Patienten aus keinem Lehrbuch

von Redaktion

Blick hinter die Kulissen der „Jerwa“-Station der Schön Klinik Vogtareuth

Vogtareuth – Eine angeborene neurologische Erkrankung oder eine Behinderung im Kindesalter bedeutet für die betroffenen Menschen und ihre Familien meist eine schwere Bürde. Bis zum 18. Geburtstag gibt es ein flächendeckendes ambulantes und stationäres Hilfsangebot in Deutschland. Doch was kommt danach? Hier springt die „Jerwa“-Station der Schön Klinik in die Bresche.

„Jerwa“ ist ein Kurzwort aus „Junge“ und „Erwachsene“. In diesem stationären Schwerpunkt kümmert sich in der Schön Klinik Vogtareuth ein spezialisiertes Team um junge Erwachsene, die altersbedingt nicht mehr in der Kinder- und Jugendmedizin behandelt werden können, aber weiterhin intensive und individuelle medizinische Versorgung brauchen.

Behandlung sehr
spezifisch und speziell

Oberärztin Dr. Judith Kamgang erzählt von einem Kind, das als Frühgeburt und mit einem Hirnschaden auf die Welt kommt und dadurch schwerstbehindert ist, nicht in der Lage ist, zu gehen, zu laufen, zu reden oder selbstständig zu essen und in einem speziellen Rollstuhl sitzt.

„Von Anfang an benötigt dieses Kind in jedem Bereich Hilfe. Diese Hilfsbedürftigkeit endet nicht mit dem 18. Geburtstag. Dank unserer sehr guten Medizin liegt die Lebenserwartung schwerstbehinderter Menschen in Deutschland von Geburt an inzwischen oft bei über 30 Jahren. Mit ihrer Schwerstbehinderung überfordern sie allerdings das medizinische Versorgungsangebot für Erwachsene, zumal die Behandlung dieser Gesundheitsprobleme sehr spezifisch und speziell ist und viel Expertise braucht.“

Chefarzt Dr. Andreas Weidmann ergänzt: „Obwohl die kinder- und jugendmedizinische Versorgung in Deutschland sehr gut ist, fallen diese von Geburt an schwerstbehinderten Menschen oder jene, die im Laufe ihrer Kindheit schwere Hirnschäden durch beispielsweise Unfälle oder Infekte erlitten haben, im jungen Erwachsenenalter durchs Raster. Es gibt für sie keine passenden stationären und kaum ambulanten Angebote.“

Multiprofessionelle
Teamarbeit

Hier kommt die „Jerwa“-Station der Schön Klinik Vogtareuth ins Spiel. Seit 1985 gibt es in der Klinik die Neuropädiatrie mit spezialisierter Kinderheilkunde. Vor vier Jahren wurde „Jerwa“ eröffnet, um die Versorgung für diese Patientengruppe im Erwachsenenalter durch ein multiprofessionelles Team auf allen Therapie- und Fachebenen fortführen zu können.

Das Ziel von „Jerwa“: weiter wachsen und das Angebot ausbauen – gerade in Krankheitsbildern, für die es derzeit noch gar kein Behandlungsangebot gibt. Beispielsweise die Kombination aus neuroorthopädischen und psychiatrischen Störungen, aber auch im vorhandenen Schwerpunkt Epilepsie oder in fortschreitenden neuromuskulären und stoffwechselbedingten Erkrankungen. Der Bedarf ist da.

„Unsere Patienten stehen in keinem Lehrbuch, ihre Gesundheitsprobleme stehen in keinem Lehrbuch“, sagt Dr. Kamgang und betont gleichzeitig: „Wir finden aber immer einen Weg zu einer besseren Lebensqualität.“

Das mache die Arbeit spannend: „Wir arbeiten kreativ und lösungsorientiert, stellen uns auf jeden Patienten individuell ein und nehmen uns in der Kennenlernphase sehr viel Zeit, bevor es in die Therapie geht. Wir finden eine Lösung. Vielleicht ist es nicht die perfekte – aber eine, die das Leben ein bisschen einfacher macht und die Lebensqualität verbessert – obgleich wir wissen, dass unsere Patienten von ihrem Leiden nicht geheilt werden können.“

„Wir füllen eine Lücke“, betont Dr. Weidmann und bricht dabei eine Lanze für Behandlungen in diesem hoch spezialisierten Bereich. „Wir wünschen uns, dass die Gesetzgebung sich der 1,5 Millionen behinderten Menschen in Deutschland im Erwachsenenalter mehr annimmt, bürokratische Hürden reduziert und nachhaltige Regelungen für Einrichtungen wie die unsere schafft.“

Ping-Pong der
Zuständigkeiten

Es dürfe keinen „Ping-Pong-Effekt“ zwischen dem Gesetzgeber und den Kostenträgern über die Verantwortung und Zuständigkeit bei Entscheidungen über Zuwendungen und Hilfen geben. Es brauche individuelle medizinische Lösungen in Gesundheitskrisen und individuelle, leistungsgerechte Vergütung medizinischer Versorgungsarbeit für diese schwer betroffenen Menschen und ihre Helfer.

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