Aschau/Berlin – Patientenlotsen sind die Antwort auf ein unerfülltes Recht: Das Recht auf Gesundheit für Menschen in besonders schwierigen Lebens- und Versorgungssituationen, die keinen oder einen eingeschränkten Zugang zu Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens haben. Auf dem „Tag der Patientenlotsen“ in Berlin erörterten jetzt 120 Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft und Praxis die inhaltlichen und gesetzlichen Voraussetzungen, um das Patientenlotsen-System in ganz Deutschland zu etablieren.
Lösungsvorschlag
aus dem Chiemgau
Elmar Stegmeier aus Aschau moderierte die Konferenz und hatte eine Lösung aus dem Chiemgau im Gepäck. Er ist Versorgungsforscher und leitet die Fachgruppe Patientenlotsen der Deutschen Gesellschaft für Care- und Case-Management (DGCC), die Mit-Veranstalter des Tags der Patientenlotsen war. „Komplexe Lebens- und Versorgungssituationen haben verschiedene, aber oft mehrere Ursachen. Das kann eine plötzliche, schwere Erkrankung oder eine komplexe Pflegesituation sein. Das können aber auch soziale Probleme, psychische Notlagen oder finanzielle Schieflagen sein“, erläutert Stegmeier auf OVB-Anfrage. Aber auch wenn ein Partner verstirbt oder bei Trennungen könnten Situationen entstehen, die Menschen komplett überfordern. Hinzu komme das fehlende Hilfenetzwerk.
„Hier können Patientenlotsen dabei unterstützen, die individuelle Lage zu verbessern“, betont der Versorgungsforscher. Das Care- und Case-Management sei die dafür geeignete Methode. „Deshalb ist es wichtig, die Patientenlotsen entsprechend zu schulen.“
Doch wie arbeiten Patientenlotsen? „Nach einer strukturierten Bedarfserhebung erarbeiten sie mit den Betroffenen einen Ziel- und Maßnahmenplan, den sie mit ihnen umsetzen und fortlaufend kontrollieren, bis die Überforderung abgemildert oder sogar gelöst ist“, so Stegmeier.
Zielgerichtete Leistungs-Nutzung
Dadurch könnten die Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens zielgerichteter genutzt sowie die Behandlungs- und Therapieplanung des Arztes unterstützt werden. Der positive Effekt für den Einzelnen: Seine Lebenssituation stabilisiert sich. „Der finanzielle Effekt für die Gemeinschaft: Wiedererkrankungen werden vermieden, erneute Krankenhauseinweisungen verringert und bei jüngeren Patienten die schnellere Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit nach Erkrankung ermöglicht.“
Die Theorie klingt gut. Doch, so wurde auf der Berliner Tagung kritisiert, auch Patientenlotsen können nur effektiv arbeiten, wenn es eine übergeordnete Organisationsstruktur für die Koordination und Vernetzung aller Angebote gibt. Und hier kommt das „Koordinierungsbüro Gesundheit“ ins Spiel, das Elmar Stegmeier im Landkreis Rosenheim bereits erprobt hat – unterstützt von Landrat Otto Lederer und gefördert durch das Bayerische Gesundheitsministerium.
„Das Koordinierungsbüro Gesundheit ist die Basis für eine unabhängige, regionale und kommunale Sorgestruktur. Es vernetzt alle informierenden, beratenden und koordinierenden Angebote und Versorgungsleistungen der Gesundheits- und Pflegeversorgung sowie des Sozial- und angrenzenden Bildungswesens eines Landkreises“, erklärt Stegmeier. „Es baut ein Gesundheits-, Pflege- und Sozialnetzwerk auf, in dem alle professionellen und ehrenamtlichen Angebote sowie die künftigen Patientenlotsen-Angebote gebündelt sind.“ In diesem Netzwerk können Patientenlotsen und Gemeindeschwestern etabliert werden. Es gibt bereits evaluierte Schlaganfall-Lotsen, Cardiolotsen und Onkolotsen. Diese setzen ausgehend von einer medizinischen Indikation das Case-Management um. Das Problem ist: „Kaum ein Betroffener kennt sich aus, wo es welche Hilfe und Unterstützung für ihn gibt“, betont Stegmeier: „Genau das ändern wir mit dem Koordinierungsbüro. Wir wollen die Komplexität und die Systemfehler des Gesundheitswesens auflösen – für hilfsbedürftige Menschen und für alle Beteiligten. Und damit erfüllen wir nichts weniger als das Menschenrecht auf Gesundheit. Mit einer Lösung aus dem Chiemgau.“ Die Gemeinde Aschau im Chiemgau hat eine Förderung für ein Gesundheits- und Pflegenetzwerk beantragt. Dieses soll in Trägerschaft des Ökumenischen Sozialdienstes Priental schon Anfang 2025 mit zwei Pflegelotsen seine Arbeit aufnehmen.
Dringender Appell
an die Politik
Beim Tag der Patientenlotsen in Berlin wurde auch ein Appell an die Politik verabschiedet, wie Stegmeier gegenüber dem OVB informiert, denn: „Die Zeit ist reif. Jetzt müssen die Voraussetzungen für Patientenlotsen in der Regelversorgung geschaffen werden. Der Patient muss endlich im Mittelpunkt der Versorgung stehen.“
Landrat Otto Lederer war am Tag der Patientenlotsen ebenfalls zu politischen Gesprächen in Berlin. So konnte ihm der Aufruf vor Beginn der Tagung persönlich überreicht werden.