Flintsbach – Irgendwann kam er auf, der Wunsch einiger Anwohner des Windschnurwegs: Sie wollen einen Verkehrsspiegel an der Einmündung ihrer Sackgasse mit einem Dutzend Häusern in die Kufsteiner Straße. Weil die Einfahrt in die Kufsteiner Straße, eine Staatsstraße, so unübersichtlich sei.
Der stellvertretende Bürgermeister, Holger Steiner, wohnt selbst in dieser kleinen Siedlung. Der Wunsch der Nachbarn landete im Gemeinderat. Bürgermeister Stefan Lederwascher tat, was er nach eigenem Bekunden gerne in Dingen tut, bei denen ihm das fachliche Wissen fehlt: „Ich hole mir immer die Fachmeinung ein.“
Verkehrsschau
abgehalten
Also gab es eine Verkehrsschau mit Vertretern des Staatlichen Bauamtes (Abteilung Straßenbau), des Landratsamtes und der Polizeiinspektion Brannenburg. „Wir haben uns die Situation angesehen und kamen zu der Erkenntnis, dass dort ein Spiegel nicht notwendig und nicht sinnvoll ist“, sagt Alexander Eisner vom Staatlichen Bauamt auf Anfrage der OVB-Redaktion. Diese Erkenntnis sei einstimmig gewesen.
Die Unfallkommission sei sich auch einig gewesen, dass ein Verkehrsspiegel nur Scheinsicherheit vorgaukele, berichten Eisner und Lederwascher übereinstimmend. Geschwindigkeit und Entfernung eines Fahrzeugs seien via Spiegel nur schwer einzuschätzen. „Die Anwohner müssen sich halt raus tasten“, findet Lederwascher. Eine ältere Dame, die dort wohnt und ihren Hund spazieren führte, sagte der Reporterin – die sich die Lage an der Einmündung Windschnurweg ansah – das Gleiche: „Mei, da muas ma hoid gscheit schaun“, so ihre Meinung.
Muss man in der Tat. Denn die im Bebauungsplan vorgeschriebenen Sichtdreiecke sind beidseits nicht vorhanden. „Die vom Sichtdreieck betroffenen Grundstücksflächen sind von baulichen Anlagen und Bepflanzungen höher als 1,00 Meter über der Straßenoberkante freizuhalten“, heißt es dort. Der Plan mag von 1982 sein, er ist aber nach wie vor gültig. Und wird von den Grundeigentümern nicht eingehalten: Auf der einen Seite steht ein zwei Meter hoher Holzzaun, auf der anderen Seite wachsen Büsche in vergleichbare Höhen. Die Gemeinde könnte das freigehaltene Sichtdreieck rechtlich durchsetzen.
Wer nun geglaubt hatte, mit der Verkehrsschau der Fachbehörden und deren Ablehnung sei die Sache „Verkehrsspiegel an der Einmündung Windschnurweg“ erledigt, wurde eines anderen belehrt. Im August 2023, Holger Steiner vertrat den urlaubenden Stefan Lederwascher, begab sich der Zweite Bürgermeister auf einen Ortstermin mit einem Vertreter der Polizeiinspektion Brannenburg.
Der habe ihm gesagt, nach dem neuesten Stand der Dinge gehöre dort ein Verkehrsspiegel hin, so Steiner. Dabei sei maßgeblich, dass der Windschnurweg im Scheitelpunkt einer Kurve in die Kufsteiner Straße münde. Der Zweite Bürgermeister klärte mit dem Eigentümer des Grundstücks gegenüber der Einmündung, ob die Gemeinde dort was aufstellen dürfe und orderte einen Spiegel. Der seitdem im Bauhof der Gemeinde steht. Warum könne er nicht sagen, so Steiner.
Lederwascher schon. Er verweigerte nach seinem Urlaub das Aufstellen des Spiegels. Schließlich seien die Fachbehörden dagegen, hielten den Spiegel für überflüssig. „Ich habe mich dieser Meinung angeschlossen und stehe dazu. Bei mir gibt es keine Gefälligkeitsentscheidung“, so der Bürgermeister. Der Verkehrsfachmann der PI Brannenburg ist derzeit, wie halb Bayern, im Urlaub. Der stellvertretende PI-Chef Meinrad Beilhack verweist darauf, dass die Polizei in solchen Fällen nur beratend tätig sei. Das Staatliche Bauamt entscheide. Diese Einmündung sei kein Unfallschwerpunkt, so Beilhack. Genauer: „In den letzten zehn Jahren hat es dort keinen polizeilich aufgenommenen Unfall gegeben.“
Auch damit war noch nicht Schluss in der Flintsbacher Spiegel-Affäre. Eines Tages in diesem Sommer hing gegenüber der Einmündung ein Spiegel. Kein offizieller. Aufgestellt von Unbekannt. Nach einiger Zeit wieder abgebaut. Weil die Polizei das so wollte, hieß es in der Nachbarschaft. Stimmt so nicht. Denn am Ort des Geschehens gab es erneut ein Treffen der Experten. „Bei der Verkehrsschau, an der Vertreterinnen und Vertreter des Staatlichen Bauamtes Rosenheim, des Landratsamtes und der Polizei teilnahmen, wurde beschlossen, diesen rechtswidrig aufgestellten Spiegel entfernen zu lassen. Diesen Beschluss hat die zuständige Straßenmeisterei Rosenheim umgesetzt“, so die Sprecherin des Staatlichen Bauamtes, Ursula Lampe.
An der Stelle des entfernten Spiegels wurden seit dessen Abbau dreimal Holzkreuze auf diesem Privatgrund aufgestellt und zweimal wieder entfernt. Aktuell steht dort ein Kreuz. Ein Kreuz, wie man es von frischen Gräbern kennt. Ein Kreuz, wie es am Straßenrand an dort tödlich verunglückte Menschen erinnert. Auf dem Kreuz an der Einmündung Windschnurstraße ist zu lesen „Ruhe in Frieden lieber Spiegel“ und „Stefan, danke für nichts“. Wer das Marterl aufgestellt habe, wisse er nicht, sagt Steiner.
„Das ist
pietätlos“
Das ist Lederwascher letztlich auch egal. Er hätte zu Beginn der Ferien zu einem erneuten Ortstermin mit den Fachbehörden eingeladen, „aber den Termin gab es nicht und wird es auch nicht mehr geben.“ Nachdem das Kreuz aufgestellt wurde – „mit meinem Vornamen und einem Grablicht darauf“ – stehe er dafür nicht zur Verfügung. „Das ist pietätlos, das macht man nicht“, sagt ein hörbar aufgewühlter Lederwascher.