Großkarolinenfeld – Der Brenner-Nordzulauf bedroht 86 Prozent der Landwirte in der Region in ihrer Existenz. Auch Jenny und Georg Dürr aus der Gemeinde Großkarolinenfeld. Doch wurden ihre Sorgen bei der Anhörung im Verkehrsausschuss des Bundestages gehört?
Jenny Dürr fällt es schwer, Worte zu finden. Sie erwartet von der Politik nichts mehr, sagt die junge Bäuerin aus Ödenhub (Gemeinde Großkarolinenfeld). Die Hoffnung konnte ihr die Anhörung zum Brenner-Nordzulauf vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages zwar nicht nehmen. Doch sie fühlt sich bestätigt in dem, was sie schon lange weiß: „Es ist ein abgekartetes Spiel: Der Brenner-Nordzulauf muss unbedingt kommen. Die Bürgerdialoge und die Anhörung in Berlin sollten nur den Anschein erwecken, als wäre es ein demokratischer Prozess, als hätten wir Bürger ein wirkliches Mitspracherecht bei den Planungen.“
Interesse an Sorgen und Alternativen?
Zur Anhörung im Verkehrsausschuss, kritisiert die 31-Jährige, seien vor allem Lobbyisten der Bahn zu Wort gekommen. Vom Auftreten der Vertreter aus dem Landkreis Rosenheim ist sie enttäuscht. „Es geht doch nicht darum, für mehr Tunnel oder eine Verknüpfungsstelle im Berg noch mehr Milliarden auszugeben. Der Brenner-Nordzulauf ist ein Irrsinn, dafür werden Milliarden verschleudert, Landschaft zerstört und Existenzen vernichtet.“
In Ödenhub gehen acht Hektar verloren
Nach Schätzungen des Kreisbauernverbandes bedroht der Flächenverbrauch für die Hochgeschwindigkeitstrasse inklusive der ökologischen Ausgleichsflächen etwa 86 Prozent der Landwirte in der Region in ihrer Existenz. Landrat Otto Lederer hat das im Verkehrsausschuss zwar klargemacht. „Darauf eingegangen ist aber keiner der Politiker. Genauso wenig wie auf die verträgliche Alternative, die die Bürgerinitiativen vorgelegt haben“, ist Jenny Dürr enttäuscht. Wird der Brenner-Nordzulauf nach den Plänen der Bahn gebaut, ist die Hofstelle von Jenny und Georg Dürr in Ödenhub massiv betroffen. Dann führt die Neubaustrecke zweispurig quer über ihre Felder in Richtung Deutelhausen. Dann sollen die Staatsstraße 2080 verlegt, eine neue Ortszufahrt nach Ödenhub geschaffen, ein riesiges Regenrückhaltebecken und eine Rettungszufahrt für die Bahnstrecke gebaut werden. Alles auf ihren Flächen. Mindestens acht Hektar würde Familie Dürr verlieren. Weide und Acker. Beton statt Futter.
Es könnte noch schlimmer kommen. Der Bau auf der „grünen Wiese“ hat nach Angaben der Bahn auch den Vorteil, dass sie „frei in der Entscheidung“ ist, ob sie „die Baustelleneinrichtungs- oder Bereitstellungsflächen südlich oder nördlich der Trasse“ plant. Erst in der Entwurfs- und Genehmigungsplanung, heißt es, würden Bauablauf, Baulogistik oder Transportwege weiterentwickelt und der konkrete Flächenbedarf je Flurstück ausgewiesen.
Brenner durchkreuzt langfristige Pläne
Jenny und Georg Dürr produzieren gesunde Lebensmittel – im Einklang mit der Natur. Für ihren Traum arbeiten sie an 365 Tagen im Jahr, ohne Urlaub in der Ferne. „Unser Hof, der Garten und die herrliche Natur in unserer Region bieten genug Abenteuer“, sagt Jenny. Sie reduziert die Landwirtschaft nicht auf die harte Arbeit. „So ein Hof ist Leben, er ist das Lebenswerk vieler Generationen.“ In sechster Generation wird der Hof in Ödenhub bewirtschaftet. Einst noch in Anbindehaltung. Heute nach neuesten Tierwohlstandards. Für 100 Milchkühe und ihre Kälber haben die jungen Landwirte eine Million Euro investiert und 2023 einen modernen Stall gebaut. Bis zur Rente sollte er abgezahlt sein, um die Weichen für die nächste Generation zu stellen. Denn vielleicht erbt ja einer ihrer Söhne – Georg (8), Quirin (7) und Anton (2) – ihre Leidenschaft und übernimmt eines Tages die Landwirtschaft.
Sind diese Pläne nun passé?„Es geht immer irgendwie weiter“, ist Georg Dürr zuversichtlich. Auch wenn ihn die Vorstellung plagt, dass der Bau in zehn Jahren beginnt und ihr Leben dann jahrelang enorm beeinträchtigt. Im Alltag blenden sie das Mammutprojekt aus, denn „sonst würde man ja durchdrehen.“ Mit den Planern der Bahn haben sie vor Ort gefachsimpelt, ob sich der Flächenverbrauch in ihrem Bereich reduzieren ließe. „Denn brauchen wir beispielsweise eine extra Zufahrtsstraße nach Großkarolinenfeld, wenn nur wenige Kilometer weiter andere existieren?“, stellt Jenny in den Raum. Drei Alternativvarianten wurden besprochen. Doch ob sie in die Planungen einfließen? Man wird sehen.
Braucht das Land noch ein „Milliardengrab“?
Was Jenny und Georg Dürr viel größere Sorgen bereitet als die eigene Existenz, ist das große Ganze. „Man hat das Gefühl, dass die Politiker die komplexen Zusammenhänge einer Gesellschaft nicht mehr verstehen“, sorgt sich Jenny und hofft, „dass sie zur Vernunft kommen.“ Doch seit der Anhörung ist sie ernüchtert: Statt sich mit dem Alternativvorschlag intensiv zu beschäftigen, um eine kostengünstigere und landschaftsschonende Variante zu untersuchen, werde am Prestige-Projekt der Neubautrasse festgehalten. „Ein Milliardengrab! Und das will sich unser Land leisten – angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage und der fehlenden Gelder für unsere Rentner, für Pflege, Gesundheitswesen oder Schulbildung? Dieser Irrsinn macht mich wütend.“