Ausgerechnet Klärwärter

von Redaktion

Klärwärter, Verwaltungsangestellte – aufregend ist anders. Industriekletterer, Visagistin – das klingt viel spannender. Warum Silvia Wagner und Paul Steindlmüller sich für „unsexy“ entschieden haben und was ihre Freunde dazu sagen.

Stephanskirchen – „Paul, wie kommst du denn auf die Idee, ausgerechnet Klärwärter werden zu wollen?“ Der 15-Jährige kontert trocken: „Das heißt jetzt Umwelttechnologe für Abwasserbewirtschaftung“ und schon kommt sich die Reporterin steinalt vor. Warum er Umwelttechnologe für Abwasserbewirtschaftung werden will, verrät Paul Steindlmüller dann aber auch: „Ich bin viel draußen, es ist abwechslungsreich und jeden Tag kann was anderes kaputtgehen.“ Seit 1. September lernt er in der Kläranlage der Abwasserzweckverbände Simssee sowie Prien und Achental in der Bockau.

Am selben Tag hatte Silvia Wagner (16) ihren ersten Tag im Stephanskirchner Rathaus. Eventmanagement, das wäre ihr Ding. „Aber ich wollte dafür nicht in die Großstadt“, gesteht sie. Ihre Schwägerin arbeitet in der Rosenheimer Stadtverwaltung. Von ihr weiß sie, wie vielfältig die Aufgaben einer kommunalen Verwaltung sind. „Ich schaue mir während der Ausbildung alles an und sehe dann, was mir am besten gefällt“, sagt sie. Besonders genau wird sie wohl bei der Öffentlichkeitsarbeit und allem Kulturellen hinschauen. Darauf festlegen? Nein, sie lässt sich auch gerne überraschen.

Eine Ausbildung beim Abwasserzweckverband oder in der Gemeindeverwaltung – sexy ist anders. Bei Buben gerne alles rund ums Auto, oder Kunststoff- und Kautschuktechniker oder Industriekletterer beispielsweise, bei Mädchen gerne alles rund um Schönheit und Mode, Goldschmiedin oder Fotografin. Was haben denn die Kumpels und Freundinnen ob der Berufswahl gesagt? „Oreidig“, sagt Paul und grinst. Ist ihm aber egal. Er wusste nach einem von der Mutter organisierten Praktikum in der Kläranlage, dass er da richtig ist, „des passt“. Silvias Freundinnen haben eher gelassen reagiert, „die sind selber in ähnliche Richtungen unterwegs, lernen zum Beispiel beim Steuerberater.“ An die Sicherheit eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst haben die beiden bei ihrer Entscheidung offensichtlich nicht gedacht, zu verdutzt sind die Gesichter auf die entsprechende Frage. Sie sind 15 und 16 Jahre alt, mit dem Auto zur Arbeit fahren funktioniert noch nicht. Paul fängt außerdem schon um 6.15 Uhr in der Bockau an. Stört ihn nicht, „wir haben einen Stall daheim“, da ist er frühes Aufstehen gewöhnt. Und da seine Mutter nur ein paar Meter weiter arbeitet, kommt er auch problemlos zu seinem Ausbildungsplatz. Auch Silvia ist nicht aus Stephanskirchen. In ihrem Heimatort wollte sie aber nicht lernen, da kennt sie zu viele Leute. Sie hat praktischerweise eine direkte Busverbindung zum Arbeitsplatz.

Noch haben die beiden keine Alltagsroutine. „Den ganzen Tag in der Arbeit zu sein, ist noch ungewohnt“, sagt Silvia. Paul hat festgestellt, dass es ganz schön anstrengend ist, den ganzen Tag auf den Beinen zu sein, „irgendwann wird‘s zach. In der Schule sind wir ja immer nur gehockt.“

Gut aufgenommen fühlen sich beide Jugendlichen. Paul hat ziemlich viele Freiheiten, „wenn mich was interessiert, kann ich da hinstiefeln und es mir anschauen und erklären lassen.“ Seine neun Kollegen versorgen ihn immer mit Aufgaben und Wissen. Der Welpenschutz dauerte gerade mal zwei Stunden. Seitdem packt er mit an. Silvias Kollegen im Rathaus haben alle ein Auge darauf, dass sie etwas zu tun hat, sinnvoll beschäftigt ist oder ob sie etwas wissen will. „Die kümmern sich“, sagt sie mit einem strahlenden Lächeln.

Silvia hat sogar eine eigene „Kümmerin“: Lisa Eschenauer, selbst gerade erst mit ihrer Ausbildung zur Verwaltungsangestellten fertig, hatte die Idee, Azubis im Rathaus einen Ansprechpartner in einem ähnlichen Alter zur Seite zu stellen. „Zu den Chefs geht man ja doch nicht gleich soooo gerne“, sagt sie. Kaum hatte Lisa Eschenauer den Vorschlag gemacht, war sie schon Tutorin. Paul, der von lauter Männern im Vater- und Großvateralter umgeben ist, hat das nicht. Vermisst die eine Bezugsperson aber auch nicht. „Die sind alle ansprechbar“, hat er festgestellt. Sein Chef, gerade im Gang unterwegs, hört das durch die sich öffnende Tür und freut sich.

Rathaus und Kläranlage werden den beiden Jugendlichen langsam vertraut. Aber sie waren noch nicht an der Berufsschule. Silvia hat regelmäßig eine Woche Blockunterricht in Traunstein. Könnte täglich pendeln. Die Option hat Paul nicht. Sein Blockunterricht – mal zwei, mal vier Wochen am Stück – ist in Lauingen an der Donau. Mit 15 allein vier Wochen weg von dahoam? „Werd scho‘.“

Artikel 1 von 11