Nußdorf – Die Sonderausstellung „Schusters Leisten“ am Nußdorfer Mühlenweg bietet einen Einblick in die Welt des traditionellen Schuhmacherhandwerks. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen berichtet Josef Schweinsteiger junior vom Leben und Arbeiten seines Großvaters Sepp Schweinsteiger in der Werkstatt sowie über die Geschichte der Schusterei.
Bei all den historischen Werkzeugen und Materialien – Wie war das Leben und Arbeiten Ihres Großvaters, Sepp Schweinsteiger, in den 1950er- und 1960er-Jahren in Nußdorf?
Mein Großvater war ein leidenschaftlicher Schuster und ein engagierter Bürger. Seine Werkstatt war ein lebendiger Ort, voller Energie und Handwerkskunst. Er hat nicht nur Schuhe gefertigt und repariert, sondern war auch später als Verkehrsamtsleiter in Nußdorf tätig.
Welche Bedeutung hatten die Werkzeuge in der täglichen Arbeit Ihres Großvaters?
Diese Werkzeuge waren das Herzstück seiner Arbeit. Jede Zange, jede Reibe hatte ihren speziellen Zweck. Mein Großvater übernahm die meisten Werkzeuge von Kollegen aus der Region, wie die Pfaff-Linksarm-Nähmaschine von 1937 und die Lederwalze. Zwei Maschinen, die große Ausputzmaschine und die Luftdruckklebepresse, hatte er neu gekauft, um effizienter arbeiten zu können.
Es gibt Geschichten über Kunden wie Georg Wolff und Familie Troche, die extra nach Nußdorf kamen, um sich von Ihrem Großvater Schuhe anfertigen zu lassen. Was machte seine Schuhe besonders?
Mein Großvater fertigte maßgeschneiderte Schuhe an, die perfekt auf die Bedürfnisse der Kunden abgestimmt waren. Georg Wolff aus Frankfurt ließ sich 1959 während seiner Sommerfrische neue Schuhe anfertigen. Die Familie Troche aus Hannover nutzte ebenfalls die Ferien, um sich Schuhe machen zu lassen. Besonders für spezielle Größen, wie die Schuhgröße 34 von Frau Troche, waren maßgefertigte Schuhe oft die einzige Lösung.
Ihr Großvater begann seine Karriere kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie hat er es geschafft, sich in dieser Zeit selbstständig zu machen?
Nach dem Krieg mietete er die Werkstatt von Peter Stadler, der noch in Kriegsgefangenschaft war. Gleichzeitig baute er einen Anbau am Haus seines Großvaters für seine eigene Werkstatt. Trotz der schwierigen Nachkriegszeit und der Einquartierungen von Heimatvertriebenen in Nußdorf schaffte er es, seine Werkstatt erfolgreich zu führen und sich einen Namen zu machen.
Es heißt, dass er auch innovative Ideen hatte, wie zum Beispiel einen doppelt geschnürten Skischuh. Was ist daraus geworden?
Ja, mein Opa entwickelte zusammen mit dem Skirennläufer Albert Heimpel einen doppelt geschnürten Skischuh. Leider überholte die Industrie das Handwerk, und diese Erfindung blieb unbeachtet. Dennoch zeigt dies seine Innovationskraft und seinen Willen, immer bessere Produkte zu schaffen.
Wie kam es dazu, dass Ihr Opa plötzlich Verkehrsamtsleiter wurde?
Da das traditionelle Schuhmacherhandwerk immer weniger gefragt war, spezialisierte sich mein Opa auf das Fremdenverkehrswesen. Mit Hilfe des Grafikers Fritz Köhler machte er kräftig Werbung für Nußdorf als Urlaubsort. Er und meine Oma vermieteten auch Ferienzimmer in ihrem 1953 erbauten Haus am Entbach.
Gibt es eine besondere Erinnerung, die Sie mit Ihrem Großvater oder seiner Werkstatt verbinden?
Eine meiner liebsten Erinnerungen ist, wie mein Opa, der mit 80 Jahren immer noch regelmäßig in seiner geliebten Werkstatt gewerkelt hat, auf dem Dreibeinhocker saß und scherzte: „Wenn der mal zusammenbricht, höre ich auf.“ Es war eine Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor, die ihn ausmachte. Diese Erinnerung bleibt für immer bei mir.
Interview: Volkhard Steffenhagen