Flintsbach – Film ab für den Brenner-Nordzulauf: Die Deutsche Bahn präsentiert eine der künftig schönsten Bahnstrecken Deutschlands – mit Blick auf Wiesen, Wälder, Berge und Seen, auf Dörfer und Bauernhöfe. Die Landschaft stressfrei genießen. Mit der Bahn wird eine Reise durchs Inntal wirklich entschleunigend. Könnte man meinen. Die Menschen entlang der Strecke allerdings brachte die Videosimulation der Deutschen Bahn auf die Palme. Und das nicht ohne Grund.
Bauzeit wird
ausgeblendet
Die Vorplanungen der Deutschen Bahn für den Brenner-Nordzulauf sind abgeschlossen. Im Moment ist das Projektteam um Matthias Neumair auf Tour durch die Gemeinden und stellt sich den Fragen der Bürger – so auch in der Gemeinde Flintsbach. In der Fischbacher Turnhalle läuft ein Video in Endlosschleife. Die Zukunft zwischen Gletschergarten und Kirnstein sieht toll aus. Völlig ausgeblendet hat die Bahn auf ihrer „Promotion-Tour“, wie die Flintsbacher kritisierten, allerdings die Zeit des Baus. Und die wird, so befürchten sie, eine ganze Generation aus dem Inntal vertreiben.
Für zehn bis 15 Jahre verwandeln sich die Innauen in eine riesige Baustelle. 40 Hektar – das sind 56 Fußballplätze – werden für den Brenner-Nordzulauf gebraucht. Aus dem Sattelbergtunnel kommend soll die Trasse am Fischbacher Gletschergarten auftauchen, im offenen Trog gebaut, bei Fertigstellung mit einem Deckel versehen werden und parallel zur Autobahn bis zum Campingplatz führen. Dort beginnt die oberirdische Verknüpfungsstelle Kirnstein, die auf zwei Kilometern bis zum Schindelberger See in Niederaudorf führt, wo sie wieder in einen gedeckelten Trog abtaucht.
Die bestehende Bahnstrecke wird von Laar aus zur Neubau-Hochgeschwindigkeitsstrecke an der Autobahn geführt. Dafür muss der Einödbach überquert und während der Bauzeit verlegt werden.
Hinzu kommt mit der Baustelleneinrichtung eine gewaltige „vorübergehende Beanspruchung“: Auf 26 Hektar – entspricht 36,5 Fußballplätzen – sollen Zwischenlager für Abraum und Material, Container und Parkplätze, Werkstätten, Betonmischanlagen und Aufbereitungsanlagen Platz finden. Weitere 13 Hektar – oder 18 Fußballplätze – sind für einen Verladebahnhof geplant. In der DB-Sprechstunde in Fischbach ist für diesen Teil des Projektes nur wenig Platz. Doch die Menschen an der Strecke wollen wissen, wie es weitergeht, wie sie die Baujahre überleben sollen.
Emotional, aber sachlich fragen sie nach: „Dass hier zehn bis 15 Jahre lang eine Baustelle ist und mit den Planungen Existenzen zerstört werden, müsst ihr schon auch ehrlich sagen“, kritisiert Benno Schmid vom Kirnstoaner Hof, dessen Flächen für den Verladebahnhof gebraucht werden. „Wir zeigen das, was wir in dieser frühen Planungsphase zeigen können – und das ist die Bahnanlage“, erklärt Projektabschnittsleiter Manuel Gotthalmseder.
Erst wenn der Bundestag dem Brenner-Nordzulauf seinen Segen gegeben hat, gehen die Planungen ins Detail. Dann werden die Flächen über eine Vegetationsperiode genau kartiert, finden weitere Baugrunduntersuchungen statt, werden Vorgespräche mit den Grundstückeigentümern geführt. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens – voraussichtlich 2028 – finden die Verhandlungen zum Grunderwerb für die Trasse und die vorübergehende Miete der Flächen für die Nebeneinrichtungen statt.
Dass sie von Baustelleneinrichtungen eingekesselt sein werden, lesen die Einwohner von Einöden schon jetzt aus den Plänen der Deutschen Bahn. Auch wenn mit ihnen noch keine „grundstücksscharfen“ Gespräche geführt wurden, sehen sie, dass ihre Wiesen und Felder für Baustelleneinrichtungen gebraucht werden. Auf die Frage, ob unmittelbar an der Wohnbebauung nicht die Bürocontainer geplant werden könnten, um die Menschen zu schützen, lässt sich der Projektleiter nicht ein. „Eine Bausimulation wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Spekulation.“ Erst nach der genauen Kartierung sei klar, was in welchem Bereich möglich sei.
Gibt es Lösungen
für Härtefälle?
Im Logistikkonzept sollen auch Härtefälle berücksichtigt werden. „Im Zuge des Baurechtsverfahrens müssen wir besonders Betroffene mit unterstützen und Lösungen finden, wie beispielsweise ein Landwirt weitermachen und die Bauzeit überbrücken kann“, sagt Projektleiter Matthias Neumair. Gleichzeitig erinnert er daran, dass auch Landwirtschaftsamt und Bauernverband helfen und frei werdende landwirtschaftliche Flächen anbieten müssten.
Die Einwohner von Einöden sind empört über die „schönen Fotos“. Die Bauzeit und deren Belastung für die Menschen derart auszublenden, empfinden sie als „eine Frechheit“ und ringen auch in der DB-Sprechstunde weiter um ihre Zukunft. Warum ihre landwirtschaftlichen Flächen und nicht der Staatsforst für die Baustelleneinrichtung genutzt werden, wollen sie wissen. „Eine Waldrodung für einen temporären Eingriff ist nicht genehmigungsfähig“, erklärt Gotthalmseder. Er erläutert, wie 80 Kubikmeter Abraum pro Tag aus den Tunnelbohrungen über Förderbänder nach draußen transportiert, beprobt und weggefahren werden. Hoffentlich nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnbebauung? Auch darauf gibt es noch keine Antwort.
Mehr als 200 Interessierte kommen in die Sprechstunde. Auch Bürgermeister Stefan Lederwascher ist vor Ort. Er bleibt dabei: „Die Verknüpfungsstelle muss in den Berg.“ Allerdings hat sich die Hoffnung der zehn Inntalgemeinden und der Bürgerinitiative Inntal 2040, dass die Deutsche Bahn das Ergebnis ihrer Studie in die Planungen einbeziehen würde, längst zerschlagen: „Die Bahn weigert sich, und das Bundesverkehrsministerium duckt sich komplett weg“, schimpft der Bürgermeister.
Antworten aus erster Hand hatte sich Lederwascher für die Bürger seiner Gemeinde gewünscht. Doch die verlassen die Veranstaltung mit dem Gefühl, dass sie sich diesen Termin hätten sparen können. Vor der Tür steht das Bürgerforum Inntal – mit Antworten und Alternativkonzepten.