Wasserburg – 2013 begannen die Grabungen auf dem Fletzinger-Areal, und im Sommer desselben Jahres wurde die Grabstätte eines rund 180 Zentimeter großen Mannes geborgen. Die Euphorie war groß, dass damit die Stadtgeschichte umgeschrieben werden könnte. Für gewöhnlich legt die Grabungsfirma nach Abschluss der Arbeiten dem Auftraggeber und dem Landesamt für Denkmalpflege zeitnah einen detaillierten Grabungsbericht vor. Im vorliegenden Fall unterblieb dies jedoch. Erst nach einem Jahrzehnt erhielt das Denkmalamt endlich die Grabungsunterlagen und die Funde, jedoch ohne Auswertung. Nun müssen sich Mitarbeiter, die nicht an der Grabung beteiligt waren und somit keine unmittelbare Kenntnis der Situation vor Ort haben, mit dem Material und den Plänen auseinandersetzen. Dies kann dauern, wie das Amt auf wiederholte Nachfragen bestätigte.
„Werden Hirnschmalz
benötigen“
„Wir werden viel Hirnschmalz benötigen, um das alles einordnen zu können“, hatte Dr. J. Haberstroh bereits 2013 in einem Interview geäußert, als ob er schon damals geahnt hätte, dass es Probleme bei der endgültigen Interpretation geben würde. Zwar wurden die Knochen und Holzkohlereste mit der C14-Methode genauer datiert, das Ergebnis wird jedoch unter Verschluss gehalten, da die Daten mit den Grabungsbefunden zusammengeführt werden sollen – „womit sich die Katze in den Schwanz beißt“. So geistern die unterschiedlichsten Datierungsansätze durcheinander: die Reste einer Mauer aus dem späten 6. oder frühen 7. Jahrhundert, auf deren Resten „Fletzi“ beigesetzt war, der angeblich im 11. Jahrhundert gestorben sein soll (Immler, Anthropologische Staatssammlung – Sommer, Landesamt für Denkmalpflege) oder doch schon im 9./10. Jahrhundert (Scholz, Schweissing, Landesamt für Denkmalpflege)? Nach anderen Mutmaßungen stamme der Mörtel der Mauer aus dem 9./10. Jahrhundert und die Keramik gehöre etwa der gleichen Zeitstellung an. Vielleicht sollte man – bis die naturwissenschaftlichen Untersuchungen freigegeben sind – auf die primären Fundbeobachtungen und die gültigen Vergleichsinterpretationen aus anderen Regionen zurückgreifen: Bei „Fletzi“ handelt es sich um eine beigabenlose, geostete Bestattung mit einer Höherbettung des Kopfes (Steinunterlage).
Da die Anlage von Reihengräbern und die Beigabensitte im späten 7. und beginnenden 8. Jahrhundert aufgegeben wurden, dürfte „Fletzi“ um 680/700 gestorben sein. Bestenfalls wäre eine Datierung durch anschließende noch mit Beigaben versehene Gräber möglich, die jedoch fehlen. Da es sich bei „Fletzi“ um ein seltenes Einzelgrab handelt, wäre es denkbar, dass es als am tiefsten gelegene Bestattung als einziges erhalten geblieben ist, während die höher gelegenen Gräber durch die frühmittelalterliche Bebauung zerstört worden sind. Kopfunterlagen in Form von flachen Steinen kommen im süddeutschen Raum gerade am Ende der spätmerowingerzeitlichen Reihengräbersitte öfters vor, so zum Beispiel in Kirchheim am Neckar, Lauchheim (Ostalbkreis) oder in Regensburg, wo an einer Kirche in den älteren Schichten des 8. Jahrhunderts etwa ein Viertel der Bestattungen Steinplatten unter dem Kopf hatten – wie die Archäologen Dr. Uenze, Dr. Stork und Dr. Rettner bestätigt haben.
Lücken in der
Dokumentation
Noch klaffen unüberbrückbare Dokumentationslücken in der Besiedlungsgeschichte von Wasserburg, die von der späten Jungsteinzeit bis zum 9. Jahrhundert nach Christus reicht, ehe dann schriftliche Zeugnisse vorliegen. Gerade die Zeitspanne zwischen 800/500 v. Chr. und dem späten 8. Jahrhundert nach Christus, also fast 1600 Jahre, ist äußerst schlecht belegt. Auch die vermehrten Hinweise auf behauene Steinblöcke an und in Häusern als vermeintliche Relikte einer römischen Bebauung liefern keine stichhaltigen Beweise. Es bleibt also weiter abzuwarten, bis die Auswertung der Grabung von 2013 in einigen Jahren abgeschlossen ist oder neue Funde die vorhandenen Lücken schließen helfen, ehe eine neue Chronologie für Wasserburgs Besiedlung erstellt werden kann.