Chiemgau – Ist „Rosi“ noch zu retten? Momentan sieht es schlecht aus. Die Kosten für das Rufbus-Projekt, das seit zwei Jahren in elf Chiemgau-Gemeinden läuft, sind explodiert. Die Gemeinden sollen ein 1,7-Millionen-Euro-Defizit übernehmen. Der Landkreis will es nicht tragen, obwohl er das eigentlich müsste.
Riesiges Finanzloch
nach nur zwei Jahren
Der Rufbus im westlichen Chiemgau ging vor zwei Jahren an den Start. Und erwies sich als absoluter Senkrecht-Starter. Die Nachfrage war unerwartet groß. Generationsübergreifend, bei Einheimischen und Touristen. Die einen lassen sich zum Termin in den Nachbarort oder zu Ausflugszielen kutschieren. Die Nächsten kommen sicher von der Party nach Hause. Sogar schlaflose Nächte mit „Rosi“ gibt es: samstags bis 3 Uhr und sonntags bis 5 Uhr morgens.
Kein Wunder also, dass „Rosi“ viel häufiger unterwegs ist als gedacht – statt der geplanten 133000 weit über 600000 Kilometer im Jahr. Die Kilometer haben sich verfünffacht, die Einnahmen verdreifacht und die Kosten verdoppelt.
Schon nach dem ersten Betriebsjahr, im Mai 2023, wurde gegenüber der Kalkulation von 2017 eine Kostenexplosion von rund 65 Prozent registriert. Im ersten Betriebsjahr fehlten 102000 Euro in „Rosis“ Kassen, im zweiten 20000 Euro. Tendenz steigend: Im sechsten Betriebsjahr werden nach aktuellen Prognosen mindestens 348000 Euro fehlen. Damit wird das Pilotprojekt um insgesamt 1,7 Millionen Euro teurer als geplant.
Gemeinden sollen
Defizit übernehmen
Seit Juni ist der Rufbus deshalb Thema in den elf Gemeinden, die angefahren werden. Seitdem ist „Rosis“ guter Ruf – zumindest der finanzielle – angekratzt. Und die entscheidende Frage ist, ob sich die Gemeinden das Projekt noch leisten können. So soll etwa Aschau statt des avisierten „gedeckelten Anteils“ von 175000 Euro über die gesamte Projektlaufzeit voraussichtlich 393200 Euro schultern. Eine Steigerung von 125 Prozent. „Keine Frage, Rosi ist durchweg ein gutes Angebot, insbesondere für die Jugendlichen und Senioren im ländlichen Raum“, sagt Bürgermeister Simon Frank.
Allerdings wirft neben der Wirtschaftlichkeit des Projektes auch die Kalkulation Fragen auf. Nach dem ersten Betriebsjahr sollte die Gemeinde bereits 194000 Euro zahlen. Im Dezember 2023 waren es plötzlich 322000 Euro, im März 2024 dann schon 368500 Euro und im Juni schließlich 393200 Euro. „Und da sind wir noch nicht einmal in der Halbzeit“, verdeutlicht Frank das unkalkulierbare Projekt. Zahlenmaterial, das die Gründe für die Kostenexplosion nachvollziehbar macht, liegt der Gemeinde nicht vor. Weil die Nachfrage größer als erwartet ist, weil Energie- und Lohnkosten gestiegen sind, heißt es von der Rosenheimer Verkehrsgesellschaft (RoVG) als bisherige Betreiberin. Weil der Freisaat seine anfänglich kalkulierten Fördermittel gekürzt habe.
„Wir haben keine Planungssicherheit und deshalb unser Veto eingelegt“, erklärt Bürgermeister Frank. „Schließlich stehen wir in der Verantwortung, die Steuergelder im Rahmen einer soliden Haushaltsführung wirtschaftlich und verantwortungsvoll einzusetzen.“ Die Aschauer machten eine eigene Kalkulation, stockten ihren einstigen Deckelbetrag von 175000 Euro um die allgemeinen Kostensteigerungen von rund 27 Prozent nach harmonisiertem Verbraucherpreisindex auf. Das Ergebnis: Die Gemeinde ist bereit, über die gesamte Projektlaufzeit Nachforderungen bis zu einer Höhe von 225 000 Euro zu zahlen. Mehr aber nicht: Bleibt eine Differenz von 168200 Euro – allein für die Gemeinde Aschau.
Der Gemeinderat Rimsting hat den steigenden Kosten einen Riegel vorgeschoben: 133000 Euro für sechs Jahre waren geplant, jetzt sollen es 270000 Euro werden. Auch Eggstätt, Breitbrunn und Höslwang sprachen sich gegen eine Defizitübernahme aus. „Rosi wird gut angenommen, wir möchten den Rufbus erhalten“, sagt Höslwangs Bürgermeister Johann Murner. „Aber wir wollen mit unserer Entscheidung dazu motivieren, dass die Defizite reduziert werden.“ Bisher sieht er nicht ausreichend Bemühungen beim Betreiber, die Kosten zu senken. Und einen „Freibrief“, dass jegliche Defizite, egal wie hoch sie ausfallen, automatisch und ohne vertragliche Regelung auf die Gemeinden umgelegt werden, dürfe es nicht geben.
Bad Endorfs Bürgermeister Alois Loferer ist überzeugt vom Rufbus „Rosi“ und wünscht sich, dass diese Einstellung auch alle anderen Projektpartner teilen würden. „Wir haben das Projekt gemeinsam mit dem Landkreis und der RoVG aufgebaut. Und dabei muss jedem klar gewesen sein, dass die Kostenansätze von 2018 nicht den tatsächlichen Kosten ab 2022 entsprechen würden“, sagt er. Bad Endorf habe der Defizitübernahme zugestimmt. „Aber nicht etwa aus Blauäugigkeit, sondern weil der Ruf-Bus ein aktiver Beitrag zur Verkehrswende ist und sehr gut angenommen wird.“
Am Samerberg wurde die Entscheidung vertagt. Auch diese Gemeinde will Klarheit, fordert konkretere Zahlen vom Betreiber, um Kosten und Nutzen wirklich abwägen zu können.
Schwierige
Gemengelage
Die aktuelle „Gemengelage“ steht 6:4:1 und ist kompliziert: Sechs Gemeinden sind bereit, das oder einen Teil des Defizits zu übernehmen: Aschau, Gstadt, Bernau, Frasdorf, Bad Endorf und Prien. Vier sind dagegen: Breitbrunn, Höslwang, Rimsting und Eggstätt. Eine – Samerberg – ist noch unentschlossen. Wie soll Rosi künftig finanziert werden?
Die Gemeinde Frasdorf will trotz der Mehrkosten von fast 99000 Euro am Rufbus festhalten. Nach einer Krisensitzung im Landratsamt informierte Bürgermeister Daniel Mair seine Bürger nun über die verfahrene Situation und die möglichen Alternativen. „Es gibt wohl drei Lösungen. Entweder die Preise werden verdoppelt und der Betrieb deutlich eingeschränkt, was keinen Sinn macht. Oder es werden nur noch die Gemeinden angefahren, die das Defizit übernehmen. Oder das Angebot wird komplett eingestellt.“ Bis Jahresende, so informierte er, wolle der Landrat eine klare Stellungnahme von den elf Gemeinden. Komme diese nicht, werde der Landkreis „Rosi“ einstampfen.
Die Gemeinden sollen also den Karren aus dem Dreck ziehen? Wie ist allerdings unklar, denn: „Wir hatten bis heute nie ein Mitspracherecht, weder bei den Kilometern, noch beim Personal“, kritisiert der Aschauer Bürgermeister. Man habe mit den Gemeinderatsbeschlüssen von 2019 und 2021 eine Dienstleistung zu einem festgelegten Preis eingekauft und solle sich jetzt darum kümmern, dass das Tagesgeschäft funktioniere und auf eine wirtschaftliche Grundlage gestellt werde.
„Der Rufbus ist ein absolutes Erfolgsprojekt“, ist Klaus Stöttner, CSU-Kreisvorsitzender und Initiator des On-Demand-Verkehrs „Rosi Mobil“ nach wie vor überzeugt davon, dass „Rosi“ ein „kluge Entscheidung“ war. Sie bündelt Individualverkehr, tut der Umwelt gut. Auch versteht er nicht, wie „dieses einzigartige, soziale Projekt für eine alternde Gesellschaft“ infrage gestellt werden kann, zumal alle, die Rosi nutzten, das Angebot lobten. „Es ist ein Modellprojekt, ausgelegt auf sechs Jahre“, betont Stöttner: „Da muss man mit Veränderungen rechnen und auch bereit sein, Risiken zu tragen. Da kann man sich nicht leichtfertig aus der Verantwortung stehlen und stur darauf berufen, dass 2017 andere Anteile festgelegt wurden.“ Und trotzdem sei das Modell immer noch „sehr günstig“. Was ihn ärgert, sind „halbschwangere“ Einstellungen: „Die Gemeinden wollen das Angebot zu 100 Prozent nutzen, sind aber nicht bereit, 100 Prozent der Kosten zu tragen.“
Keine Basis für
Mehrkosten-Umlage
Doch dafür gibt es eben auch keine rechtliche Grundlage. „2017 wurde nicht vereinbart, dass Kostensteigerungen von den Beteiligten übernommen werden“, erklärt Klaus Stöttner das Problem. In der rechtlichen Verantwortung steht der Landkreis. Der Vertrag für den Rufbus Rosi mit dem Regionalverkehr Oberbayern wurde vom Landrat unterzeichnet und nicht von den elf Bürgermeistern. Ein Kooperationsvertrag zwischen RoVG, Landratsamt und den Partnergemeinden existiert nicht.
„Es gibt Gemeinderatsbeschlüsse, sich am Projekt zu beteiligen. Daraus erwächst eine moralische Verpflichtung. Aber es gibt keinerlei vertragliche Regelungen“, so Hans-Peter Jakobi, Rimstinger Bauamtsleiter, auf OVB-Anfrage. Das bedeutet: Die Gemeinden müssten das Defizit nicht tragen, sondern nur ihren anteiligen gedeckelten Beitrag, der 2017 festgelegt und von den Räten beschlossen wurde.
In der Verwaltungsgemeinschaft Breitbrunnn gibt es zwei unterschiedliche Beschlusslagen. Gstadt zahlt die im Juni 2024 berechneten Defizite unter der Bedingung, dass es keine weiteren „Neuberechnungen“ gibt. Die Breitbrunner Räte sind anderer Meinung: „Sie halten sich an die ursprünglichen Kostenberechnungen, lösen also ihr Versprechen ein“, informiert Geschäftsleiter Thomas Wagner.
Bleibt das Defizit also beim Landkreis hängen? Der allerdings lehnt eine Beteiligung an den Kosten ab, denn aus Gleichheitsgründen kann er die 1,7 Millionen Euro nicht einfach übernehmen, sie über die Kreisumlage auf alle Gemeinden umlegen. Dann müssten 35 der 46 Landkreisgemeinden elf Gemeinden finanziell mit unterstützen.
Müssen also die Gemeinden, die auch künftig von Rosi angefahren werden wollen, das komplette Defizit übernehmen? Und wie hoch ist es wirklich? „Das kann uns keiner sagen: Wir wissen bis heute nicht einmal, um wie viel es da überhaupt geht“, macht Simon Frank klar. Ebenso unklar sei, ob bei einem Ausstieg aus dem Pilotprojekt „Rosi“ die Fördermittel zurückgezahlt werden müssten. Oder ob der Vertrag mit dem Betreiber für die Projektzeit 2022 bis 2028 überhaupt gekündigt werden kann.
Hat Rosi überhaupt eine Überlebenschance? Möglicherweise schwenken die bisher ablehnenden Gemeinderäte noch um? In Rimsting zumindest steht Rosi im November noch einmal auf der Agenda: „Rosi wird sterben, wenn sich nicht alle elf Gemeinden an den Mehrkosten beteiligen. Und Rimsting ist mittendrin im Streckennetz“, begründet Bauamtsleiter Jakobi die erneute Diskussion über eine bereits gefallene Entscheidung. Doch das Ergebnis ist offen. Genauso in Aschau, wie Simon Frank ankündigt: „Wir werden das Projekt im November noch einmal auf den Prüfstand stellen und schauen, ob wir weiter mitmachen.“
Neuer Vertrag, um
Rufbus zu erhalten
„Man kann sich nicht darauf ausruhen, dass es keine Verträge mit den Gemeinden gibt“, kritisiert der Bad Endorfer Bürgermeister. „Wenn wir das Rufbus-System erhalten wollen, finden wir eine neue vertragliche Lösung und arbeiten gemeinsam an der weiteren Verbesserung des Modells.“ Die aktuelle Situation macht ihn ratlos. Im November sitzen die elf Bürgermeister wieder zusammen. „Wie es weitergeht, werden die Gespräche zeigen“, so Loferer. „Doch wenn wir keine Lösung finden, wird der Ruf-Bus vermutlich abgewickelt.“
„Einer steigt aus, und der Nächste würde gern einsteigen“, sagt Rosi-Initiator Klaus Stöttner, denn: Prutting hat sich schon vor zwei Jahren einstimmig für „Rosi“ entschieden, kann in der aktuellen Projektphase aber nicht mehr zusteigen.
Das Landratsamt konnte die OVB-Anfrage vom 21. Oktober zur Zukunft des Rufbus-Systems „Rosi“ trotz Bemühungen bislang nicht beantworten. Die Anfrage wurde erst an den verantwortlichen Mitarbeiter weitergeleitet. Da der nicht erreichbar war, schließlich ans „Team von Rosi Mobil“. Doch auch dort sind „derzeit alle Verantwortlichen nicht erreichbar“. Doch zeitnahe Antworten auf ihre Fragen haben auch die elf Gemeinden nie erhalten.