch es wird nicht besser.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch schließlich, dem 8. und 9. September, passiert es. Prexl selbst kann sich nicht an die Geschehnisse erinnern. Von ihrem Mann weiß sie, sie muss aufgewacht sein und muss ihm wohl gesagt haben, dass es ihr sehr schlecht gehe. Er reagiert geistesgegenwärtig und wählt den Notruf. Prexl wird umgehend ins Klinikum Traunstein verbracht. Diagnose: Hirnblutung – ein Aneurysma, eine Art beerenförmige Ausbuchtung an einer Schlagader im Gehirn, ist geplatzt.

Bis zum Sonntag, also vier Tage, wird Prexl im Koma liegen. Das Klinikpersonal, das wird die Schnaitseerin im Nachhinein erfahren, hat im Grunde wenig Hoffnung, dass die 54-Jährige die Blutung überlebt und wenn, dann nicht unbeschadet. „Es war ein sehr großes Aneurysma mit sehr viel Blut“, erzählt Prexl. Denn im Gegensatz zu den meisten Blutgerinnseln im Hirn sitzt Prexls Aneurysma an einem Zweig von zwei Arterien, wird also von zwei Schlagadern gespeist. Ein bleibender Hirnschaden scheint für die Fachleute wahrscheinlich.

Mittels eines Verfahrens namens „Coiling“ wird Prexls geplatztes Aneurysma behandelt. Bei dieser Operation wird ein dünner Schlauch über die Leiste bis ins Gehirn geführt, anschließend werden dünne Platindrähte in die Ausbuchtung abgelassen. Diese Drähte „coilen“ sich anschließend, wickeln sich also auf und füllen den Hohlraum so aus, sodass kein weiteres Blut eindringen kann.

Am Montag erwacht Prexl dann aus dem Koma und ist völlig orientierungslos. „Ich wusste überhaupt nicht, was passiert ist“, sagt sie. In den ersten Tagen habe sie dem Pflegepersonal gar nicht geglaubt, dass sie auf der Intensivstation liegt. „Ich habe mich überhaupt nicht an die Anweisungen gehalten. Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Alle wollten, dass ich still liegen bleibe. An die Anweisungen habe ich mich nicht gehalten“, erzählt sie. „Da merkt man, wie viel Schaden das Hirn von so etwas nimmt.“ Eine Pflegerin, zu der Prexl Vertrauen fasst, kann sie schließlich davon überzeugen.

Heute gehe es ihr gut, sagt Prexl. Etwa alle sechs Monate fahre sie in die Uniklinik Stuttgart, um das Aneurysma überprüfen zu lassen, denn eine der Arterien blute weiterhin leicht ein. „Aber bislang sieht alles gut aus.“ Außerdem ist in ihrem Schädel ein „Shunt“ eingesetzt, denn das Hirnwasser in Prexls Kopf kann dort nicht mehr abgebaut werden. „Es ist, als ob der Kanal dort oben durch das ganze Blut verstopft ist“, erzählt sie. Über einen Schlauch im Körper werde das Hirnwasser in ihre Bauchregion abgeführt, wo es zersetzt werde. Prexl merkt davon kaum etwas. „Einen Kopfstand würde ich aber nicht machen“, sagt sie mit einem Schmunzeln, denn dann merke sie, wie der Hirndruck steige. „Sonst habe ich aber keine Symptome.“ Auch die Kopfschmerzen, die sie seit ihrem Teenager-Alter geplagt haben, seien verschwunden.

Entspannung
ist angesagt

„Obwohl die Ärzte sagen, das hat gar nichts damit zu tun“, erzählt sie. Genau wie die Kopfschmerzen kurz vor dem Platzen des Aneurysmas. „Laut Ärzten würde sich ein platzendes Aneurysma nicht mit tagelangen Kopfschmerzen ankündigen. Ein Aneurysma platzt spontan und ohne Vorankündigung“, sagt sie. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihnen das glauben soll.“

Fest steht: Das Leben sei inzwischen in seine gewohnten Bahnen zurückgekehrt und trotzdem sagt Prexl von sich selbst: „Diese Nacht im September hat mich verändert.“ Ihre Prioritäten hätten sich verschoben.

„Es muss nicht mehr alles so perfekt sein.“ Die Schnaitseerin ist heute entspannter, verbringt auch mal einen Nachmittag auf der Couch. Sie genießt das Leben mehr. Logisch, weiß sie doch aus eigener Erfahrung, wie schnell es vorbei sein kann.

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