Stephanskirchen – „Dafür, dass Stephanskirchen zu den weniger stark betroffenen Gemeinden zählt, ist überraschend viel los“, sagt Matthias Neumaier, Projektleiter für den Brenner-Nordzulauf. Die seiner Ansicht nach geringere Betroffenheit führt er auf die Tatsache zurück, dass ein Großteil der Trasse unterirdisch verläuft. Für die Stephanskirchener Bürger, die am Montag zur Brenner-Sprechstunde in die Otfried-Preußler-Schule kamen, ein schwaches Argument. Sie sehen das ganz anders. Von „hirnloser Aktion“ bis „unnötig großer Eingriff in die Natur“ war allerlei Kritik dabei. „Das ist Wahnsinn“, sagt ein Mann vor sich hin und schüttelt den Kopf.
Bauphase macht
Anwohnern Sorgen
Auf großen Bildschirmen laufen Animationen, die zeigen, wo später einmal Güter- und Fernverkehrszüge mit bis zu 230 Kilometern pro Stunde fahren: Ein voll beladener Güterzug fährt durch die grüne Landschaft. Er rollt über die Brücke am Inn und verschwindet im Tunnel – durch das neue Portal in Innleiten. Ein Katzensprung davon entfernt befindet sich das Gillitzer-Schlösschen.
Manuel Gotthalmseder steht am Bildschirm und erklärt den Bürgern, was sie sehen. „Diese Variante ist aus unserer Sicht die beste genehmigungsfähige Variante“, sagt er. Die parlamentarische Entscheidung stehe aber noch aus. Daher könne noch nicht im Detail gesagt werden, wie die endgültige Planung aussehen wird.
Mit vielen Fragezeichen bleiben Bettina und Wolfgang Weber aus Innleiten zurück. Sie wohnen rund 100 Meter entfernt vom geplanten Tunnelportal. Große Sorgen bereitet ihnen vor allem die Bauphase. „Dass außerdem die Zufahrtsstraße für die Autos verlegt werden muss, haben wir nicht kommen sehen“, sagt Bettina Weber. Das Ehepaar befürchtet dadurch eine noch größere Lärm- und Verkehrsbelastung. „Jetzt ist da nur Wald.“ Sie verstehen den Grundgedanken, den Güterverkehr auf die Schiene zu bringen, bezweifeln aber die Notwendigkeit der Neubaustrecke. „Warum reicht die Bestandsstrecke nicht?“
Kritik gibt es auch an der Art, wie die Bahn ihre Pläne präsentiert. „Alles ist so schön grün und ringsherum stehen Bäume“, sagt Markus Thanner, ebenfalls aus Innleiten. Die Darstellung sei fernab jeglicher Realität. Denn während der Bauzeit von rund zehn Jahren – Stand jetzt – dürfte es weitaus weniger einladend aussehen. Auch der Lärmpegel bereitet ihm Sorgen. Auf diese Fragen versucht Matthias Neumaier eine Antwort zu geben. „Die Regelung bei Neugleisen besagt, dass es zu keiner Verschlechterung im Vergleich zum jetzigen Zustand kommen darf. Es gibt entsprechende Schallschutzmaßnahmen“, sagt er. Dies müssten unabhängige Gutachter klären.
Und auch für die Bauzeit werden Geräuschpegel antizipiert, welche dann zeitlich begrenzt werden müssen. Sprich, dass Ruhephasen eingehalten werden müssen. Auch gegen den sogenannten Tunnelknall, der entsteht, wenn ein Zug mit hoher Geschwindigkeit in den Tunnel einfährt, gibt es verschiedene Schallschutzmaßnahmen. Diese könnten laut Neumaier aber erst ergriffen werden, wenn der Betrieb läuft. Bei den Bürgern machen sich zweifelnde Blicke breit.
Martin und Judith Thanner betreiben in Innleiten eine Fischzucht. 2010 haben sie dort ihr Eigenheim errichtet. „Wir haben so gebaut, um dort alt zu werden“, sagt Judith Thanner. Auch die vier Kinder sollen einmal etwas davon haben. Grund abgeben müssen sie laut jetzigem Planungsstand nicht. Die Baustelle geht jedoch bis zur Grundstücksgrenze. Die Fischzucht sei ein Nebenerwerb, die Einnahmen daraus zum Einkommen fest einkalkuliert. „Weiterhin offene Themen sind aber auch die Zufahrtsstraße sowie der Rettungsweg“, sagt Martin Thanner.
Zu den zentralen Bedenken der Bürger zählt auch die Frage nach dem Wasser. Zum einen besteht die Sorge um die St.-Leonhards-Quelle. Zum anderen aber auch die Sorge um eine Verunreinigung des Grundwassers. „Um Erkenntnisse zu sammeln, wollten wir Erkundungsbohrungen vornehmen, was allerdings nicht möglich war“, erklärt Manuel Gotthalmseder. Denn bis auf zwei Bohrungen am Inn und an der Sims, die die Gemeinde nicht vereiteln konnte, haben die Stephanskirchener weitere Bohrungen mittels Klage verhindern können.
„An diesem Vorgehen halten wir auch weiterhin fest“, sagt Bürgermeister Karl Mair. Immerhin sei der Tunnel 400 Meter Richtung Süden und damit weg vom Trinkwasserbrunnen im Ödenwald versetzt worden. Dennoch bleibe die Frage nach unterirdischen Grundwasserströmen ungeklärt. „Wir sind weiterhin mit einer Anwaltskanzlei im Austausch. Jetzt geht es darum, zu beobachten, Betroffenheiten zu sammeln und uns mit Argumenten zu rüsten“, so der Bürgermeister.
Nicht zu vergessen sind auch die Zwischenlager in Eitzing und Krottenhausmühle sowie der Verladebahnhof am Südende des Simssees. Die Angst, eine Großbaustelle vor der Tür zu haben, über mindestens zehn Jahre, bewegt viele. Lärm, Zerstörung der Natur und Feinstaub. Auf die Fragen zum Arten- und Naturschutz antworten die Planer der Bahn mit Ausgleichsflächen. Auf die Sorgen der Landwirte, die ihre Felder verlieren, entgegnen sie mit Entschädigungen. „Das Abtreten der Grundstücke wäre teilweise auch auf die Bauzeit beschränkt“, versucht Gotthalmseder zu beschwichtigen. Ob der Boden nach zehn bis 15 Jahren dann noch landwirtschaftlich genutzt werden kann? Für die Bürger fraglich.
Während laut Auskunft der Bahn rund 350 Stephanskirchener in die Aula der Otfried-Preußler-Schule strömen, informiert die Bürgerinitiative draußen über ihre Standpunkte. „Hier wird die Planung aus Ingenieurssicht dargestellt“, sagt Dr. Ben Warkentin. Er vermisst jemanden, der Rede und Antwort steht, zu den Fragen, die die Bürger wirklich umtreiben. Es werde kaum auf die Bauphase eingegangen. Wann, wo und wem eine Enteignung drohen könnte, könne auch niemand sagen.
Viele Fragen bleiben unbeantwortet
Auch die sozialen Fragen, die mit einer solchen Großbaustelle einhergehen, würden vollkommen ignoriert, sagt er. „Wo sollen die Bauarbeiter unterkommen? Was ist mit deren Familien, und wie lassen sie sich in die Dorfgemeinschaft integrieren?“ In anderen Gemeinden hätten ähnliche Großbauprojekte zur Spaltung der Gemeinschaft geführt. Gleiches befürchtet Warkentin für die Gemeinden im Landkreis, wenn diese Aspekte nicht berücksichtigt werden.
Auf eine E-Mail mit unbeantworteten Fragen aus dem Forum von Dezember vergangenen Jahres hat Warkentin noch immer keine Antwort erhalten. „Es kam nicht einmal eine Eingangsbestätigung.“ Bei der Sprechstunde habe er keine Antworten erhalten. Für konkrete Informationen fehlt der parlamentarische Beschluss: Diese Antwort hört man bei der Sprechstunde von jedem der Planer mehr als einmal.