Großkarolinenfeld – Im Ortshaus Tattenhausen sieht es aus wie in einem Seminarraum. Tische stehen in vier Gruppen zusammen, daneben sind Flipcharts aufgebaut und große Luftbilder des Ortes aufgehängt. Rund 40 Bürger sitzen an den Tisch-Inseln zusammen und diskutieren. „Der Verkehr gehört aus dem Ort raus“, sagt gerade ein Mann in der Gruppe „rot“. In Gruppe „blau“ stehen eine junge Frau und ein älterer Herr an der Karte und zeichnen die Tattenhausener Hauptstraße nach. „Wir brauchen zuerst einen Fußweg, bevor wir uns über eine Querungshilfe unterhalten“, sagt eine Dame in der Gruppe. Ein anderer Tattenhausener gibt zu bedenken: „Bei allen Maßnahmen dürfen wir nicht vergessen, dass der landwirtschaftliche Verkehr weiterhin durch den Ort durch muss.“
„Ins Gespräch
kommen“ als Ziel
Moderatorin Stephanie Pettrich sieht zufrieden aus. „Heute geht es darum, dass alle ins Gespräch kommen“, erklärt sie. Die etwas ungewöhnliche Veranstaltung ist eine „Kreativwerkstatt“, in der die Bürger in die Ortsentwicklung eingebunden werden sollen. Sie ist Teil des ISEK-Prozesses, den die Gemeinde Großkarolinenfeld gestartet hat. Bei diesem „Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept“ soll eine Zukunftsstrategie für Großkarolinenfeld mit dem Ortsteil Tattenhausen erarbeitet werden.
Bürgermeister Bernd Fessler erklärt, dass man ein klares Konzept brauche, um im Gemeinderat zukünftige Entscheidungen zu treffen. In der Tattenhausener Bevölkerung gibt es zum Beispiel Anliegen der weiteren Siedlungsentwicklung sowie nach einer Erneuerung des Kanalnetzes. Doch diese Fragen, so der Bürgermeister, seien nicht isoliert zu betrachten. Auch Belange der Infrastruktur, des Verkehrsnetzes und der sozialen Entwicklung müssten dabei mitgedacht werden. Die Grundfrage sei: „Was will Tattenhausen überhaupt?“
Gleichzeitig gebe es die Frage nach der Finanzierung solcher Maßnahmen. Wie Fessler erklärte, habe man versucht, Gelder über die Städtebauförderung zu bekommen. Vonseiten der Regierung von Oberbayern habe man dann erfahren, dass man dafür zunächst ein ISEK durchführen müsse – für Tattenhausen und Großkarolinenfeld.
Nach einer Auftaktveranstaltung mit rund 100 Besuchern sind die Kreativwerkstätten nun der nächste Schritt im Prozess. Der erste Workshop in Großkarolinenfeld fand bereits vor einer Woche statt. Dort standen für die Bürger Themen wie die „Dritte Röhre“ unter den Bahngleisen oder die Barrierefreiheit am Bahnhof im Mittelpunkt. In Tattenhausen brennt den Anwohnern insbesondere der Durchgangsverkehr unter den Nägeln, wie die Diskussionen zeigen. Moderatorin Pettrich hat den Teilnehmern das Vorgehen erklärt. Es sollen besondere Handlungs- und Problembereiche benannt, gemeinsam Lösungswege zur Attraktivierung erarbeitet und diese dann in den Plänen verortet werden.
Chancen und Hürden
verdeutlichen
Das Planspiel dient dazu, sich die Chancen, aber auch räumlichen Hemmnisse bewusst zu machen und Ortsentwicklung als Zusammenspiel einer Vielzahl an Faktoren und Meinungen zu erleben. Zunächst sollen die Bürger im Ortsplan einzeichnen, wo etwas passieren soll. Auf dem Flipchart kann anschließend eingetragen werden, was dort geschehen soll. Auf einer großen Skizze von Tattenhausen mit darauf liegendem, durchsichtigem Papier dürfen die Teilnehmer schließlich ihre Ideen gestalterisch darstellen. „Das ist das Schöne am heutigen Abend: Sie schlüpfen in die Rolle eines Planers und können Ihre Ideen direkt reinskizzieren“, so Pettrich. Am Ende stellt jede Gruppe ihre Ergebnisse vor. Neben einer generellen Verkehrsberuhigung etwa mit Fahrbahnverschwenkungen oder einer Tempo-30-Zone sowie neuen Geh- und Radwegen werden dabei Wünsche nach einer Einkaufsmöglichkeit im Ort, einer verbesserten Regenrückhaltung, einer optimierten Straßenbeleuchtung und der Nachverdichtung thematisiert.
Fachlich begleitet wird das ISEK nicht nur von Stephanie Pettrich vom Beratungsbüro Identität & Image Coaching AG aus Eggenfelden, das sich auf Bürgerbeteiligung spezialisiert hat. Mit dem Planungsbüro Claudia Schreiber Architekten und Stadtplanung aus München ist auch eine erfahrene Stadtplanerin anwesend. Sie und ihr Team haben bereits eine erste Bestandsaufnahme gemacht und eine Stärken-Schwächen-Analyse angefertigt. „Sie haben hier einen Spielplatz, ein Gasthaus, sogar ein Schwimmbad und Sie leben in einer wunderschönen Landschaft“, stellt Schreiber die Vorteile von Tattenhausen heraus. „Ich war im Sommer das erste Mal hier und es war einfach wunderschön“, erzählt sie. Doch es gebe auch Herausforderungen, wie die große Wohnraumentwicklung und den Verkehr, die Barrierefreiheit im Ort oder das ÖPNV-Angebot. Wie Schreiber erklärt, gebe das ISEK das städtebauliche Handwerkszeug an die Hand, woraus später ein Maßnahmenplan für die nächsten zehn bis 15 Jahre entwickelt werde. Dieser wird dann dem Gemeinderat als Empfehlung vorgelegt. Klar ist dabei: die Zukunft von Großkarolinenfeld und Tattenhausen soll zusammen mit den Bürgern vor Ort gestaltet werden.