Aschau – eine „sorgende Gemeinschaft“

von Redaktion

Interview Elmar Stegmeier zur Früherkennung im neuen Gesundheits- und Pflegenetzwerk

Aschau – Das erste Demenz-Screening im Priental findet am Donnerstag, 12. September, in Aschau statt. Kaum war der Termin bekannt, gab es innerhalb weniger Stunden die ersten 40 Anmeldungen. Der Bedarf scheint riesig zu sein. Wie es weitergeht, wenn die Früherkennung erste Hinweise auf eine Demenz gibt, erklärt Elmar Stegmeier, der Vorsitzende des Ökumenischen Sozialdienstes Priental.

Demenz ist zwar kein gesellschaftliches Tabuthema mehr, aber bleibt im Alltag doch eher im Verborgenen. Warum holen Sie Demenz jetzt ausgerechnet im Priental mit einem Früherkennungsprogramm an die Öffentlichkeit?

Wir haben in unserem Versorgungsbereich einen hohen Anteil an betagten Menschen. Auf Grundlage der Statistik wissen wir, dass wir in den Gemeinden Aschau und Frasdorf pro Jahr mit etwa 150 neuen demenzerkrankten Patienten rechnen müssen. Für diese Menschen und ihre pflegenden Angehörigen müssen wir rechtzeitig eine Sorgegemeinschaft schaffen.

Wie schätzen Sie abseits der Statistik den konkreten Hilfebedarf im Priental ein?

Wir haben im Frühjahr einen Vortrag für Angehörige von demenzerkrankten Menschen angeboten. Die Resonanz war sehr stark. Auch für unser Demenz-Screening am Donnerstag (12. September) hatten wir innerhalb weniger Stunden die ersten 40 Anmeldungen. Das zeigt, wie groß das Interesse und damit vermutlich auch der Leidensdruck in den Familien ist.

Eine Demenz ist ein allmählicher Prozess und beginnt oft mit kognitiven Störungen. Ist in dieser Phase schon ein Hilfsnetzwerk erforderlich?

Je eher eine Demenz erkannt wird und je eher wir ein Netzwerk schaffen, auf das betroffene Familien zurückgreifen können, desto besser können wir sie auffangen. Das frühe Stadium einer Demenz ist für die Betroffenen und ihr Umfeld besonders schwierig. Sie merken, dass ihr Kurzzeitgedächtnis nachlässt, dass sie Gesprächen nicht mehr folgen können, den Faden verlieren, Gegenstände verlegen oder einfache Alltagshandlungen nicht mehr bewältigen können.

In manchen Fällen macht das Bewusstsein, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, die Betroffenen depressiv. Andere fühlen sich durch die Hilfsangebote ihrer Angehörigen bevormundet, reagieren gereizt oder sogar aggressiv. Das ist eine starke emotionale Belastung für alle. Die Angehörigen sind oft hilflos und mit der neuen Situation völlig überfordert. Deshalb ist es wichtig, dass sich Betroffene, Angehörige und Freunde rechtzeitig auf die Situation einstellen können.

Beim Screening werden etwa 20-minütige Tests durchgeführt. Was muss man sich da vorstellen?

Der Mini-Mental-Status-Test und der MoCa-Test sind Methoden, um leichte kognitive Störungen bei älteren Menschen zu erkennen. Sie werden beim Verdacht auf eine Demenz häufig als Erst-Tests angewandt, aber auch genutzt, um den Krankheitsverlauf zu verfolgen. In einem Gespräch werden gezielte Fragen zu Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen, Rechenfähigkeit und Sprache gestellt. Diese geben Hinweise auf die mentale Verfassung eines Menschen.

Diese Tests könnten auf eine beginnende Demenz hinweisen, ersetzen aber keine ärztliche Diagnose.

Wie geht es weiter, wenn kognitive Einschränkungen festgestellt werden?

Dann raten wir den Betroffenen, ihren Hausarzt aufzusuchen. Der nächste Schritt wäre eine Vorstellung beim Neurologen. Und natürlich bleiben auch wir mit den Familien im Kontakt.

Welche Schlussfolgerungen kann der Ökumenische Sozialdienst aus diesem Früherkennungsprogramm ziehen?

Die Ergebnisse geben uns Aufschluss über den konkreten Hilfebedarf in der Region. Daraus können wir ableiten, welche professionellen und ehrenamtlichen Unterstützungsangebote wir aufbauen müssen.

Welche Angebote macht der Ökumenische Sozialdienst bisher?

Unser Verein betreut mit 63 Mitarbeitern 250 Patienten in der ambulanten Pflege in einem großen Versorgungsgebiet von Sachrang bis Wildenwart. Wir betreiben in Aschau eine Tagespflegeeinrichtung mit 20 Plätzen. Außerdem bieten wir Hauswirtschaftshilfe und Essen auf Rädern an.

Wie sollen zusätzliche Angebote aufgebaut werden?

Wir wollen die vorhandenen medizinischen, pflegerischen und sozialen Unterstützungsangebote in einem Gesundheits- und Pflegenetzwerk verzahnen. Dazu gehören ambulante Pflegedienste, das gemeindliche Pflegeheim, Ärzte, Apotheken, Therapeuten, Vereine, Ehrenamtler sowie Angehörige und Freunde von Betroffenen.

Wir haben im Priental das große Glück, dass uns die Gemeinden Aschau und Frasdorf im Sinne einer kommunalen Daseinsvorsorge unterstützen.

Wie soll dieses Netzwerk aufgebaut und gepflegt werden?

Wir haben einen Fördermittelantrag zur Stärkung der Pflege im sozialen Nahraum gestellt und rechnen bis Ende des Jahres mit einem Bescheid. Unser Ziel ist es, im ersten Quartal 2025 am Bahnhof in Aschau und im Rathaus Frasdorf Beratungsstützpunkte zu eröffnen. Diese werden jeweils mit einer Gemeindeschwester besetzt sein, die das Netzwerk aufbauen, beleben und transparent machen.

Bei Bedarf gehen sie auch zu den Menschen nach Hause. Anhand der persönlichen Situation und des konkreten Hilfebedarfs wollen wir für die pflegebedürftigen oder demenzerkrankten Menschen und ihre Angehörigen individuelle Betreuungsmodelle schaffen.

Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Haben Sie keine Bedenken, dass dem Pflegenetzwerk das Personal fehlen wird?

Nein. Wir haben das Glück, dass wir im Team unseres Sozialdienstes eine erfahrene Gemeindeschwester haben. Durch das bereits in Aschau für den Landkreis Rosenheim existierende Koordinierungsbüro Gesundheit und durch die mobile Pflege des Ökumenischen Sozialdienstes gibt es bereits engen Kontakt mit vielen Gesundheitspartnern wie Ärzten, Therapeuten oder Apotheken.

Zudem hat Aschau eine starke, lebendige Dorfgemeinschaft, die zusammenhält und in einem solchen Netzwerk auch zu einer sorgenden Gemeinschaft wachsen kann.

Interview: Kathrin Gerlach

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