Aschau/Region – Wilderei hat viele Gesichter: Eines davon erscheint harmlos und hat doch tragische Folgen. Wie staatliche und private Forstbetriebe von der Kampenwand bis in die Schlierseer Berge gegen die „Stangerlsucher“ vorgehen. Und welche Rolle illegale Jagd in der Region spielt.
Es gibt sie immer noch – Wildschützen wie den berühmt-berüchtigten Georg Jennerwein vom Schliersee. Deutschlandweit erfasste die Polizei im vergangenen Jahr 1140 Fälle von Jagdwilderei. Im Landkreis Rosenheim wurden acht Wildschützen ertappt, bei den Nachbarn in Traunstein 14 und im Berchtesgadener Land zwei.
Nach Einschätzung des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd sind diese Zahlen in einem Einzugsgebiet von 3800 Quadratkilometern mit bis zu 38 Prozent Waldfläche eher gering. Ein gutes Zeichen sei zudem, dass sie nicht ansteigen. Trotzdem: Legenden wie der Wildschütz Jennerwein sind die Wilderer von heute nicht. Sie ziehen nicht nur den Zorn verantwortungsbewusster Jäger auf sich. Sie müssen vor allem mit harten Strafen rechnen, denn: „Nach Paragraf 292 des Strafgesetzbuches kann Jagdwilderei je nach Schwere mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden“, informiert eine Polizeisprecherin.
Enthauptete
Wildtierkörper
Doch auch wenn Wilderei zahlenmäßig kein Problem zu sein scheint, kursieren unter Jägern immer wieder wilde Geschichten. Kein Jägerlatein, sondern eher ein Hinweis auf die Dunkelziffer. Davon zumindest geht die Naturschutzorganisation WWF aus, da „Deutschland niedrige Meldequoten verzeichnet und es keine zentrale Dokumentation aller Fälle gibt“.
Werden die getöteten Tiere nicht absichtlich an öffentlich sichtbaren Stellen abgelegt, findet man sie eher zufällig. In Unterwössen war es ein Segelflieger, der ein erschossenes Reh hinter dem Segelflugplatz entdeckte. Bei Grassau fanden Jäger der Bayerischen Staatsforsten ein ausgeweidetes Tier: „Die guten Fleischstücke waren herausgeschnitten, der Rest einfach im Wald liegengelassen worden“, berichtet Joachim Keßler, Leiter des Forstbetriebes Ruhpolding. Heute sei es nicht mehr wie zu Jennerweins Zeiten, als die Wildschützen aus Armut und Hunger illegal jagten. Heute, so kritisiert er, gehe es nicht mehr „um den Rehrücken“, sondern eher um den Egotrip, „cleverer als alle anderen zu sein“ und sich damit „am Stammtisch brüsten zu können“.
Der Jagdschein allein reicht nicht aus, um offiziell jagen zu dürfen. Allein im Landkreis Rosenheim verfügen 2081 Menschen über einen Jagdschein. „Aktiv jagen darf aber nur, wer Jagdpächter ist oder von einem Revierinhaber sogenannte Begehungsscheine erhalten hat“, erklärt die Untere Jagdbehörde beim Landratsamt Rosenheim auf OVB-Anfrage. Denn grundsätzlich gehört das Jagdrecht zum Grundeigentum. „Und die Ausübung des Jagdrechts ist je Revier durch einen Pachtvertrag geregelt“, so die Jagdbehörde. Derzeit gibt es im Landkreis mehr als 330 Jagdreviere und -pächter. 19 dieser Reviere werden von der Bayerischen Staatsforsten und weitere 17 in Eigenregie der Besitzer bejagt.
Illegale Jagd einzudämmen, ist schwer. „Man muss genauer hinschauen, mehr kontrollieren“, sagt der Wasserburger Forstbetriebsleiter Dr. Heinz Utschig. Zu den Staatswäldern in seinem Bereich gehört der Ebersberger Forst. „Dort wurden vor fünf, sechs Jahren Wildschweine gefunden, denen das Haupt abgeschnitten worden war“, berichtet er. Enthauptete Wildkörper gab es auch schon im Bereich der Kampenwand, erinnert sich sein Ruhpoldinger Kollege. Und erst vor wenigen Monaten im Achental, wie Jäger berichten.
Doch Trophäenjäger greifen nicht nur zur Flinte. Sie gehen auch auf „Stangerlsuche“. Denn ein Hirsch verliert jedes Jahr sein Geweih. Im Hochwinter, also meist ab Februar, lösen sich die „Abwurfstangen“ von den Stirnzapfen und fallen ab. „Und dann lauern die Trophäenjäger an den Winterfütterungsstellen beispielsweise zwischen Aschau und Sachrang, stören die winterliche Ruhezone und vertreiben das Rotwild“, beschreibt Keßler die Strategie der modernen Wilderer. Dass sie dabei eine Straftat begehen, wissen die wenigsten: „Wer Geweihstücke gezielt sucht oder mitnimmt, macht sich strafbar, denn das ist ein Eingriff in fremdes Jagdrecht“, erklärt der Forstbetriebsleiter. Die Mitnahme eines Geweihs ist nur dem Jagdausübungsberechtigten eines Reviers gestattet. Alles andere ist Wilderei. Und da funktioniert auch die Ausrede nicht mehr: „Ich wollte das Geweih sowieso beim zuständigen Jagdpächter abgeben.“ Doch das größte Problem dabei: Wird das Rotwild an seinen Futterstellen immer wieder von Menschen aufgescheucht, ziehen sich Rehe und Hirsche tiefer in die Wälder zurück. Das Ergebnis sind Verbiss- und Schälschäden, weil die Tiere an den Rinden knabbern. Oder aber sie werden durch die fehlende Fütterung so geschwächt, dass sie den Winter nicht überleben.
Besser also, es finden sich erst gar keine „Stangerl“ im Wald. „Deshalb sind wir auch sehr präsent im Bereich unserer Futterstellen, um Trophäenjägern den Anreiz zu nehmen“, erklärt Berufsjäger Sepp Rinner, der das Privatrevier von Baron von Cramer-Klett betreut. Er weist aber auch auf ein weiteres Problem hin: das Fallwild. „Wenn ein Trophäenträger wie ein Rehbock, Hirsch oder Gamsbock auf natürliche Weise stirbt, darf er von Fremden nicht aus dem Wald gebracht werden.“ Sobald man das Tier berühre, begebe man sich in den Straftatbereich. Was also tun? „Am besten dem Jagdpächter oder Revierförster Bescheid geben“, rät Rinner. Heißt: Wer regelmäßig in denselben Wald geht, ist gut beraten, Namen und Telefonnummer des jeweiligen Jagdausübungsberechtigten im Handy gespeichert zu haben.
Übrigens führen auch Wildunfälle zu Wilderei. „Wer ein Wildtier anfährt und im Kofferraum seines Fahrzeugs einfach mitnimmt, macht sich strafbar“, informiert das Polizeipräsidium Oberbayern Süd. Auch in einem solchen Fall gilt: Hände weg vom Tier und die ortsansässige Jägerschaft oder die Polizei verständigen.
Hat Jennerwein noch
eine Fangemeinde?
Doch zurück zum aufmüpfigen Wildschütz Jennerwein. Wie halten es eigentlich seine Nachkommen in den Schlierseer Bergen mit der Wilderei? „In unserem Revier gibt es keinen Wildschütz“, sagt Lasse Weicht. Er ist seit Juli der Forstbetriebsleiter der Staatsforsten in Schliersee, die bis vor die Tore von Wasserburg am Inn und Aschau im Chiemgau auch große Teile des Landkreises Rosenheim betreut.
Gehört hat er allerdings davon, dass es 1977 noch Anhänger des Wilderers gegeben haben soll. An dessen 99. Todestag nämlich, am 15. November 1976, soll an seinem Grabkreuz auf dem Westenhofener Friedhof eine tote Gams gehangen haben. Doch auch das ist schon wieder 48 Jahre her. Rund um den Bodenschneid-Gipfel, wo Jennerwein gewildert haben soll und auch zu Tode kam, ist es ruhig geworden.
Der Polizei wurden im vergangenen Jahr fünf Fälle von Jagdwilderei im Landkreis Miesbach angezeigt. Nicht allerdings im Bereich der Staatsforsten. Dafür bestätigt auch Forstrevierleiter Weicht, dass das größte Problem die Trophäenjäger an den Winterfutterstellen sind.