Wenn Zuhause nichts mehr geht

von Redaktion

Zu Besuch in einer betreuten Jugendwohngruppe in Nußdorf

Nußdorf – Ein behütetes Elternhaus ist nicht selbstverständlich. Oft bleiben seelische Beeinträchtigungen und Gewalt gegenüber Jugendlichen im Verborgenen. Manchmal verlieren sie – oder die Eltern – den Boden unter den Füßen, driften ab. Der Alltag gerät ins Wanken – nichts geht mehr. Vielen Kindern und Jugendlichen bleibt dann oftmals keine andere Möglichkeit als weg von zuhause.

Wenn es daheim
nicht mehr weitergeht

Genau dafür gibt es in der Region Angebote von sozialen und privaten Trägern. Die private Kinder- und Jugendhilfeorganisation Startklar Soziale Arbeit beispielsweise bietet unter anderem stationäre sowie flexible Hilfen, Schulbegleitung und Betreutes Wohnen. In Nußdorf hat vor Kurzem eine neue Wohngruppe mit Platz für neun Jugendliche eröffnet. Die jungen Menschen leben dort, weil sie zuhause nicht mehr bleiben können: Zum Beispiel, weil sie auf die schiefe Bahn geraten sind, die Eltern es nicht mehr schaffen oder erkrankt sind und es niemanden gibt, wo sie hinkönnen. Aber auch minderjährige unbegleitete Flüchtlinge finden nach Flucht und Aufenthalten in Sammelunterkünften hier Unterstützung und ein Zuhause.

„Wir geben unser Bestes, passgenaue Hilfe für junge Menschen zu schaffen“, erklärt Ann-Katrin Minhardt-Ißle. Sie arbeitet seit elf Jahren bei Startklar und ist Bereichsleiterin der beiden heilpädagogischen Wohngruppen in Nußdorf und Oberkaltbrunn bei Rosenheim. Und der Bedarf nach externen Unterbringungsmöglichkeiten für Jugendliche wächst. Die Wartelisten sind lang. Deswegen sei bei Startklar Rosenheim-Ebersberg die Entscheidung für die Neueröffnung im Inntal gefallen. „Und wir hatten richtig Glück, so schnell eine Immobilie zu finden.“ Und auch mit der Nachbarschaft klappe es trotz anfänglicher Vorbehalte gegenüber der Jugendhilfegruppe soweit ganz gut.“

Das große holzverkleidete Haus strahlt bereits von außen Gemütlichkeit aus, was sich auch im Inneren fortsetzt. „Die Jugendlichen sollen sich hier wohlfühlen. Wie zuhause eben“, sagt Minhardt-Ißle. In der großen Küche wird gemeinsam gegessen. Täglich kocht jeweils ein Jugendlicher für die ganze Gruppe. Wie die Sozialpädagogin betont: immer ausgewogen, gesund und bio.

Wöchentlich erhält die Wohngruppe eine Kiste mit saisonalen Lebensmitteln. „Die Jugendlichen entscheiden danach selbst, was sie kochen wollen.“ So werden sie in den Entscheidungsprozess einbezogen und erlernen gleichzeitig Selbstständigkeit. Im großen Garten des Hauses wird deshalb auch gemeinsam Obst und Gemüse angebaut sowie gegärtnert. Im oberen Stockwerk befinden sich die Zimmer der Jugendlichen sowie eine Gemeinschaftsecke mit Playstation und großem Fernseher.

Schule und Ausbildung sowie Deutschkurse stehen im Fokus: „Der Alltag ist wie Zuhause. Wenn sie von der Schule kommen, müssen sie Hausaufgaben machen“, berichtet die Sozialpädagogin. Beim Abendessen kommen alle zusammen. Stabilität schaffen – und beibehalten.

Einmal im Monat – sofern es das Budget erlaubt – steht ein gemeinsamer Ausflug auf dem Programm: Bowling, Kino oder eine Bergwanderung bieten den oftmals belasteten Jugendlichen Abwechslung. „Dafür sind wir aber angewiesen auf Spenden“, sagt Ann-Katrin Minhardt-Ißle. Denn für solche Aktivitäten seien kaum Sätze oder Zuschüsse vorgesehen. Sonst finanzieren sich die Wohngruppen aus öffentlichen Geldern.

Besuche bei der Familie sind – je nach Umständen – jederzeit möglich. Die enge Zusammenarbeit mit den Eltern ist daher unerlässlich. Jugendliche aus dem Landkreis, insbesondere dem Inntal, können oftmals weiterhin ihre Schule besuchen und bleiben so in gewohnten Strukturen. „Da es aber nur wenig Plätze gibt, erhalten wir deutschlandweite Anfragen“, erklärt die Bereichsleitung.

Erstes Ziel ist wieder
zurück nach Hause

Sieben Jugendliche zwischen zwölf und 21 Jahren leben in Oberkaltbrunn, ein Platz ist ein sogenannter Inobhutnahme-Platz. Neun Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren wohnen in Nußdorf, wo es zwei Inobhutnahme-Plätze sind. Diese gibt es, wenn sich ein Kind oder Jugendlicher in einer Notsituation befindet und durch das Jugendamt vorübergehend fremduntergebracht werden muss. „Das oberste Ziel ist jedoch immer, den Rückzug nach Hause zu ermöglichen.“ Sollte das nicht möglich sein, werden die Jugendlichen bis zur Verselbstständigung begleitet.

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