Stephanskirchen – „In 99 Prozent aller Kletterunfälle ist es menschliches Versagen“, sagt Kletterhallen-Betreiber Bruno Vacka. Er ist Leistungs- und Wettkampfkletterer, Vorsitzender des Fachverbandes für künstliche Kletteranlagen und Indoorclimbing KLEVER und Betreiber der Kletter- und Boulderhalle Rosenheim. Im OVB-Interview erklärt er die häufigsten Unfallursachen beim Indoor-Klettern.
Können Sie beurteilen, warum es zu dem Unfall in der Kletterhalle kam?
Ein technisches Versagen der Anlagen können wir ausschließen. Unsere Kletter- und Boulderhalle ist eine genormte und dauerhaft geprüfte Umgebung. Die Unfallursachen ermitteln im Moment die Polizeibergführer der Alpinen Einsatzgruppe Kiefersfelden. Die Rekonstruktion des Unfallgeschehens ist allein ihre Aufgabe.
Wenn es zu Unfällen kommt, mangelt es den Betroffenen dann an Wissen oder Erfahrung?
Nein. Das hat nichts mit Wissen, Können oder Erfahrung zu tun. Häufig sind gerade die erfahrenen Kletterer, also die routinierten Könner, von Unfällen betroffen. Wissen allein schützt nicht. Man muss es lückenlos anwenden, immer aufmerksam bleiben und darf nie in die Routine verfallen. Es gab mal eine Kampagne des Deutschen Alpenvereins mit dem Slogan „Partnercheck statt Partner weg“. Und die bringt die Botschaft genau auf den Punkt. Die Seilschaft aus dem Menschen, der klettert, und dem Partner, der ihn sichert, ist lebenswichtig. Deshalb sollten sich die Partner vor dem Klettern immer noch einmal gegenseitig kontrollieren, um eine mögliche Routine zu entschärfen. Klettern ist kein Risikosport, aber es birgt Risiken. Trotz allen Könnens, aller Erfahrung und aller Sicherungen gibt es immer ein Restrisiko, so wie in allen Lebensbereichen. Dessen muss man sich immer bewusst sein.
Die meisten Seilkletter-Unfälle ereignen sich beim Vorstieg. Was ist daran so kompliziert?
Vorstieg ist das Klettern mit Seilsicherung von unten. Der Sportler trägt das Seil auf seiner Kletterroute mit sich und klippt es während des Kletterns an Sicherungspunkten ein. Dabei wird er allein durch seinen Sicherungspartner am Boden gesichert. Der Kraftaufwand beim Sichern ist größer als bei allen anderen Sicherungsarten. Aber auch die Fallhöhe beim Sturz ist größer und damit auch das Risiko. Hinzu kommt, dass ein Sturz im Vorstieg höhere Kräfte auslöst als beim Toprope-Klettern. Man fällt weiter, durch Fallstrecke und Körpergewicht werden stärkere Kräfte wirksam. Damit muss der Sichernde umgehen können, denn er trägt immer die Verantwortung für den, der klettert. Um sich an diese Kräfte zu gewöhnen, gibt es extra Sturztrainings.
Das klingt ja, als ob
Stürze normal wären?
In einer Kletterhalle sind sie das auch. Man darf stürzen. Das ist in Ordnung. Nur eben nicht auf den Boden. Und da sind wir wieder beim Sichernden, der das Sicherungsgerät richtig handhaben muss.
Wie viel Verantwortung liegt in einer Kletterhalle beim Betreiber und wie viel beim Sportler?
Der Betreiber ist für die Sicherheit der Anlagen verantwortlich. Wer eine Kletter- und Boulderhalle nutzt, unterschreibt eine Haftungserklärung, in der er bestätigt, dass er über ausreichend Vorkenntnisse verfügt und die Anlage auf eigene Gefahr benutzt. Die Sportler klettern also in Eigenverantwortung. Wir bieten Verleihmaterial an, aber die meisten bringen ihre eigene Ausrüstung mit. Wenn wir bei der Anmeldung an den Fragen der Leute merken, dass sie keinerlei Erfahrungen haben, wirken wir natürlich auf sie ein. Oder wenn wir sehen, dass Kletterer veraltete Ausrüstung benutzen. Aber einen vorgeschriebenen Ausbildungsstandard für die Nutzung einer Kletterhalle gibt es nicht. Dieser würde auch nicht zu weniger Vorfällen führen, da nicht der Nachweis des Wissens das Problem darstellt, sondern die lückenlos richtige Anwendung. Interview: Kathrin Gerlach