Brückenschlag von Historie zur Moderne

von Redaktion

Festabend Niuunchiricha, Piezinga und Selihoba vor 1100 Jahren erstmals urkundlich erwähnt

Riedering – Proppenvoll war der Stadel beim Hirzinger zu Söllhuben: Schließlich feiert man nur einmal im Leben 1100 Jahre Niuunchiricha (Neukirchen), Piezinga (Pietzing) und Selihoba (Söllhuben). Der eigens dafür gegründete Arbeitskreis hatte im wahrsten Sinne alle Register gezogen, damit alle im Himmel und beim Hirzinger auf Erden auf ihre Kosten kamen. Aufklärung gab es auch zu Fragen wie: Was haben die Römer und ein geschiedener Erzbischof mit den 1100 Jahre alten Ortsteilen zu tun?

Tauschvertrag
wegen Scheidung

Riederings Bürgermeister Christoph Vodermaier übernahm den Willkommensgruß und die Anmoderation der Rede- und Musikbeiträge. Simon Hausstetter, Bürgermeister der Nachbargemeinde Rohrdorf, berichtete kurzweilig vom Rohrdorfer Tauschvertrag im Jahr 924. Anno dazumal bekam nämlich die Edle Frau Rihni von Rohrdorf von ihrem Mann Odalbert zur Scheidung – Odalbert wollte Bischof von Salzburg werden – das Kloster Gars am Inn und viele weitere Kirchen und Höfe, darunter eben auch Niuunchiricha (Neukirchen), Piezinga (Pietzing) und Selihoba (Söllhuben) zugesprochen, während sie ihm Seeon abtrat.

Rohrdorf, die Metropole zwischen Freising und Salzburg? Mit einem Grinsen wies Hausstetter den Titel zurück und erklärte Rohrdorf zum Taufpaten für die drei Jubilar-Ortsteile. Der Frasdorfer Ortsheimatpfleger Rupert Wörndl wies in seinem Vortrag nach, dass schon die Römer wussten, wie schön es im Noricum war. Weitere Funde zeigten aber auch schon frühere Besiedlungen, wie die Riederinger Bronzenadel. Mit den Bajuwaren, „ein Findelkind der Völkerwanderung“, wurden dann die Menschen im Chiemgau sesshafter. Tobias Gaiser berichtete von der Gründung und Bedeutung der 250 Jahre alten Pfarrkirche St. Rupert zu Söllhuben: von der Urkirche hin zum Zentralbau mit einem ungleichseitigen Arkadenoktogon. Kathi Stein nahm ihre Zuhörer mit nach Pietzenkirchen: eine erste Kirche schon um das 10. Jahrhundert, dann eine zweite, die um 1880 auf Anweisung der königlichen Baubehörde abgerissen werden musste, und dann auf ein drittes ein gutes Jahr später der Neubau der Filialkirche St. Stephanus und St. Laurentius. Auf 30000 Mark belief sich damals die Bausumme, die von der kleinen Kirchengemeinde mit nur 35 Hausnummern aus eigenen Mitteln aufgebracht wurde. Ein weiteres Kuriosum: Die Krippe zur Weihnachtszeit ist gerade mal 40 Jahre alt, die frühere nahm in den 1970er-Jahren die Haushälterin nach dem Ableben des damaligen Pfarrers mit.

Ein Teufel im
Kirchendachstuhl

Heinrich Dhom lud mit vielen Bildern in die kürzlich umfangreich renovierte Wallfahrtskapelle Maria Stern bei Neukirchen ein. Die Kirche ist wohl auch schon sehr alt, fünf verschiedene Kulturschichten deuten darauf hin. Eine Besonderheit findet sich im Dachstuhl: Dort hat ein Zimmerermeister einen Teufel an die Wand gemalt.

Nicht minder bedeutsam sind Persönlichkeiten, die hier zur Urlaubsfrische waren: Elisabeth Wellano alias Liesel Karlstadt war als Kind dort und berichtet in einem Aufsatz von Fronleichnam zu Neukirchen und Pater Alfred Delp, von den Nationalsozialisten 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet, feierte hier Gottesdienste.

Nach so viel Historie ging es hinauf in den Himmel: Ein offenes Fenster hatte das göttliche Archiv durcheinandergewirbelt, drei Engel mussten sich um die losen Blätter kümmern. Dass es dabei viel zu lachen gab, bewiesen die Anekdoten, die sich die drei gegenseitig vorlasen. Allein schon die Aufzüge von Stacherus, jetzt Ruperta aka Rupert Hausstätter („Ich habe mich umschreiben lassen“), Hoficus aka Hans Schmid („mir haben sie die Flügel abgezwickt wegen Raserei“) und Ricardus aka Richard Mühlbauer (engelsgleich mit wallendem Haar und weißem Gewand) sorgten für viel Gelächter. Dazu noch Geschichten über einen gestohlenen Maibaum in Söllhuben just am 1. Mai oder über den Nutzen einer Mehrzweckhalle („Nein, einen Mähdrescher kann man hier nicht im Winter einstellen“).

Auch musikalisch war man aufs Beste versorgt mit den Söllhubener Juniorbläsern, den Geschwistern Vordermayer, dem Staucher Zwoagsang und dem Ziachspieler Thomas Loferer. Die Mischung aus Musik, Historie und Ortsteilstammtisch, aus Vielfalt, Tradition, Brauchtum, Identität und Zusammenhalt verband Jung und Alt. Schöner kann man nicht feiern. Auf die nächsten 1100 Jahre.

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