„Bevor einer schießt, schieße ich“

von Redaktion

Geldtransporter-Überfall in Großkaro – Details über Brutalität der Tat

Traunstein/Großkarolinenfeld – Einen spektakulären Überfall auf einen Geldtransporter mit einer Beute von 475000 Euro in Großkarolinenfeld versucht die Neunte Strafkammer am Landgericht mit Vorsitzender Richterin Barbara Miller derzeit im Raubprozess gegen einen 29-Jährigen und dessen 49-jährigen Vater aufzuklären. Zwei Unbekannte hatten den Transporter mit dem Sohn am Steuer am Morgen des 5. Januar 2024 abgepasst. Der Vater soll als Drahtzieher im Hintergrund gewirkt haben.

„Überfall“-Schreie
und dann Schläge

Wichtigster Zeuge in dem Verfahren ist ein 62-Jähriger aus Rosenheim, dem Rechtsanwalt Harald Baumgärtl als Zeugenbeistand zur Seite steht. Der Zeuge sollte ursprünglich gemäß Dienstplan den Geldtransporter lenken, der 29-Jährige hinten im Wagen sein und als Bote die Geldbombe ausliefern. Der Angeklagte soll auf einen Wechsel der Funktionen gedrungen haben. Der Zeuge willigte ein, wie er gestern erklärte. An jenem 5. Januar 2024 führte die Tour zuerst nach Kolbermoor, dann nach Schloßberg und in die Stadt Rosenheim. Bei Western Union holte man Geld, ehe mit dem Fahrzeug Richtung Großkarolinenfeld zur VR-Bank gefahren wurde. Als der Geldtransporter geparkt hatte, stürmten die beiden maskierten Männer nach Worten des 62-Jährigen aus einem weißen Kastenwagen von der anderen Straßenseite herüber und riefen: „Überfall.“ Sie schlugen auf den Geldboten ein, der am Aussteigen war. Der Versuch, zurück in den Transporter zu gelangen, scheiterte. Bei weiteren Schlägen fiel der Zeuge auf die Geldbombe. Deshalb kamen die Täter nicht an den Behälter und auch nicht an die Schusswaffe, die im Holster des 62-Jährigen steckte.

Die Unbekannten droschen weiter ziemlich massiv auf ihn ein – mit einer Pistole, vielleicht auch mit einem Schlagstock. Dazu der Zeuge: „Ich habe mein Gesicht mit den Händen geschützt. Es waren harte Gegenstände.“ Der Zeuge rollte von dem Geldbehälter herunter, den sich der kleinere Maskierte schnappte. Er lief zu dem weißen Kastenwagen auf der anderen Straßenseite, der zweite Unbekannte hinterher. Der Zeuge erinnerte sich: „Beide trugen Waffen. Ich dachte, bevor einer schießt, schieße ich. Ich habe in Richtung der Beine geschossen und dann Alarm gegeben.“

Unter den Zeugen waren zwei Polizeibeamte. Auch sie berichteten über einen Schusswaffengebrauch. Niemand sei verletzt worden. Ein Schuss habe einen Stromkasten getroffen, der zweite ein geparktes Auto. Oberstaatsanwalt Dirk Dombrowski informierte auf Verteidigerfragen, gegen den 62-Jährigen seien Ermittlungen wegen des Schusswaffengebrauchs eingeleitet, zwischenzeitlich aber eingestellt worden. Die Anwälte forderten gestern Akteneinsicht in das Verfahren. Auf Fragen der Verteidiger an die Polizisten wurde erkennbar: Sie wollen den Tatverdacht offenbar auf den Geldboten lenken.

Die Vernehmung des 62-Jährigen dauerte gestern den ganzen Nachmittag. Die Vorsitzende Richterin fragte nach zahlreichen Details – allgemein, etwa zum Dienstplan und personellen Wechseln, wie auch zu dem konkreten Geschehen in Großkarolinenfeld, das nur gut drei Minuten dauerte, wie die Geldtransportfirma später feststellte. Der Zeuge trug ein lädiertes Schienbein, Blessuren an den Knien und Kopfschmerzen davon. Schnell traf damals ein Krankenwagen ein, der ihn verarztete. Ein Hubschrauber kreiste, zahlreiche Polizisten erreichten den Tatort.

Zeuge monatelang
außer Gefecht

Mehrere Punkte deuteten gemäß der Aussage des 62-jährigen Zeugen bereits unmittelbar nach dem Überfall auf eine mögliche Beteiligung des 29-jährigen Angeklagten hin. Er habe etwa nicht sofort den Alarm ausgelöst, sei ihm hinten im Auto nicht zu Hilfe gekommen, habe auf seine Schreie nicht reagiert und sei auch nicht während des Überfalls mit dem Transporter ein Stück weitergefahren.

Der 62-Jährige war nach dem Geschehen monatelang außer Gefecht. „Ich war fix und fertig“, sagt er. Eine Wunde verheilte nicht gut. Er hatte Albträume, benötigte psychologische Hilfe. Seinem Beruf blieb er treu, reduzierte aber die Dienstzeit.

Das Verfahren wird am 6. November um 9 Uhr fortgesetzt. Mit dem Urteil wird Ende November gerechnet.

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