Aschau – Auf der einen Seite Geigelstein und Kampenwand, auf der anderen Spitzstein und Klausenberg. Wenn sich über den Bergen innerhalb weniger Tagen eine Extremniederschlagszelle entlädt, müssten die Überschwemmungen im etwa 1000 Meter tieferen Priental zwischen Sachrang und Aschau gewaltig sein. Sie waren es aber nicht. Sachrang und Aschau kamen beim jüngsten Hochwasser am 3. Juni mit einem blauen Auge davon – und das auch, weil „der Schutzwald eine Art Lebensversicherung für die Menschen im Tal ist“, wie Joachim Keßler, Leiter des Forstbetriebs Ruhpolding der Bayerischen Staatsforsten, erklärt.
Schutz für Mensch und Infrastruktur
Der Bergwald ist ein Multitalent. Er erfüllt von Natur aus viele Funktionen für den Menschen. „Neben der Holzproduktion und den Erholungsmöglichkeiten ist vor allem seine Schutzfunktion für die Tallagen der Bayerischen Alpen von Bedeutung“, so Keßler. Etwas mehr als die Hälfte der Wälder im bayerischen Alpenraum sind „Schutzwälder“ nach Artikel 10 des Bayerischen Waldgesetzes. Das bedeutet, dass diesen Wäldern aufgrund ihres Standortes eine besondere Funktion zukommt. Sie schützen die Infrastruktur in den Tälern vor Lawinen, Steinschlag, Muren oder Hangrutschungen.
Mit dem Klimawandel und neuen, immer häufiger auftretenden Extremwettereignissen mit Starkniederschlägen gewinnt die Wasserrückhaltefunktion des Bergwaldes immer größere Bedeutung. „Enorme Regenmengen in kurzer Zeit lassen im Gebirge die Wildbäche anschwellen, die dann mit ihren gewaltigen Wassermassen Siedlungen in den Tälern bedrohen können“, beschreibt Keßler. „Hier kommt dem Bergwald eine entscheidende Bedeutung zu, um die Schäden von Starkregenereignissen zu minimieren: Er kann auf verschiedene Weise die abfließende Wassermenge dämpfen.“
Zum einen ermöglichen die Wurzeln der Bäume eine höhere Wasseraufnahmefähigkeit im Boden. Das Wasser ist zwar nicht verschwunden, aber es wird gepuffert. Gleichzeitig stabilisieren die Wurzeln den Boden und schützen ihn vor Erosion durch das Wasser. „Außerdem ist ein typischer Waldboden an der Oberfläche deutlich rauer als zum Beispiel der blanke Fels oder vergraste Flächen, wodurch die Geschwindigkeit des Wasserabflusses reduziert wird“, so Keßler.
Wäre also der Wald und vor allem der Waldboden nicht da, würde Wasser bei Starkniederschlägen ungebremst ins Tal rauschen und dort unter Umständen große Schäden anrichten. „Der Bergwald ist somit eine Art Lebensversicherung für Mensch und Tier in den Alpen und ein Schutzgarant für die Infrastruktur“, betont der Forstbetriebsleiter.
Für die Bayerischen Staatsforsten und die Landwirtschaftsämter in Traunstein und Rosenheim ist es seit Generationen eine vordringliche Aufgabe, den Bergwald und damit auch den Schutzwald durch eine nachhaltige Bewirtschaftung gesund zu erhalten und zu pflegen. „Nur ein gesunder Bergwald kann langfristig alle Funktionen erfüllen, auf die wir Menschen angewiesen sind“, macht Keßler deutlich.
Allein im Forstbetrieb Ruhpolding gibt es über 20000 Hektar Schutzwald. Jedes Jahr investiert die Bayerische Staatsforsten dafür etwa 800000 Euro. Vor allem Tannen, Fichten und Lärchen werden gepflanzt. Bei der Pflege des Berg- und Schutzwaldes geht es darum, dauerhaft einen stabilen Waldbestand zu erhalten. Dieser besteht im Idealfall aus jungen und alten sowie dünnen und dicken Nadel- und Laubbäumen. „Nur durch diese vielfältige Struktur ist der Wald bestens gerüstet, um Naturgefahren für die Talbewohner abzuwehren.“
Auch der Schutzwald braucht Schutz. Zum einen vor den Auswirkungen des Klimawandels. Die Temperaturen sind gestiegen, die Winter milder und schneeärmer geworden. Wenn es Schnee gibt, ist er oft nass und führt zu Schneebruch. Dann gibt es wieder lange Trockenphasen. Die Bäume sind gestresst und anfällig für den Borkenkäfer. Stürme schlagen Schneisen in die Wälder. Extremniederschläge hinterlassen Spuren: Am Weißenberg und rund um die Maisalm wurden Anfang Juni Wege ausgespült und müssen wieder hergerichtet werden.
„Mancherorts schwächeln die Schutzwälder auch, weil sie bereits sehr alt sind“, sagt Keßler. Beispielsweise am Klausgraben oder an der Schoss-Rinn. Zudem ist der Boden in solch alten Wäldern meist mit Gras bedeckt. Der dicke Grasfilz verhindert ein Keimen der Baumsamen. Daher schaffen es diese altersschwachen Wälder oftmals nicht aus eigener Kraft, eine neue Waldgeneration zu erzeugen. Deshalb pflanzt der Forstbetrieb Ruhpolding in solchen Bereichen Tannen oder Lärchen, Buchen oder Bergahorn. „Wir ergänzen die Arten, die für einen gesunden Mischwald fehlen“, erläutert Joachim Keßler.
Aufwendige Bewirtschaftung
Die Bewirtschaftung der Berg- und Schutzwälder ist schwierig und aufwendig. Häufig sind Bereiche für Forsttechnik nicht mehr zugänglich. Dann müssen die Jungpflanzen mit Helikoptern auf den Berg geflogen, abgeseilt und am Boden von den Forstarbeitern abgenommen werden. „Aufgrund der kurzen Vegetationsperiode im Gebirge wachsen die Pflanzen nur sehr langsam. Deshalb ist es umso wichtiger, dass sie geschützt werden und möglichst ungehindert aufwachsen können“, betont Keßler.
Knospen junger Bäume sind eine Delikatesse für heimisches Wild. Damit die Bäume durch Wildverbiss nicht geschädigt werden, müssen die jungen Flächen intensiver bejagt werden, solange sich die Bäume im Aufwuchs befinden. Doch nicht nur das: Auch die Wildtierfütterung im Bergwald wird ausgeweitet. Künftig soll nicht mehr nur im Wildgatter Maurauch, sondern auch im Bereich Kreuth wieder gefüttert werden, wenn das Wild in der Natur nicht mehr ausreichend Nahrung findet.