Sogar vom Gletscher gestartet

von Redaktion

Bewegtes Sportlerleben: Reinhold Speidel blickt auf 50 Jahre als Gleitschirm- und Drachenflieger zurück

Brannenburg – Wer kann schon von sich behaupten, seit 50 Jahren Pilot für Gleitschirm und Drachen zu sein? Nicht viele, denn Anfang der 1970er-Jahre gab es noch keine Fluggeräte wie heute, die so geräuschlos und elegant über die bayerischen Voralpen fliegen. In Brannenburg und Umgebung können sie heute oftmals bis in den Sonnenuntergang gleitend beobachtet werden.

„Und wie bist du zum Fliegen gekommen?“, fragt man sich häufig unter Gleitschirmfliegern. Anfang der 1970er-Jahre gab es zwar in Amerika schon „ein paar Verrückte“, die sich mit Rogallos in die Luft wagten und „versuchten“ zu fliegen, sagt Reinhold Speidel. Im deutschen Alpenraum war man aber da noch weit entfernt.

Das war zu der Zeit völlig außerhalb der Vorstellungskraft von Reinhold, und dann kam einfach einer und machte es vor. Er war zu der Zeit Skilehrer im Schwarzwald. Gepackt von dieser Sensation wurde kurz darauf mit Mike Harker (jenem Gleitschirmpionier aus den USA) und den Skilehrern ein Schnuppertag organisiert.

Technik
verbessert

Mit acht Drachen reiste Mike in den Schwarzwald, um ihnen das Drachenfliegen zu zeigen. Die Drachen waren damals natürlich technisch noch nicht so ausgereift wie heute und so verschliss das Material schnell. Am Ende des Tages waren fünf der acht Drachen kaputt und mussten repariert werden. Um weitere Versuche im Drachenfliegen unternehmen zu können, mussten Reinhold und seine Kollegen kreativ werden und die Technik weiter verbessern. Anfangs wurde nur im Schnee und auf Skiern gestartet, denn die Gleitleistung der Drachen war sehr gering und der nötige Platz zum Starten und Landen war Grundvoraussetzung. Reinhold bezeichnet den Gleitwinkel von damals als „1:Plumps“.

In kürzester Zeit besorgte sich Reinhold seinen ersten eigenen Drachen und übte in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren fleißig in seiner Heimat, dem Schwarzwald. Überall kam jetzt die Idee des Drachenfliegens auf und es bildeten sich viele Grüppchen, die sich der Faszination Fliegen widmeten. Mitte der 70erJahre übernahm Reinhold die „Drachenflugschule Freudenstadt“. Eine richtige Ausbildung zum Fluglehrer gab es damals noch nicht, denn man nannte sich einfach so, wenn man Skilehrer war und schon einige Male geflogen war. Mit Freude in den Augen erzählt Reinhold noch heute, wie sie damals oft vom Stubaier Gletscher gestartet sind. Meistens mussten sie die 20 bis 30 Kilo schweren Drachen aus eigener Kraft die Berge hinauftragen. Bis heute ist es eine Leidenschaft von Reinhold, Fußgängern das Fliegen beizubringen. Das Schönste für ihn ist es, das breite Lachen im Gesicht seiner Flugschüler oder Tandempassagiere nach der Landung zu sehen, wenn sie das erste Mal geflogen sind.

An die ersten eigenen Hüpfer und das Gefühl, zum ersten Mal geflogen zu sein, kann sich wahrscheinlich jeder Drachen- und Gleitschirmpilot noch erinnern. Das ist es auch, was für Reinhold das Fliegen nach wie vor ausmacht: der unbändige Drang nach Freiheit, purer Freiheit, egal ob er mit dem Drachen oder dem Gleitschirm in der Luft ist. Mit glänzenden Augen beschreibt er das Gefühl, wie es ist, oben am Berg zu stehen und frei wie ein Vogel abzuheben und fast geräuschlos durch die Luft zu gleiten.

Anfang der 80er-Jahre wurden dann zunächst in Frankreich die ersten Versuche im Gleitschirmfliegen gewagt und Reinhold dachte sich: „Hoppla, mit sowas kann man ja auch fliegen. Das muss ich ausprobieren!“ Und so kam es dann, dass Reinhold 1984 die Umschulung von Drachen- auf Gleitschirmlehrer machte, dann schon beim DHV – dem Deutschen Hängegleiter Verband. Auf die Frage, was ihm lieber ist, Gleitschirm- oder Drachenfliegen, runzelt er die Stirn und ist hin- und hergerissen. Eigentlich das Drachenfliegen, weil man eine stärkere Bindung an sein Fluggerät hat, in der Vogelperspektive schwebt und diese Gemeinschaft der Fliegerkollegen hat. Gleichzeitig ist es aber auch aufwendiger und schwerer als Gleitschirmfliegen. Mit einem Drachen ist man auf ein Auto oder eine Seilbahn angewiesen, die einen zum Startplatz bringt. Seinen Gleitschirmrucksack kann er einfach zum Startplatz tragen und ist schnell in der Luft. Diese Einfachheit, selbst auf den Berg zu gehen, seinen Schirm innerhalb von ein paar Minuten startbereit zu haben und abheben zu können, schätzt Reinhold in den letzten Jahren immer mehr. Der Anspruch an das Pilotenkönnen ist geringer. Reinhold sagt: „Gleitschirmfliegen kann eigentlich jeder lernen. Aber mit einem Drachen zu fliegen, da gehört mehr Können dazu.“

Dafür, dass das Gleitschirm- und Drachenfliegen im Einklang mit Natur, Technik und Menschen stattfindet, engagiert sich Reinhold schon von Beginn an.

Für ihn ist es Leidenschaft, sich in Vereinen wie den Bergdohlen Brannenburg zu engagieren. Gemeinsame Ausflüge und Unternehmungen mit den Vereinskollegen machen ihm am meisten Spaß sowie das Fachsimpeln beim Landebier. Die Bergdohlen Brannenburg sind ein kleiner Verein mit unter 200 Mitgliedern. Und viel mehr müssen es laut Reinhold auch gar nicht werden: „Denn sonst kennt man sich nicht mehr und ein Massenbetrieb ist nichts für das Gleitschirmfliegen, das geht auf Kosten der Sicherheit.“ Massenhafte Tandemflüge in einem Fluggebiet sieht er kritisch, denn die Wertschätzung für das Fliegen, die Natur und die Menschen tritt zu weit in den Hintergrund. Reinhold fliegt auch Tandem, am liebsten mit seiner Frau Indra.

Unterwegs in
den Black Mountains

Auf die Frage, was seine exotischsten Gebiete waren, in denen er geflogen ist, berichtet er mit einem Strahlen im Gesicht von Reisen in die Black Mountains in Kalifornien, wo er mit dem Drachen geflogen ist.

Das waren besondere Flüge, meist nur ein Flug pro Tag, aufgrund des hohen Aufwands und deshalb auch mehr wertgeschätzt. Weiter erzählt er von der Erstbefliegung des Teide auf Teneriffa, die erst nach ein paar Startschwierigkeiten und folgenden Reparaturen am Drachen geglückt ist. Auch von der Türkei schwärmt er, wo ein Bekannter an seinem Hotel einfach ein Fluggebiet eröffnet hat und er mit einer Gruppe Fliegern hingereist ist.

Ausgeschrieben war die Reise als Badeurlaub mit der Möglichkeit zum Fliegen – umso schöner, dass sie dann alle jeden Tag fliegen konnten. Durch seine Flugreisen hat Reinhold viele Freunde weltweit gefunden und verschiedenste Gebiete kennengelernt.

Am liebsten fliegt er aber hier dahoam in den Alpen, von der Rampoldplatte oder dem Sulzberg. Sein Ziel ist es, so lange zu fliegen, wie es nur möglich ist und vielleicht noch einen kleinen Traum zu erreichen, nämlich mit dem Gleitschirm einmal vom Titlis bei Engelberg zu starten.

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