Stephanskirchen – Sie hat keine Lust mehr auf Bürokram, sagt sie grinsend. Deswegen übergibt Milena Adler Ende August die Leitung der „Arche“, der Mittags- und Nachmittagsbetreuung an der Grundschule Schloßberg, an Nicola Jaworek. Darf man mit 70 Jahren auch. Ihre Kinder aufgeben? Kommt gar nicht infrage. „Die Arche ist ihr Leben“, sagt Schulleiterin Juliane Ascher. „Sie hat sie mit allem, was sie ausmacht, mit allem, was sie hat, und mit allem, was sie ist, geführt.“
Ferien mit
50 bis 60 Kindern
Die Führung gibt sie ab. Ihre Schützlinge nicht. Kann sie gar nicht. „Ich habe eine Seele für die Kinder.“ So einfach ist das manchmal. Deswegen backt, kocht, tanzt sie jetzt in den Ferien mit 50 bis 60 Mädchen und Buben. Und verschafft damit berufstätigen Eltern Luft. In der Gewissheit, dass ihr Nachwuchs bestens betreut ist, können sie ohne schlechtes Gewissen bis zum Urlaub ihrer Arbeit nachgehen. Die Eltern lieben Milena Adler nicht nur deshalb fast so sehr, wie ihre Kinder das tun.
„Sie lässt einerseits den Kindern so viele Freiheiten wie möglich und zeigt andererseits mit ihrer natürlichen Autorität klare Grenzen auf. Das schafft sie mit ihrer starken und herzlichen Persönlichkeit. Nicht nur für mich ist sie einfach Kult!“, sagt der Vater eines ehemaligen Milena-Schützlings. Karl Mair, heute Bürgermeister, neigt eher nicht zu öffentlichen Gefühlsausbrüchen. Aber wenn es um Milena Adler geht, dann gerät er ins Schwärmen.
Wenn mehr als die Hälfte der Kinder einer Grundschule die Mittags- und Nachmittagsbetreuung besuchen – täglich oder an einzelnen Wochentagen – dann muss das einen Grund haben, sagt Mair. Und ist sich mit den Kindern und der Schulleiterin einig: Der Grund heißt Milena. Mittagessen, Hausaufgaben, spielen, mit Freundinnen und Freunden herumtoben und obendrein auch noch kreative Angebote. Oder eine Schulter zum Ausweinen. Gab und gibt es bei Milena Adler. Kein Wunder, dass eines Tages ein kleiner Bub vor ihr stand und strahlend sagte: „Milena, bei dir gefällt es mir viel besser als in der Schule.“ So ein Lob aus Kindermund ist der studierten Pädagogin viel wichtiger als Elogen von Erwachsenen. Weil Kinder echt sind – und ganz schnell merken, ob ihr Gegenüber das auch ist.
Ihre Mitte
gefunden
Milena Adler ist echt. Die gebürtige Kroatin hatte die Chance, sich neu zu erfinden, als sie ohne ein Wort Deutsch zu sprechen vor fast vier Jahrzehnten in Rosenheim ankam. Tat das auch. Emotionalen Ballast ließ sie in Jugoslawien zurück, fand sich selbst und ihre Mitte. Sagte zwei Jahre lang kein Wort, brachte sich Deutsch selber bei. „Mit vielen Fehlern“, lacht sie. Ein Kroatisch-Kurs, den sie an der Volkshochschule hielt, verbesserte ihre Deutschkenntnisse deutlich. Bei allem Humor, allen Emotionen, allem Pragmatismus: Milena Adler verfügt auch über ein gerüttelt Maß an Ehrgeiz.
Ehrgeiz, der seit 24 Jahren vor allem ein Ziel hat: kleine Menschen gut auf ihren Weg durchs Leben zu bringen. „Du hast im Leben unzähliger junger Menschen durch dein Wirken und Handeln Spuren hinterlassen und einen riesigen Anteil an ihrer Persönlichkeitsentwicklung“, bescheinigte ihr Juliane Ascher beim Fest zum Schuljahresabschluss.
Dazu gehört für Milena Adler auch, mit Kindern zur Beerdigung des Opas eines Klassenkameraden zu gehen, gemeinsam zu philosophieren oder in die Städtische Galerie in eine Ausstellung zu spazieren. „Wir können doch die Kinder nicht immer in Watte packen“, findet Milena Adler. Bei allem Flügelverleihen und Fantasiefördern – gefordert werden sollen Kinder schon auch.
Gefordert wurde Milena Adler in ihren 24 Jahren als Arche-Chefin mehr als einmal. So wuchs die Zahl der Arche-Kinder Jahr für Jahr an. Rund 170 sind es jetzt. Viel mehr, als in das Gebäude am Nordende des Schloßberger Schulgeländes passen. „Ich habe mir einfach jeden Raum geschnappt, der frei wurde. Notfalls auch die Putzkammer“, lacht Milena Adler.
Mit Leben gefüllt sind sie alle. „Improvisieren, mit Veränderungen umgehen, das kann ich“, sagt Milena Adler. Ruhe zu bewahren, eine Lösung für die organisatorischen Herausforderungen im Schulalltag zu finden, gehöre zu ihren zahlreichen Stärken, attestiert ihr Schulleiterin Juliane Ascher.
Der gute Draht
zum Hausmeister
Die Stärken waren im Frühjahr 2020 dann so richtig gefragt: Die Corona-Pandemie brachte die Welt ins Schleudern und das Leben, wie wir es kannten, zum Stillstand. Wochen- oder monatelang ohne ihre Kinder? Kam für Milena Adler gar nicht infrage. Außerdem brauchten ja auch die Eltern Unterstützung, die auf einmal mit Büro und Unterricht dahoam, geschlossenen Schulen und Kitas, Kurzarbeit und Zukunftsängsten klarkommen mussten. Milena Adler war da, „gab den Kindern Schutz und Licht“, wie es in „Milenas Song“, eigens zu ihrer Verabschiedung aus der Chef-Rolle getextet, heißt.
„Sie hat den Kindern eine konstante und liebevolle Begleitung geboten“, erzählt Juliane Ascher. War da, im ersten Lockdown, als einzige Pädagogin unter vielen Kindern. Die reichlich Platz hatten: „Wir haben uns einfach aufs ganze Schulhaus ausgebreitet“, sagt Milena Adler lachend. Komplize dabei, wie so häufig: der Hausmeister. „Zu dem habe ich einen guten Draht. Das hilft im Alltag ungemein“, sagt Milena Adler und grinst breit.
Lobeshymnen
zum Abschied
Lobeshymnen hat sie zu ihrem Abschied aus der ersten Reihe nicht erwartet, genießt sie aber durchaus. Und legt Wert darauf, dass sie die nicht alleine verdient hat. Die Unterstützung von Schulleiterin, Lehrerkollegium, Arche-Träger und Gemeinde, die Arbeit mit den geschätzten Kolleginnen und die Loyalität untereinander, ohne wäre es nicht gegangen. Genauso wenig wie ohne die kindliche Neugier und Freude, die Milena Adler nach eigenem Bekunden nie abgelegt hat. Die ihr den Zugang zu ihren Schützlingen so leicht machen. Auch in kommenden Schuljahren. Denn als Betreuerin bleibt Milena Adler ihren Kindern erhalten. Sie kann gar nicht anders.
Und wenn es dann irgendwann einmal Buben und Mädchen in Schloßberg gibt, die Milena Adler nicht mehr kennengelernt haben, die fragen, wer denn diese Milena ist, nach der der Schotterweg von der Schule zur Arche benannt ist, denen wird dann vorgeschwärmt von dieser spontanen, klugen, fröhlichen, starken Frau, die mit offenen Armen auf kleine und große Menschen zugeht. Und vielleicht zitiert dann jemand aus Milenas Song: „Sie ist eine coole, toughe Socke.“