Aschau im Chiemgau – Die Krankenhausreform wurde durchgeprügelt. Trotz der Regierungskrise. Trotz anstehender Neuwahlen. Trotz eines über Jahre entwickelten, wissenschaftlich fundierten und erprobten Modells aus Nordrhein-Westfalen, das 1:1 für den Bund übernommen werden könnte. Und trotz aller Warnungen aus Bundesländern, Krankenhausgesellschaften und Krankenhäusern, dass die Reform nicht zu Ende gedacht und ihre Auswirkungen auf die Krankenhauslandschaft nicht analysiert worden seien.
„Krankenhausreform
ja, aber bitte richtig“
„Eine Krankenhausreform ist erforderlich, keine Frage“, sagt Stefan Schmitt, Geschäftsführer der „Kind im Zentrum“ (KIZ) Chiemgau Behandlungszentrum Aschau GmbH: „Aber bitte richtig!“
Kernstücke der Reform sind eine stärkere medizinische Spezialisierung und eine flächendeckende Versorgung. Und genau das bietet das Behandlungszentrum schon seit Jahren. „Kind im Zentrum“ ist ein einzigartiges Netzwerk für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit körperlicher, geistiger und mehrfacher Behinderung. Die orthopädische Kinderklinik ist hoch spezialisiert.
Was im KIZ Aschau
auf der Kippe steht
Steht das Behandlungszentrum „Kind im Zentrum“ nach der Lauterbach-Reform nun auf der Kippe? „Unsere Förderzentren sind davon nicht betroffen, sehr wohl aber unsere orthopädische Klinik“, erklärt Geschäftsführer Schmitt. Denn das „Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen“ – kurz die Lauterbach-Reform – bringe eine enorme Unsicherheit in die Kliniklandschaft.
„Viele wesentliche Punkte, die Bestandteil der Reform sein müssten, sollen erst in Rechtsverordnungen bis Ende März 2025 genau definiert werden“, so Schmitt. „Erst dann stehen die Spielregeln für die Zeit ab 2027 fest. Und erst dann wissen wir, welche Voraussetzungen wir als Fachklinik erfüllen müssen, um langfristig unseren Versorgungsauftrag zu sichern.“
Kliniklandschaft wird
noch komplizierter
Für Laien ist die Reform kaum verständlich. Die Finanzierung der Kliniken und die dazugehörigen Berechnungsmodelle sind noch komplizierter als zuvor: „Diese Krankenhausreform bringt weder eine Entökonomisierung noch eine Entbürokratisierung“, kritisiert Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Ganz im Gegenteil: „Die massive Unterfinanzierung der Kliniken, diese beläuft sich in Bayern mittlerweile auf zwei Milliarden Euro, bleibt bestehen“, betont Engehausen und macht klar: „Ohne schnelle Nachbesserung sind Insolvenzen von bedarfsnotwendigen Kliniken aus wirtschaftlicher Not nicht zu vermeiden.“
Das Versprechen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach war: „Wir lösen das System der Fallpauschalen ab durch ein System der Vorhaltepauschalen. Die Kliniken erhalten so Geld dafür, dass sie bestimmte Leistungen anbieten – selbst dann, wenn sie sie nicht immer erbringen.“
Planungsunsicherheit
für Kliniken wächst
In der Praxis sieht das aber ganz anders aus: „Bisher wurde eine Klinik zu 75 bis 80 Prozent aus Fallpauschalen, den sogenannten DRG, und zu 20 bis 25 Prozent mit einem Pflegebudget finanziert“, erläutert Stefan Schmitt. „In Zukunft – nach einer Übergangszeit ab 1. Januar 2027 – wird ein Teil der mengenabhängigen DRG-Fallpauschalen durch ein fallzahlunabhängiges ,Vorhaltebudget‘ ersetzt, sodass letztlich immer noch rund die Hälfte der Vergütung der Krankenhäuser mengenabhängig bleibt.“ Die vom Gesundheitsminister beschriebene „Entökonomisierung“ der Krankenhäuser finde durch das Vorhaltebudget also nur teilweise und nicht flächendeckend statt.
Viele Fragen, so kritisiert Schmitt, seien für die orthopädische Kinderklinik Aschau noch ungeklärt. Vor allem bezüglich der neu definierten Strukturvorgaben des Bundes. Der hat die Behandlungsschwerpunkte in Kliniken in 65 sogenannten Leistungsgruppen zusammengefasst. „Wir wissen noch nicht, welche Leistungsgruppen uns zugeteilt werden. Wahrscheinlich kommen Leistungsgruppen für allgemeine Chirurgie, Wirbelsäuleneingriffe, spezielle Kinder- und Jugendchirurgie für unsere Klinik infrage.“
Für jede Leistungsgruppe wiederum schreibt der Gesetzgeber Qualitäts- und Strukturvorgaben vor. Diese sind den Kliniken bis zur Zuteilung der Leistungsgruppen durch das Gesundheitsministerium zwar noch nicht abschließend bekannt. „Aber wir gehen davon aus, dass darunter auch verwandte Leistungsgruppen wie Intensivmedizin, Innere Medizin sowie Kinder- und Jugendmedizin sein werden“, erläutert der Geschäftsführer der orthopädischen Kinderklinik. „Die Vorhaltung dieser Leistungsbereiche bei uns am Standort ist für die adäquate Behandlung unserer Patienten in der Regel nicht erforderlich. Falls sie dennoch benötigt werden, erbringen wir diese seit vielen Jahren in Kooperation mit Schwerpunktkliniken in der Region.“
Gehen Angebote
komplett verloren?
Zusätzlich wird in den Leistungsgruppen auch eine Mindestzahl an zu erbringenden Behandlungsfällen (Mindestvorhaltezahl) definiert. Wird diese Mindestzahl am jeweiligen Klinikstandort nicht erfüllt, verliert die Klinik den Anspruch auf eine Finanzierung dieser Leistungen. Das heißt: Sie darf diese Behandlungen künftig nicht mehr anbieten. Und das, obwohl Gesundheitsminister Lauterbach versprochen hat, dass „die Kliniken Geld dafür erhalten, dass sie bestimmte Leistungen anbieten – selbst dann, wenn sie sie nicht immer erbringen“.
Vielmehr sieht das Gesetz nun aber vor, dass Leistungsgruppen, und damit also auch die betroffenen Patienten, bei denen die „Mindestvorhaltezahl“ an einem Krankenhaus nicht erreicht wird, an andere Kliniken verteilt werden. „Damit wäre eine verlässliche mittel- und langfristige Personal- und Wirtschaftsplanung der Krankenhäuser nicht mehr möglich“, erläutert der Aschauer Versorgungsforscher Elmar Stegmeier. „Kliniken, die Leistungen nicht mehr anbieten dürften, würde ein großer Teil ihres spezialisierten Personals wegfallen, das sie später nicht mehr zurückbekommen. In einer Fachklinik geht das direkt an die Substanz.“ Die Folgen wären der Verlust von Fachkräften und der Wegfall von Vergütungsbereichen. „Ein Sterben von Spezialkliniken und eine Unterversorgung von Patienten mit besonderem Behandlungsbedarf ist zu erwarten“, warnt Stegmeier.
Patientenwanderung
und lange Wartelisten
Behandlungen, die an „kleinen“ Kliniken nicht mehr erlaubt wären, würden nach Lauterbachs Reformplänen dann im Folgejahr den großen Playern in der Kliniklandschaft zugeordnet. Diese müssten für den akut wachsenden Versorgungsauftrag dann in kürzester Zeit die personelle, technische und räumliche Infrastruktur schaffen. „Wird die Zahl der Leistungserbringer reduziert, setzt eine Patientenwanderung ein“, blickt Stefan Schmitt voraus. Die dramatischste Auswirkung: „Unsere kleinen Patienten würden also auf langen Wartelisten landen.“ Sein Fazit: „Diese Reform ist eine Mogelpackung, denn der Druck auf die Krankenhäuser wird nicht abgemindert, sondern erhöht.“ Für die Übergangszeit bis 2027 kommt hinzu, dass die Lauterbach-Reform die Forderung der Krankenhäuser auf einen vollständigen Inflationsausgleich einfach ignoriert. Wie alle Branchen leidet das Gesundheitswesen unter den Folgen der Corona-Krise, der Energiepreisexplosion, den gestiegenen Sach- und Personalkosten.
Inflationsausgleich
wurde ignoriert
„Das Finanzierungssystem im Gesundheitswesen ist träge“, erklärt Stefan Schmitt. Kostensteigerungen der Krankenhäuser werden mit einer Verzögerung von etwa zwei Jahren in der Vergütung durch Fallpauschalen (DRG) refinanziert. „In einem personalintensiven Bereich wie dem Gesundheitswesen machen die Personalkosten etwa 70 Prozent der Gesamtkosten aus“, erläutert Schmitt. „Wenn diese dann aufgrund notwendiger Tariferhöhungen um zehn Prozent steigen, die DRG-Vergütung aber nur um etwa 4,5 Prozent erhöht wird, geht das auf Dauer an die Substanz.“
Abgesehen davon, dass die Krankenhäuser auf den Inflationskosten der vergangenen drei Jahre sitzenbleiben, soll es künftig noch länger dauern, ehe Preissteigerungen Beachtung finden. Beispiel Vorhaltebudget: Es soll künftig etwa 25 bis 30 Prozent der Finanzierung eines Krankenhauses ausmachen.
Refinanzierung der
Kosten verlängert sich
Das Vorhaltebudget selbst aber soll auf dem Leistungsniveau der Krankenhäuser von 2023/24 gedeckelt werden, so der Reformplan. Bis 2028. „Das heißt also, dass es künftig fünf Jahre dauern wird, ehe die reale Krankheitslast und die Entwicklung in der Medizin bei der Finanzierung der Leistungsgruppen Beachtung finden“, kritisiert Versorgungsforscher Stegmeier.
Die Schwächsten sind
am meisten gefährdet
„Das Gesetz muss dringend verbessert werden, sonst ist die medizinische Versorgung gefährdet“, macht Stefan Schmitt, der Geschäftsführer des Behandlungszentrums Aschau, klar und betont: „Besonders gefährdet ist die Behandlung von Menschen mit körperlicher, geistiger und mehrfacher Behinderung, aber auch von Menschen mit höchst seltenen und vielschichtigen Krankheitsbildern.“ Eine adäquate medizinisch-therapeutische Versorgung dieser Patientengruppe sei in einem „normalen“ Krankenhaus nicht gewährleistet. Deshalb, so die Forderung des Experten, seien für Fachkliniken für spezielle Patientengruppen dringend Sonderregelungen erforderlich.
Wohin mit Patienten,
wenn Kliniken sterben
„Und es muss die grundsätzliche Frage geklärt werden, was aus den Menschen wird, die vor Ort nicht mehr behandelt werden können, wenn sich die Kliniklandschaft ändert“, fordert Elmar Stegmeier. Er kritisiert: „Unser Land hat in allen Sektoren des Gesundheitswesens Reformbedarf. Jetzt wird ein Bereich herausgepickt und nicht zu Ende gedacht.“ Wenn man den Klinikbereich zentralisiere, dann müsse man gleichzeitig sektorenübergreifende, regionale Netzwerke im ambulanten Bereich schaffen und finanzieren. „Und man muss koordinierende Elemente, wie beispielsweise Patientenlotsen, integrieren, damit das Netzwerk funktioniert.“ Nur so sei eine flächendeckende Versorgung der Menschen vor Ort möglich. „In den Gemeinden spielen dabei Hausärzte, die Pflege, Therapeuten und Apotheken eine besondere Rolle.“
Versorgungssicherheit
massiv gefährdet
Weder die Praktiker in den Krankenhäusern, noch die Länder oder Landkreise – also die Experten der Selbstverwaltung – seien in die Lauterbach-Reform eingebunden worden. Dabei müssen Länder, Landkreise und Kommunen etwa die Hälfte des geplanten 50 Milliarden Euro umfassenden „Transformationsfonds“ aufbringen.
Die andere Hälfte die Krankenkassen. „Derartige Planspiele am grünen Tisch, die auf die unterschiedlichen Krankenhausstrukturen in den Ländern und Regionen keine Rücksicht nehmen, sind gefährlich“, warnt Stegmeier. „Sie führen nicht zu mehr Qualität, sondern zu einer Vielzahl von Insolvenzen und einer massiven Gefährdung der Versorgungssicherheit.“
Hoffen auf eine
neue Regierung
Die Reform wurde wenige Wochen vor den Neuwahlen im Februar 2025 mit Eile durch Bundestag und Bundesrat geboxt. „Und das, obwohl die verfassungsrechtlich zugewiesene Planungshoheit bei den Ländern liegt“, kritisiert der Versorgungsforscher Stegmeier. Jetzt liege die Hoffnung der Krankenhäuser auf einer neuen Regierung, damit noch im Laufe des Jahres 2025 die wichtigsten Regelungen für eine stabile Finanzierung der Kliniken auf den Weg gebracht werden können.
Stegmeier: „Wichtig wäre eine Überbrückungsfinanzierung, um die flächendeckende Krankenhausversorgung zu erhalten, das Reformgesetz mit der Expertise vor Ort und allen betroffenen Akteuren zu überarbeiten, an die Realität anzupassen, seine Auswirkungen zu prüfen und dann geplant in eine Transformation zu führen. Eine Krankenhausreform und eine Stärkung bestehender und innovativer ambulanter Strukturen müssen Hand in Hand gehen.“
Der Mensch muss im
Mittelpunkt stehen
So wie es das Land Nordrhein-Westfalen in einem mehrjährigen Prozess schon vorgemacht hat. „Das nordrhein-westfälische Modell wäre bundesweit 1:1 umsetzbar gewesen“, betont Stegmeier. Er wird in seiner Meinung bestätigt. Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, betont: „Aus Sicht der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen liefert die NRW-Krankenhausplanung eine wirksame und bürokratiearme Blaupause. Das Wichtigste dabei: Sie folgt mit der auf Leistungsgruppen und Qualitätskriterien ausgerichteten Systematik medizinischen Erwägungen, sie beachtet den wissenschaftlich ermittelten Bedarf vor Ort und sie stellt die Patienten in den Mittelpunkt.“ Nach diesem Leitsatz arbeitet auch die Orthopädische Kinderklinik Aschau, denn im KIZ steht das „Kind im Zentrum“.