Stephanskirchen – Die Gemeinde Stephanskirchen wird von einem Netz aus Staatsstraßen durchzogen. „Da haben wir als Gemeinde nichts zu sagen“, könnte sich die Kommune zurücklehnen. Doch das macht sie nicht. „Wir wollen eine attraktive und sichere Infrastruktur für Radfahrer, um den Umstieg vom Auto aufs Fahrrad zu erleichtern“, betont Bürgermeister Karl Mair. „Dafür brauchen wir auch die Unterstützung übergeordneter Behörden, zuerst einmal aber ein fundiertes Radverkehrskonzept mit Maßnahmen für die gesamte Gemeinde.“
Erster Schritt ist ein
Wunschliniennetz
Die Grundlagen dafür stellten Sarah Dartenne und Maurice Funk vom Stadt- und Verkehrsplanungsbüro Kaulen jetzt vor und gaben damit den Auftakt für eine breite Bürgerbeteiligung, um das Konzept auf Wissen und Erfahrungen der Radler aufzubauen. „Das ist ein Riesenmeilenstein, für den viele Menschen eine enorme Vorarbeit geleistet haben“, freute sich Frank Wiens, seit fünf Jahren ehrenamtlicher Radverkehrsbeauftragter der Gemeinde, über den Startschuss und die große Resonanz.
Das Foyer des Rathauses war bis auf den letzten Platz gefüllt. Beim Workshop bildeten sich große Menschentrauben vor den einzelnen Stationen. Mit einem Ziel: „Wie kommen wir alle besser voran und zu mehr Lebensqualität“, so Wiens.
Was ist geplant: Stephanskirchen braucht ein durchgehend sicheres Radwegenetz für Alltag und Freizeit, sichere Verbindungen von den Wohnbereichen zu den wichtigsten Zielen: zur Arbeit, in Kita oder Schule, zum Einkauf, ins Rathaus, in die Nachbargemeinden und an den Simssee. Die Planer legten einen Entwurf aus Haupt- und Nebenstrecken vor. „Ein Wunschliniennetz“, wie es Maurice Funk nannte. Und obwohl auch Hindernisse wie Höhensprünge, Flüsse, Seen und Bahnlinie betrachtet wurden: Der geplante Verlauf des Brenner-Nordzulaufs wurde negiert, denn „wir gehen mal davon aus, dass er nicht kommt“, sagt Mair. Außerdem wolle man der Bahn kein falsches Signal senden. Und dann waren die Erfahrungen der Stephanskirchner gefragt: Wo gibt es Sicherheitsmängel? Welche Ideen und Wünsche haben sie, um Gefahrenpunkte zu entschärfen? Wer möchte wohin und braucht dafür welche Wege? Und wo gäbe es alternative Routenvorschläge? Nicht zu übersehen war, dass Innbrücke und Salzburger Straße mit dem Schloßberg das gefährlichste Pflaster sind: nicht nur für Eltern mit Kinderanhängern oder Lastenrädern, sondern auch für Senioren, Schüler und alle, die nach Rosenheim wollen. Der Radweg ist viel zu schmal, der Abstand zu Pkw und Lkw bedrohlich gering. Und so ist jeder Radler froh, wenn er seinen „Überlebenskampf am Schloßberg“ gewonnen hat.
Vorgeschlagen wurde die grundlegende Umgestaltung des Verkehrsraumes, damit für alle genug Platz ist: beispielsweise durch die Abgrenzung eines sicheren Radweges oder durch eine Fahrrad- oder Hängebrücke über den Inn. Vielleicht sogar vom „Gipfel“ aus? Gut wäre es zudem, so ein Wunsch, wenn oben am Berg an einem Signal erkennbar wäre, wann die Ampel unten auf Rot schaltet. Kosten, Eigentumsverhältnisse, Straßenlastträger oder technische Machbarkeit spielten im Workshop keine Rolle. Neu und groß zu denken war ausdrücklich erwünscht.
Nach den Alltagserfahrungen der Bürger fehlen an der Salzburger Straße weiter oben im Ortskern Querungshilfen. Und es werden Konzepte gebraucht, damit für alle ausreichend Platz ist: für ruhenden und fließenden motorisierten Verkehr, für Bushaltestellen, Radler, Rollstuhlfahrer sowie Fußgänger mit und ohne Kinderwagen oder Rollator. „Damit wir alle gemeinsam unterwegs sein können und alle heil ankommen“, wie es Frank Wiens formulierte.
Als Gefahrenzonen wurden unter anderem auch die Wasserburger und die Rohrdorfer Straße markiert. Alle Vorschläge sollen in die Planungen einfließen. „Wir schauen uns vor Ort an, was machbar ist“, kündigte Sarah Dartenne an: ob Ausbau, Neubau oder Beschilderung erforderlich sind. Welche Oberflächen sich anbieten. Welche Breite möglich ist. Ob der Radverkehr über Radwege, Fahrradstraßen, Schutzstreifen, Radfahrstreifen oder durch Tempo-30-Zonen geführt wird. Priorität, so betonte sie, hätten Konfliktstellen, Schulwegsicherung und Alltagswege.
Eine wichtige Rolle im Konzept spielt auch der Service. Wo gibt es Reparaturstationen, E-Bike-Ladestation oder Ausleihstationen für E-Lastenräder. Wo fehlen Fahrradstellplätze? Und wie ist die Verknüpfung mit dem ÖPNV? Auch hier formulierten die Bürger ihre Wünsche – wie nach einem Bahnhalt in der Gemeinde – und pinnten sie auf der Landkarte an ihren Wunschort. Noch ist Stephanskirchen nicht fahrradfreundlich, aber auf dem Weg zu einem sicheren, respektvollen und (fahrrad-)freundlichen Miteinander auf den Straßen der Gemeinde „Dieser Weg wird nicht einfach werden, doch wir wollen ihn gemeinsam mit den Bürgern gehen“, betonte Mair. Im Herbst 2025 soll das Radverkehrskonzept fertig sein. Die Umsetzung ist ein langwieriger Prozess, wird „10 bis 15 Jahre dauern“, wie Dartenne schätzte.
Online-Befragung
und Gespräch
Bis zum 10. November gibt es weitere Beteiligungsmöglichkeiten für interessierte Bürger: Im Rahmen der Online-Befragung besteht zusätzlich die Chance, einen Rucksack mit Freizeit-Fahrradzubehör im Wert von circa 100 Euro zu gewinnen. Wer das direkte Gespräch bevorzugt, hat dazu am Mittwoch, 30. Oktober, von 9.30 bis 13 Uhr am „Marktstand“ zum Radverkehrskonzept auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus Gelegenheit.