Quälende Ungewissheit

von Redaktion

Erwin Rehling vermisst seinen verschollenen Freund Bodo Hell

Unterreit/Österreich – Der 9. August 2024: Ein Datum, das Erwin Rehling aus Unterreit wohl nicht mehr vergessen wird. An diesem Tag wurde sein langjähriger Freund und Künstler Bodo Hell das letzte Mal gesehen. Hell, der seit vielen Jahren als Hirte auf der Grafenbergalm im Dachsteingebirge lebte und arbeitete, ist seitdem verschollen.

Seit August im
Gebirge verschollen

Seit 15 Jahren standen Hell und Rehling als literarisch-musikalisches Duo gemeinsam auf der Bühne. Kennengelernt haben sie sich über einen befreundeten Musiker. „Zwischen uns hat es einfach gepasst. Wir waren ein Herz und eine Seele“, sagt Rehling im Gespräch mit der Redaktion. Der 70-Jährige ist in Soyen aufgewachsen, wohnt mittlerweile auf einem Bauernhof bei Unterreit und ist seit vielen Jahren als Musiker, Autor und Regisseur bekannt. Jüngst hat er den bayerischen Kulturpreis erhalten. „Eine Woche, bevor Bodo verschwunden ist, habe ich die Nachricht bekommen, dass ich gewonnen habe“, sagt er. Rehling habe als Laudator seinen langjährigen Freund Bodo Hell ins Auge gefasst – doch es sollte anders kommen.

„Seine Freundin Andrea hat mich angerufen und mir erzählt, dass Bodo verschwunden ist.“ Bei dem Gedanken daran muss Rehling schwer schlucken, seine Augen werden feucht. „Einfach unfassbar“, sagt er mehrere Male mit Blick auf den Tisch. „Ich konnte es nicht glauben.“ Das fällt ihm bis heute schwer. „Bodo war im Gebirge zu Hause. Seit 46 Jahren war er Hirte in der Steiermark. Er liebte die Tiere: Kälber, Schafe – und am allermeisten seine ‚Goaßn‘. Die Berge waren wie seine Westentasche“, betont Rehling.

Nach der Meldung, dass Hell vermisst werde, wurde eine große Suchaktion gestartet. Zahlreiche österreichische Medien berichteten darüber. „Bodo hatte sein Handy dabei. Aus datenschutzrechtlichen Gründen und weil der Akku inzwischen leer war, konnte erst nach einigen Tagen das Gebiet der letzten Signale eingegrenzt werden. Doch bis jetzt blieb die Suche in dem äußerst unwegsamen Areal ergebnislos“, berichtet Rehling. Die Suche habe sich auf ein 600 Quadratmeter großes Gebiet beschränkt. „Zweimal musste wegen des schlechten Wetters abgebrochen werden“, berichtet der Unterreiter. Am 18. August wurde die offizielle Suche eingestellt, kleinere Gruppen und Freunde suchten weiter nach dem Schriftsteller – leider erfolglos. Sein Verlag hat den 81-Jährigen mittlerweile für verschollen erklärt.

Für Rehling bis heute unfassbar. Auch die Ungewissheit, was letztendlich passiert sei, würden ihn und vor allem Bodos Lebensgefährtin Andrea bis heute quälen. Die letzten Informationen, die es von seinem verschollenen Freund gebe, waren zwei Begegnungen: mit einem Schafsucher und mit drei Wanderinnen. Bodo sei voller Energie und wie immer heiter und unbeschwert gewesen, hätten sie berichtet. „Seitdem fehlt jede Spur von ihm“, so der Unterreiter.

Rehling geht stark davon aus, dass sein Freund bei der Suche nach seinen geliebten Tieren irgendwo abgestürzt ist. „Er hätte sie nie im Stich gelassen“, betont er. Deswegen sei er sicher, dass es ein Unfall gewesen sein muss. „Bodo wäre niemals einfach verschwunden. Nie hätte er seine Viecher im Stich gelassen“, verdeutlicht er. Schon seit Jahren habe Bodo Hell nach einem Nachfolger als Senner auf der Alm gesucht, da er zuletzt doch „ein bisschen in die Jahre“ gekommen sei. Das sei Rehling bei einem der letzten Auftritte im Bauernhausmuseum Amerang aufgefallen. „Er war eben auch schon 81 Jahre alt.“

Bis dahin habe er seinen Freund und Kollegen aber „als unglaublich zäh“ erlebt. „Nach manchen Veranstaltungen hat er sich spätabends die Stirnlampe aufgesetzt und gemeint: Ich geh’ rauf zu meinen Viechern“, erinnert sich Rehling noch gut. „Dann ist er losmarschiert auf seine Alm, die auf rund 1800 Höhenmetern liegt“, sagt er. „Er war immer auf zack. Wer ihn nicht kannte, hat sich wahrscheinlich gedacht, was das für ein ‚Treibauf‘ ist. Er konnte nie ruhig sitzen.“

Gleichzeitig beschreibt Rehling den Schriftsteller als „unheimlich klug und belesen.“ „Er war wie ein Lexikon, wusste praktisch alles. Das hat er aber nie heraushängen lassen. Er war bodenständig und bescheiden, obwohl er in Österreich eine ganz große Nummer war. Gerade in den letzten Jahren ist er sehr bekannt geworden“, verdeutlicht sein Freund. „Er hat sämtliche Preise abgeräumt, 2023 hat er noch den österreichischen Kunstpreis für Literatur erhalten, 2024 den Literaturpreis des Landes Steiermark“, erzählt der Unterreiter.

Trotzdem war das Leben auf der Alm „Bodos Welt – auch wenn es hart ist“, sagt Rehling. In Hells Buch „Tracht: Pflicht“ sei die Rede von „steil und gefährlich, ein falscher Schritt – und es ist vorbei“, sagt er. „Manchmal glaube ich, dass Bodo irgendetwas in dieser Art schon vorausgeahnt hat“, sagt er. Nun sei der 81-Jährige für immer an dem Ort, der ihm am meisten bedeutet habe, „an dem er zu Hause ist“, sagt Rehling.

Nach dem Verschwinden seines Freundes waren noch zwei Auftritte von Rehling und Hell angesetzt. „Wir haben im Team darüber gesprochen, ob wir sie überhaupt veranstalten und haben uns letztlich dafür entschieden“, sagt Rehling. „Bei den Teilen von Bodo wurde eine künstliche Pause gemacht. Es war mucksmäuschenstill. Die Besucher haben geweint, es war hochemotional“, erzählt Rehling.

Hochemotionale
Veranstaltungen

Am 13. März 2025 gebe es eine Abschiedsfeier im Literaturhaus in Salzburg. Dort würden sich „Kollegen aus allen Sparten“ von Bodo Hell verabschieden. Rehling selbst wird dort auch auftreten. „Ich weiß auch schon, was ich machen werde“, sagt der Künstler. Er habe ein Xylofon aus Bodenfliesen, das sein Freund so sehr geliebt habe. „Er hat es immer ‚Fliesofon‘ genannt. Da ist Bodo immer voll drauf abgefahren“, erzählt Rehling. Zu Ehren seines verschollenen Freundes wird Rehling bei der Feier darauf spielen.