Wasserburg/Landkreis – Als Jasmin, fremd frei-reisende Zimmerin, am Ufer des Inns in Wasserburg saß, sei fast jede Person stehen geblieben und habe mit ihr ein Gespräch begonnen, erzählt sie. Denn mit ihrem Outfit fällt sie auf. Die 29-Jährige trägt einen schwarzen Hut, ein weißes Hemd, eine schwarze Weste mit Jackett und eine Hose aus Cord. In der Hand hält sie einen Stock aus Holz, auf der Schulter trägt sie ihre selbst gebundene Tasche. Sie trägt die traditionelle Kluft für Handwerker auf der Walz.
Drei Jahre
und einen Tag
Jasmin befindet sich gerade auf einer Reise. Eine Reise, die ihr zufolge mindestens drei Jahre und einen Tag dauern muss. Die gelernte Zimmerin hat nur das Nötigste bei sich. Ohne Handy, nur mit einer Deutschlandkarte, einem Tagebuch und einem Wanderbuch, in das sie im Rathaus einer jeden Stadt einen Stempel eintragen lässt, ist sie unterwegs. Ihre Reise hat am 9. März in Hamburg begonnen. Nun führte ihr Weg die 29-Jährige auch nach Wasserburg. „Mir wurde gesagt, die Stadt sei sehr schön. Und das ist sie auch“, sagt sie.
Jasmin bezeichnet sich als „fremd frei-reisende Zimmerin“. Da sie nicht zu Hause ist, gilt sie gerade als „fremd“. „Frei-reisend“ bedeutet, dass sie keinem speziellen Schacht zugeordnet ist. Schächte im Handwerk seien ähnlich wie Studentenverbindungen an der Uni organisiert, erklärt die Zimmerin. Früher war die Wanderschaft als Handwerksgeselle Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterschule. Durch das Wandern sollten Gesellen andere Orte sehen, Lebenserfahrung sammeln und Methoden von anderen Handwerkern lernen. Heute ist die Wanderschaft nicht mehr verpflichtend. Jasmin schätzt, dass „ein paar Hundert“ Gesellen aus Deutschland dennoch derzeit auf der Walz seien, sagt die 29-Jährige.
Normalerweise würden Gesellen meist kurz nach ihrer Ausbildung, in ihren frühen Zwanzigern, auf Wanderschaft gehen. Manche würden sich jedoch auch erst mit Ende zwanzig auf den Weg machen, so wie sie, erklärt Jasmin. Sie wuchs in Hamburg auf und entschied sich nach einem Praktikum für die Ausbildung zur Zimmerin. Gelernt habe sie in der Nähe von Berlin und arbeite seit etwa neun Jahren als Zimmerei-Gesellin, sagt sie.
Auf die Idee, auf Wanderschaft zu gehen, sei die Handwerkerin auf einer Sommerbaustelle gekommen. Zu den solidarischen Projekten würden meist reisende Handwerker kommen und auch diejenigen, die sich für die Walz interessieren würden, erklärt Jasmin. „Dort habe ich mit vier weiteren Flinta-Personen an einer Dachbaustelle gearbeitet. Da war ich glücklich“, erinnert sie sich. (Anmerkung der Redaktion: Flinta steht für Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Nichtbinäre, Trans-Menschen und agender Personen.)
Auf einer Sommerbaustelle lernte Jasmin ihre Altgesellin kennen, die sie auf die Walz vorbereitet hat, erzählt die 29-Jährige. Jasmin kündigte ihren damaligen Job, ihre Wohnung und ihr Ehrenamt. „Wenn man etwas aufhört oder absagt, hat man immer Zweifel“, sagt sie. Aber die letzten Wochen bis zum Start der Wanderschaft, seien auch schön gewesen. „Ich habe mich auch total auf die Reise gefreut“, erzählt Jasmin.
Zum Start der Walz hat Jasmin eine Abschiedsfeier organisiert, bei der sie ihre Kluft bekam. Nachdem sie sich bei ihrer Familie verabschiedet habe, seien sie, ihre Altgesellin und weitere Handwerker zur Stadtgrenze gegangen. „Sobald man das Ortsschild hinter sich hat, darf man sich nicht mehr umdrehen“, erklärt Jasmin. Die Gruppe sei anschließend innerhalb einer Woche 50 Kilometer zu Fuß gegangen – bis zur sogenannten Bannmeile. „Dort wurde ich noch einmal gefragt, ob ich mir sicher sei, auf Wanderschaft gehen zu wollen – und das war ich“, sagt die Zimmerin. Während ihrer Wanderschaft darf sie sich ihrem Stadtort nicht näher als 50 Kilometer nähern. Ihre Familie trifft sie in anderen Orten, erklärt Jasmin.
Unterstützung
von Altgesellin
Die ersten Wochen sei sie noch mit ihrer Altgesellin als Unterstützung gereist. Als die 29-Jährige bereit dazu gewesen wäre, sich alleine auf den Weg zu machen, habe Jasmin ein Ohrloch von ihrer Altgesellin gestochen bekommen, sagt die Zimmerin. Darin trägt sie einen silbernen Ohrring. „Früher war der Ohrring aus Gold. Sollte der Wandergeselle auf der Walz sterben, konnte davon die Beerdigung gezahlt werden“, erklärt sie. Heute ist das nicht mehr so. Was jedoch von der Tradition mit dem Ohrring komme, sei die Bezeichnung „Schlitzohr“. Denn: „Wer sich auf Wanderschaft schlecht verhielt, dem wurde der Ohrring gezogen. Zurück blieb dann ein Schlitzohr“, erklärt Jasmin.
Auch das gilt heute nicht mehr. Dennoch müssen sich Wandergesellen an verschiedene Regeln halten. Sie dürfen zum Beispiel kein Handy benutzen und zum Reisen kein Geld ausgeben. Deswegen fährt Jasmin oft per Anhalter oder fragt bei Zugschaffnern, ob sie sie kostenlos mitnehmen würden, sagt sie. Außerdem müssten Menschen auf der Walz höflich sein und dürften keinen Müll zurücklassen. Sollte sich jemand nicht an die Regeln halten, müsste derjenige die Walz beenden und ihm würde sein Wanderbuch entzogen werden.
Neben verschiedenen Reiseoptionen findet Jasmin auch ihre Übernachtungsmöglichkeiten auf unterschiedliche Arten. Wenn sie zum Beispiel zu Treffen mit anderen Wandergesellen fährt, ist dort ein Schlafplatz für sie organisiert. Eine andere Möglichkeit sei es, in einer Schutzhütte zu übernachten oder in einer Jugendherberge kostenlos unterzukommen. Manchmal würden ihr auch Menschen, die sie kennengelernt habe, eine Übernachtung anbieten. So auch in Wasserburg. „Eine Dame sagte mir nach einem kurzen Gespräch, ich könne auf ihrer Couch schlafen“, erzählt Jasmin.
Auch wenn sie für die Unterkunft und Reise kein Geld ausgeben darf, braucht sie hin und wieder dennoch einen Lohn, um sich Essen oder neue Kleidung kaufen zu können. Dazu kann sie bei verschiedenen Zimmereien arbeiten. Bis jetzt habe sie erst bei einem Betrieb in Freiburg ausgeholfen. Derzeit sei sie auf der Durchreise und suche deswegen gerade keinen Job.
Ansonsten könne sie in einer Stadt Handwerker auf Baustellen fragen, ob sie einen Zimmerei-Betrieb kennen würden, der Unterstützung bräuchte, erklärt die 29-Jährige. Dort könne sie ihre Leistungen in Rechnung stellen. Jasmin besitze nämlich einen Reisegewerbeschein, der sie auch ohne Meistertitel dazu berechtige, sagt sie. Krankenversichert habe sie sich auf freiwilliger Basis. Ihre Meldeadresse müsse Jasmin auch außerhalb des Bannkreises haben. Sonst könne sie keine Briefe abholen, erklärt sie.
Bei der Wahl ihrer Arbeitsorte sei Jasmin achtsam, denn noch immer seien Frauen auf Baustellen eine Ausnahme. „Bei sexistischen Sprüchen würde ich sofort wieder gehen“, sagt sie. Ihre Wanderschaft sei zum Teil auch ein feministisches Statement. „Ich will dadurch Frauen im Handwerk sichtbarer machen“, erklärt die Zimmerin. Oft bekomme sie positives Feedback auf ihre eigene Wanderschaft. Mittlerweile sei sie davon etwas genervt, erklärt Jasmin. „Ich will nicht ständig darauf aufmerksam gemacht werden, dass ich als Frau auf der Walz bin“, sagt sie.
Viel Abenteuerlust
ist nötig
Auch Reisen als einzelne Person macht Jasmin nichts aus. „Ich war schon oft alleine unterwegs und finde es auch dieses Mal sehr schön“, sagt sie. „Ich lerne viele tolle Menschen kennen und erlebe die unterschiedlichsten Dinge jeden Tag“, erklärt Jasmin. Man brauche vor allem Abenteuerlust, denn oft wisse sie am Morgen nicht, wo sie am Abend ankomme. „Das Spannendste passiert unterwegs“, berichtet die 29-Jährige. Neben ihr seien auch einige andere Wandergesellinnen unterwegs, mit denen Jasmin vernetzt sei.
In der Zeit ihrer Wanderschaft wolle sie vor allem viele Dinge erleben. Zum Beispiel würde sie gerne auf dem Campus Galli mitarbeiten, eine mittelalterliche Kloster-Baustelle in Meßkirch in Baden-Württemberg, oder bei Reet-Dachdeckern lernen. Ansonsten habe sie jedoch keinen festen Reiseplan. Jasmin will sich Zeit lassen, verschiedene Menschen kennenlernen und sehen, wohin es sie verschlägt.