Weite Teile Stephanskirchens werden von den bestehenden Buslinien nur unzureichend bedient. Foto Grafik Klinger
Stephanskirchen – Wie machen wir mit der Ringlinie weiter? Diese Frage wollte die Gemeinde nicht aus dem Handgelenk beantworten, sondern holte sich den Rat eines Fachmannes. Denn es gibt mehrere Möglichkeiten, wie Bürgermeister Karl Mair (Parteifreie Bürger) in Erinnerung rief.
Nahverkehrsplan
als Ausgangspunkt
Ausgangspunkt ist der Nahverkehrsplan für die Stadt und den Landkreis Rosenheim aus dem Jahr 2019. In diesem ist festgehalten, dass in Stephanskirchen Erschließungsdefizite bestehen. Die könnten unter anderem durch eine Verdichtung des Busangebotes auf einen 30-Minuten-Takt behoben werden.
Acht Buslinien fahren durch Stephanskirchen, aber viele Angebote seien nicht vertaktet, so Mair. Beispiel: Wer montags bis freitags um 6.59 Uhr an der Bushaltestelle Schloßberg Kirche, einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, steht, hat bis 7.21 Uhr die Qual der Wahl zwischen elf Bussen. Von 13.59 Uhr aber wartet der Fahrgast bis 14.49 Uhr auf den nächsten Bus.
Eine Besserung könnte die Anpassung der Ringlinie 9498 – seit Beitritt zum Münchner Verkehrsverbund MVV Linie 498 – bringen. Die Betreiber, der Regionalverkehr Oberbayern (RVO), und die Rosenheimer Verkehrsgesellschaft (RoVG) schlugen im Juni 2023 vor, die damalige Linie 9498 zu kürzen und als rein innergemeindliche Linie ab Schloßberg verkehren zu lassen. Fahrgäste müssten dann an der Haltestelle Schloßberg-Kirche in andere Linien umsteigen. Die eingesparten Kilometer könnten zur Erschließung weiterer Ortsteile oder für eine Taktverdichtung genutzt werden, hieß es. Die Idee stieß in der Gemeinde auf Skepsis.
Deswegen beauftragte die Gemeinde das Planungsbüro plan:mobil aus Kassel, ein Gutachten zu erstellen. Das Gutachten basiert, so Dr. Timo Barwick von plan:mobil jetzt im Gemeinderat, auf einer Analyse der Fahrgastdaten der Linie 498 und mehreren Varianten für ein alternatives Ortsbuskonzept. Daten aus den vergangenen vier Jahren wurden aktualisiert, denn „es hat sich ja doch einiges verändert“, so Barwick.
So gibt es Post, Bank und Supermarkt in Haidholzen nicht mehr, dafür entstanden ein Drogeriemarkt in Kragling und das Seniorenwohnen in Haidholzen. Und, wie Mair schon vorweggenommen hatte, hat die Firma Marc O‘Polo sich einen langjährigen Wunsch erfüllt und eine Expressbuslinie vom Rosenheimer Bahnhof zum Firmengelände in Stephanskirchen eingerichtet. Mit berücksichtigt wurde von Barwick und seinen Kollegen auch der in der Planung befindliche neue Ortsteil Haidholzen Südost, der 500 Menschen oder mehr eine neue Heimat bieten soll.
Ziel der Gemeinde sollte laut Barwick sein: Die Entlastung Schloßbergs durch einen besseren ÖPNV, eine gute Anbindung an den Rosenheimer Bahnhof und eine gute Erreichbarkeit aller Ortsteile für alle Bürger. Wichtige Bausteine sind für Barwick die bestehenden Linien über Prutting nach Bad Endorf und über Riedering nach Frasdorf und weiter. Eher zweitrangig ist für den Gutachter die Linie Richtung Vogtareuth. Während aus Prutting die Busse schon im Stundentakt fahren, gibt es bei den Verbindungen von und nach Riedering und Vogtareuth noch Lücken.
Barwick rät dazu, beim Füllen der Lücken auf ein ganz klares Zeitschema zu achten. Was laut Mair nur bedingt im Einflussbereich der Gemeinde liegt. Denn die Konzession für Buslinien vergibt der Landkreis, immer für zehn Jahre. Alle laufen derzeit noch, die der Ringlinie laut Mair bis 2028.
Barwick hat die potenziellen Fahrgastzahlen und die Kosten für eine ausgebaute Ringlinie beleuchtet. Rein rechnerisch sitzen derzeit zwei bis vier Fahrgäste in den Bussen der Linie 498. Christian Ladner (Parteifreie Bürger) sorgte für Schmunzeln, als er angesichts des Fahrplans der Ringlinie feststellte: „Wie, am Samstag gibt es nur eine Fahrt des Ringbusses nach Rosenheim? Und dann kommt man nicht mehr zurück nach Baierbach? Da fährt doch niemand mit!“
Für manche Ortsteile sieht Barwick auch künftig nicht mehr Potenzial als zwei bis vier Fahrgäste. Für andere schon, aber das setze voraus, dass der Ringbus montags bis freitags von 6 bis 21 Uhr sowie samstags bis 20.30 Uhr fährt. Angesichts der seit 2020 um 61 Prozent gestiegenen Kilometerkosten hieße das für Stephanskirchen etwa eine Viertelmillion Euro Mehrausgaben im Jahr – wenn die Gemeinde die Ringlinie als Ortsbus selbst betreibt.
Was Barwick durchaus empfahl. Für ihn sind die beiden sinnvollsten Varianten, dass Stephanskirchen einen Ortsbus im Stundentakt an die „starken Äste“ nach Prutting, Riedering und Vogtareuth anbindet. Für diese Variante plädierte auch Rico Auerswald vom RVO, als interessierter Zuhörer in der Sitzung. „Sie haben im Ortsgebiet doch so viele Haltestellen.“
Schlechte Erfahrungen
mit dem AST
Die zweite Variante: Einen Ortsbus auf Anforderung fahren lassen. Was dem Anrufsammeltaxi (AST) ähnlich wäre und damit koordiniert werden sollte. Mit der Verfügbarkeit des AST sind nicht alle Gemeinderäte zufrieden: 60 Minuten Vorlauf seien einfach zu viel, „und das AST kann immer dann nicht, wenn man‘s braucht“, so die Erfahrung von Christian Helget (Freie Wähler).
Johannes Lessing (Die Grünen), einer der wenigen regelmäßigen Busnutzer im Gemeinderat, hielt fest, dass die Entscheidung aufgrund der vielen Informationen nicht leicht fallen werde. Jetzt aber war sich das Gremium erstmal einig, dass zunächst die Verwaltung zur Verbesserung des ÖPNV-Angebots mit dem RVO, der RoVG und den Stadtwerken Rosenheim in Kontakt bleiben soll.