Rohrdorf – Die Schlange am Eingang der Rohrdorfer Turnhalle ist lang. An einem Tisch sitzt der Star des Abends: Reinhold Messner. Der Rekord-Bergsteiger gibt Autogramme, spricht mit Fans, signiert Bücher, macht Fotos. Knapp 1000 Menschen sind am Samstagabend in das 6000-Einwohner-Dorf gekommen. „Die Warteliste für Tickets war ewig lang“, sagt Martin Fischbacher, Vorsitzender des Bürgerblocks Rohrdorf und Dritter Bürgermeister der Gemeinde. Er hat Messner nach Rohrdorf geholt und die Veranstaltung auf die Beine gestellt. „Wir hätten den Saal nochmals füllen können“, freut er sich.
„Toll, was hier für
die Kultur getan wird“
Ehefrau Diane weicht nicht von Messners Seite. Auch sie gibt Autogramme, spricht mit den Gästen. Für den Vortrag platziert sie sich in der ersten Reihe. Ehe Messner die Bühne betritt, holt er sich noch einen Kuss ab. Es ist bereits sein zweiter Besuch in Rohrdorf, erzählt der 80-Jährige zu Beginn seines Vortrags mit dem Titel „Überleben“. Er ist gerne in kleineren Orten, sagt er im Gespräch mit dem OVB. „Die Zuhörer sind sehr dankbar, oft anders als in den großen Städten“, sagt Messner. „Es ist ganz toll, was hier für die Kultur getan wird.“
„Ich glaube, einiges über das Leben zu wissen“, sagt Messner zu Beginn und erzählt von seiner Kindheit in den Dolomiten. „Einen wesentlichen Teil meines Erfolges verdanke ich meiner Mutter“, sagt Messner. „Sie hat mich und meinen Bruder Günther ziehen lassen – obwohl sie nicht wusste, ob wir am Abend wieder nach Hause kommen.“
Der Alpinist spricht von einer Tour, bei der sie die Orientierung verloren. Bei der sie, mit gefrorener Kleidung, nur im Licht der Blitze eines Gewitters den Weg nach unten gefunden haben. „Das war die erste Tour, wo wir ums Leben hätten kommen können“, sagt Messner.
Günther war nicht nur Messners Bruder. Er war sein Wegbegleiter, Vertrauter. Gemeinsam haben die Brüder zahlreiche waghalsige Abenteuer gewagt. So auch die Besteigung des Nanga Parbat im Himalaya. 40 Tage und 40 Nächte waren die Messner-Brüder unterwegs, ehe sie knapp unter dem Gipfel der Südwand ankamen. Den Nanga Parbat nennt Reinhold Messner seinen „Schlüsselberg“ oder auch „Schicksalsberg“. Dort sah er seinen Bruder das letzte Mal lebend. Denn beim Abstieg gerieten die beiden in Schwierigkeiten. Günther zeigte auf dem über 8000 Meter hohen Berg erste Anzeichen der Höhenkrankheit. „Es war ein Abstieg der Verzweiflung“, sagt Messner in Rohrdorf.
Schließlich geriet sein Bruder unter eine Lawine. „Ich habe mich am Ende mehr kriechend als laufend zu den Einheimischen durchgeschlagen“, erzählt er. Diese retteten ihm letztlich das Leben – wofür er bis heute unendlich dankbar ist.
Verbundenheit
zu den Bergvölkern
Seine Verbundenheit zu den Bergvölkern wird im Laufe des Abends immer deutlicher. Obwohl er nicht dieselbe Sprache spricht wie die Menschen dort, eint sie doch eins: der Respekt vor der Natur, vor dem Berg. Daher setzt er sich auch seit Jahren für die Menschen vor Ort ein und versucht, besonders den Kindern eine Perspektive zu ermöglichen.
So hat Messner im Dorf am Fuße des Nanga Parbat eine Schule gebaut und sich dafür eingesetzt, dass auch Mädchen dort den Zugang zu Bildung erhalten. Das sei in einem muslimisch geprägten Land wie Pakistan keine Selbstverständlichkeit. „Ich hatte viele Gespräche und Auseinandersetzungen mit dem Ältestenrat.“
Immer wieder erntet Messner auch während des Vortrags Applaus vom Publikum. Beispielsweise, als er erzählt, dass er vom Fahnen-Schwingen auf Gipfeln nichts hält. „Wir sind keine Kolonialisten, sondern Abenteurer.“ Man solle nicht in die Berge gehen, um sie zu erobern, sondern um sie zu erleben.
„Das ist nicht
mein Alpinismus“
Vom Massen-Tourismus am Mount Everest hält Messner nichts. „Das ist nicht mein Alpinismus“, sagt er. „Nicht alles muss touristisch zugänglich gemacht werden.“ Mit lautem Applaus stimmt das Publikum in Rohrdorf zu. Was Reinhold Messner heute im Alter von 80 Jahren klar ist: Er will keinen Groll hegen.
Dem 80-Jährigen entgeht nicht, wie sich die Bergwelt verändert hat. „Es ist gefährlicher geworden“, sagt er. Gletscher schmelzen, Felsen, die der Permafrost zusammenhielt, bröseln.
Er appelliert daran, den eigenen Konsum zurückzuschrauben. „Das kann jeder Einzelne tun.“ Seine Ansicht, seine Erlebnisse und seine Erfahrungen möchte Messner auch weiterhin in die Welt hinaustragen. „Das Alter stört mich nicht“, sagt er. Er möchte seine Zeit nutzen, soweit seine Kräfte es erlauben.
„Ich habe weiterhin hoffentlich den Kopf in den Wolken und die Beine fest auf der Erde“, schließt er seinen Vortrag – und erntet langen Applaus und Standing Ovations.