„Die Menschen schämen sich“

von Redaktion

Interview Dr. Sarah Straub über das sensible Thema Demenz und Hilfe durch Musik

Oberaudorf – Dr. Sarah Straub ist in der neurologischen Ambulanz der Uniklinik Ulm tätig und berät dort Erkrankte und deren Angehörige. Doch die 38-Jährige ist nicht nur Psychologin, sondern versucht auch, mit ihren Büchern und Liedern Demenzkranken zu helfen. Am kommenden Samstag, 14. September, hält sie einen Vortrag im Rahmen des ersten Demenztages im Oberaudorfer Kursaal. Der Seniorenbeauftragte der Gemeinde, Josef Gasteiger, hat die Psychologin, Liedermacherin und Buchautorin im Vorfeld besucht.

Sie sind sowohl als Psychologin als auch als Liedermacherin tätig. Wie kam es denn dazu, dass Sie diese beiden Bereiche so miteinander verbinden?

Musik war schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens. Sie bietet mir eine Möglichkeit, Gefühle und Gedanken auszudrücken, die Worte allein oft nicht vermitteln können. Als Psychologin habe ich festgestellt, dass Musik auch therapeutische Wirkung haben kann, besonders bei Menschen mit Demenz. Deshalb versuche ich, beides zu verbinden, um den Betroffenen und ihren Angehörigen eine zusätzliche Unterstützung zu bieten.

Wie kann die Musik
bei Demenz helfen?

Musik kann Emotionen und damit auch Erinnerungen hervorrufen. Damit ist es möglich, sich an gewisse Dinge zu erinnern oder Verbindungen aufzubauen. Musikalisches Training kann somit helfen, das Gedächtnis anzuregen und den kognitiven Abbau zu verzögern. Es ist nicht so, dass wir einer demenziellen Entwicklung hilflos ausgeliefert sind. Man kann sehr wohl Einfluss nehmen auf den Abbauprozess, auch wenn wir ihn noch nicht heilen können, aber wir können ihn verlangsamen.

Auf welche Art kann dieser Prozess noch verlangsamt werden?

Im Moment ist das Zielführendste immer noch die nichtmedikamentöse Therapie. Alles, was die vorhandenen Ressourcen stärkt, wie zum Beispiel Ergotherapie, Logopädie, Bewegungstherapie oder Musiktherapie, um nur einige zu nennen. Abgestimmt auf die Neigungen des Patienten, was ihm guttut. Es geht in erster Linie darum, ihn zu stabilisieren und den vorhandenen Status bestmöglich und so lange wie möglich zu erhalten. Die Medikamente, die auf dem Markt sind, helfen vergleichsweise schlecht. Es gibt auch nicht viele zugelassene Medikamente für die Alzheimererkrankung.

Kann man vorbeugend gegen diese Krankheit etwas tun?

Wir sollten unser Gehirn trainieren, wie ein Sportler seine Muskeln trainiert, auch wenn wir nicht krank sind. Alles was hilft, die Demenzerkrankung zu verlangsamen, hilft auch im Vorfeld, um eine Erkrankung nach hinten zu schieben, das Risiko zu minimieren. Zudem hilft eine gesunde Lebensweise, die für viele Erkrankungen erst einmal präventiv wirkt, wie eine mediterrane Ernährung mit frischem Gemüse, Olivenöl und Fisch.

Frische Lebensmittel und regelmäßige Bewegung sind ganz wichtig. Es gibt zudem viele Studien, die belegen, dass auch Sport das Gehirn stärkt. Sich geistig rege zu halten, soziale Kontakte zu pflegen und sich mit Dingen zu beschäftigen, die einem Freude bereiten. 

Wenn einem im zunehmenden Alter manchmal die Worte fehlen, ist man dann schon dement?

Nicht unbedingt, denn die geistige Leistungsfähigkeit kann auf unterschiedliche Weise abnehmen. Grundsätzlich gehört es natürlich auch zum gesunden Älterwerden dazu, dass man mal etwas vergisst oder nicht mehr so leistungsfähig ist. Wenn Defizite zum Beispiel in der Wortfindung, beim Gedächtnis oder der Orientierung mindestens sechs Monate vorhanden sind, die Beeinträchtigungen tendenziell schlechter werden und auch eigentlich routinierte Alltagstätigkeiten beschwerlich werden, dann ist es auf jeden Fall sinnvoll, zum Arzt zu gehen.

Wie früh sollte man einen Spezialisten aufsuchen?

Leider gibt es noch keine regelmäßigen Demenz-Check-ups. Die Menschen tun sich schwer, zum Arzt zu gehen, weil sie sich schämen. Der Begriff „Demenz“ ist bei uns so negativ besetzt, da bekommen die Betroffenen und Angehörigen natürlich Angst. Wir machen in vielen Bereichen Vorsorgeuntersuchungen, wieso sollte man nicht auch eine neurologische Vorsorge regelmäßig machen?

Insgesamt könnten Check-ups dazu beitragen, dass die Krankheit frühzeitig erkannt und besser behandelt oder ihr Fortschreiten verlangsamt werden könnte.

Wie gehen die Angehörigen mit so einer Erkrankung um?

Im Endeffekt ist Demenz eine Erkrankung, die nicht nur die Patienten betrifft, sondern auch die Angehörigen. Man muss dem Betroffenen eine Lebensumgebung schaffen, mit der er klarkommt. Je größer die Beeinträchtigungen, desto mehr profitieren die Betroffenen von Routinen, Sicherheit und klaren Strukturen. Darauf sollte sich der gesunde Partner oder auch andere Angehörige einstellen. Die Betreuung benötigt schließlich immer mehr Zeit und irgendwann ist es so weit, dass die Betroffenen nicht mehr allein gelassen werden können. Spätestens jetzt muss man Hilfe von außen holen. 

Und dann gibt es da natürlich auch noch die emotionale Ebene: Ich verliere jemanden sehenden Auges, während er noch neben mir sitzt. Hier handelt es sich um eine Art vorweggenommener Trauer. Es ist eine sehr große Leistung, pflegender Angehöriger zu sein. Da besteht die Gefahr, dass sich die Angehörigen überlasten und irgendwann selbst krank werden, was letztendlich dann zum Implodieren dieses ganzen Gefüges führt. 

Wie lässt sich
das verhindern?

Es ist ganz wichtig, dass man sich als Angehöriger Freiräume schafft zur Selbstfürsorge. Es darf kein schlechtes Gewissen entstehen, denn niemand lässt auf diese Weise seinen Partner, Vater oder Mutter im Stich. Ganz im Gegenteil: Nur wenn es den Angehörigen selbst gut geht, können sie auch wirklich für den Betroffenen da sein.

Was erwartet die Besucher beim Demenztag in Oberaudorf?

Mir geht es darum, Mut zu machen, um mit dem Thema umzugehen. Ich möchte, dass die Menschen verstehen, dass es wichtig ist etwas über Demenz zu wissen. Wir werden alle älter und ich will dem Thema den Schrecken nehmen. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass ein gutes Leben mit Demenz möglich ist. Wir können sehr wohl Lebensqualität erhalten. Das sehe ich als meinen Auftrag. Ich empfinde die Arbeit mit den Betroffenen selbst als großes Geschenk. Es ist so schön, Menschen mit Demenz zu begleiten. Wir müssen die Scheu verlieren, mit den Betroffenen umzugehen. Ich freue mich sehr auf den Austausch mit den Besuchern. Ich hoffe, dass ich durch meine Erfahrungen und mein Wissen einen kleinen Beitrag leisten kann, um Betroffenen und ihren Angehörigen zu helfen und ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie mit der Krankheit umgehen können.

Interview: Korbinian Sautter

Demenztagin Oberaudorf

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