Hochwasserschutz kann Jahrzehnte dauern

von Redaktion

Wer daran „schuld“ ist und wer dafür zahlt – Chef des Wasserwirtschaftsamtes Rosenheim im Interview

Landkreis Rosenheim – Es sind Millionen und Abermillionen Euro, die jedes Jahr in den Hochwasserschutz fließen. Trotzdem hat das verheerende Unwetter vom 3. Juni 2024 wieder großes Leid verursacht. Liegt das am Klimawandel? Sind die Behörden zu langsam? Oder die Grundstücksbesitzer zu uneinsichtig?

Die Angst in Achenmühle, Kirchdorf und Raubling ist groß, dass nach 2020 und 2024 eine dritte Überflutung nur eine Frage der Zeit sein könnte. Die Menschen haben die Auswirkungen des Klimawandels schmerzhaft gespürt und fordern schnelle Hochwasserschutzmaßnahmen. Doch die Planungen scheinen eine Ewigkeit zu dauern. In Achenmühle schon vier Jahre. Im OVB-Interview erläutert Dr. Tobias Hafner, der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Rosenheim, warum es Jahre oder gar Jahrzehnte dauern kann, ehe Hochwasserschutzmaßnahmen umgesetzt werden, und wer daran „schuld“ ist.

Die Menschen in
Kirchdorf, Raubling und Achenmühle haben das Gefühl, dass Hochwasserschutz schneller gehen muss. Warum dauert es so lange, ehe Projekte umgesetzt werden?

Dr. Tobias Hafner: Ich kann nur für das Projekt in Achenmühle sprechen, da das in der Verantwortung des Wasserwirtschaftsamtes liegt. Bis 2020 war Achenmühle nicht als ein derart hochwassergefährdetes Gebiet eingestuft. Nach der Überschwemmung 2020 haben wir diese Einstufung aktualisiert, den Hochwasserschutz für die Austraßen-Siedlung mit Priorität behandelt und sofort mit den Vermessungen begonnen.

Der Schutz für einen Ort ist aber nur ein Baustein von vielen Hochwasserschutzmaßnahmen in einem gesamten Einzugsgebiet: Wir können am Oberstrom nicht etwas bauen, was die Unterlieger gefährdet. Deshalb wurden Achenmühle, Rohrdorf und Thansau als Ganzes betrachtet.

Die Ermittlung der hydrologischen Situation im gesamten Einzugsgebiet eines Gewässers ist die Grundlage für eine Hochwasserschutzmaßnahme. Da fließen natürlich auch die Erfahrungen der Anwohner mit ein. Mit den hydrologischen Berechnungen konnte das Wasserwirtschaftsamt die latente Hochwassergefahr für die Austraßen-Siedlung nachweisen. Es wurden verschiedene Planungsvarianten erarbeitet, die auch im Rohrdorfer Gemeinderat vorgestellt und diskutiert wurden.

Wozu braucht man verschiedene Varianten und eine Beteiligung des Gemeinderates? Das kostet doch alles Zeit.

Zu einer rechtssicheren, fachlich fundierten und wirtschaftlichen Planung gehört es, dass Varianten abgeklopft werden, um eine Vorzugsvariante zu finden. In einem demokratischen Staat werden die Bürger in diesen Prozess schon frühzeitig einbezogen. Wenn es im Planungsprozess Einwände beispielsweise von Bürgern, Unternehmen oder Interessenverbänden gibt oder wenn es zu einer Klage kommt, müssen wir nachweisen, dass wir Alternativen geprüft haben und belegen, warum die eingereichte Planung die beste Variante ist.

In Achenmühle beispielsweise kommt immer wieder die Frage nach einem Rückhaltebecken auf. Die können wir beantworten, denn auch diese Variante haben wir in unseren Berechnungen geprüft. Sie würde einen 16 Meter hohen Staudamm erfordern, aber das Überschwemmungsproblem nicht lösen. Das Nadelöhr in diesem Bereich ist nicht der Oberlauf des Weißbachs, sondern ein Straßendurchlass unterhalb von Daxa, den wir vergrößern werden müssen.

Welche Rolle spielt der Grunderwerb für den Hochwasserschutz?

Ob für Rückhaltebecken, Deiche oder versetzte Bachläufe – es braucht immer Flächen. Keine Hochwasserschutzmaßnahme ist ohne den Erwerb von privaten Grundstücken möglich. Grundstücksverhandlungen können wir oder die betreffenden Gemeinden erst dann führen, wenn eine ausreichende Planungstiefe erreicht ist und eine flächenscharfe Vorzugsvariante feststeht. Leider muss man sagen, dass kurz nach einer Katastrophe die Dramatik und das Leid noch im Gedächtnis der Menschen präsent sind. Dann ist das Verständnis für erforderlichen Grunderwerb bei den ortsansässigen Eigentümern meist größer als in Zeiten, in denen die Ereignisse wieder in Vergessenheit geraten. Der Grunderwerb erfordert sehr viel Zeit. In der Gemeinde Feldkirchen-Westerham hat es beispielsweise 20 Jahre gedauert, ehe alle erforderlichen Flächen für das Hochwasserrückhaltebecken in Feldolling erworben waren. Und das Hochwasserrückhaltebecken Feldolling wird zigtausende Menschen im unteren Mangfalltal vor Überflutungen besser schützen. Hierfür waren 400 gütliche Einigungen und 400 notarielle Termine erforderlich – eine enorme Leistung. Und auch in Achenmühle müssen noch einige Hürden genommen werden, um für das Hochwasserschutzprojekt alle erforderlichen Grundstücke erwerben zu können.

Wer redet neben den
Eigentümern der Grundstücke noch bei der Hochwasserplanung mit?

Alle sogenannten Träger öffentlicher Belange. Das sind beispielsweise Unternehmen der Wasser- und Stromversorgung, der Telekommunikation oder auch Verkehrsbetriebe. Das sind Gemeinden und Behörden der Landkreise, Länder und des Bundes. Das können wie im Falle von Achenmühle auch die Autobahn GmbH oder andere Straßenlastträger sein. Aber auch Bürger reden mit. Eine wichtige Rolle spielen natürlich auch die Unteren Naturschutzbehörden und anerkannte Naturschutzverbände. Für jeden Eingriff in die Natur muss ein Landschaftspflegerischer Begleitplan in Text und Karte erstellt werden. Allein die Kartierung dauert eine Vegetationsperiode, also im Grunde ein ganzes Jahr. Auch diese Erkenntnisse fließen in die Entscheidung für die Wahl einer Vorzugsvariante ein, denn wir wollen mit dem Hochwasserschutz, soweit es möglich ist, auch Verbesserungen für die Ökologie und für die Sozialfunktion erzielen.

In welcher Phase werden die Träger öffentlicher Belange ins Boot geholt?

Offiziell, wenn die wasserrechtliche Genehmigung für ein Hochwasserschutzprojekt beim zuständigen Landratsamt beantragt wird. In dieser Phase kann es dann erfahrungsgemäß auch zu Klagen kommen. Deshalb findet am besten natürlich bereits vorher ein intensiver Abstimmungsprozess statt, um bereits im Planungsprozess die Belange optimiert einzubringen und so spätere Klagen zu verhindern.

Ist diese Etappe
gemeistert, kann endlich gebaut werden?

Noch nicht. Dann geht ein Projekt in die Ausführungsplanung. In dieser Phase werden die Vergabeunterlagen mit detaillierter Erläuterung der Arbeiten erstellt, die Aufträge europaweit ausgeschrieben und nach der Submission schließlich vergeben. Die Bauphase wird dann nach Möglichkeit so geplant, dass außerhalb der potenziellen Hochwassersaison gebaut wird und der Hochwasserschutz auch während der Bauarbeiten gewährleistet ist. Uns ist bewusst, dass es lange Vorlaufzeiten bis zum Baubeginn braucht. Dies planen wir aber mit ein. Das heißt, wir sorgen dafür, dass wir immer genug baureife, ausgeplante Vorhaben haben, sodass wir mit einem anderen baureifen Projekt sofort einspringen können, wenn es bei einem Projekt Verzögerungen gibt. Unser Ziel ist, dass wir die jährlich zur Verfügung gestellten Gelder tatsächlich ausgeben können. Natürlich sind Verzögerungen bei einem einzelnen Projekt immer frustrierend – sowohl für die Anwohner vor Ort als auch für den Projektverantwortlichen bei uns im Haus. In der Summe kommen wir aber mit dem Hochwasserschutzausbau gut voran.

Sollte es nach dem Juni-Hochwasser 2024 bei den komplizierten und zeitaufwendigen Vergaberichtlinien nicht Erleichterungen geben?

Unmittelbar nach der Flut wurde zum Beispiel die Vergabe im Interesse des dringlich erforderlichen, schnellen Agierens pragmatisch abgespeckt. Das hat uns gerade bei der Schadensbeseitigung der letzten Monate enorm geholfen. Diese Erleichterungen sollen beibehalten werden, zumindest bei kleineren Maßnahmen.

Greenpeace Bayern hat nach der Juni-Katastrophe kritisiert, dass die Bebauung immer näher an die Ufer heranrückt. Gerade in Achenmühle sind die Gebäude ja unmittelbar an Weißenbach, Schneiderbach oder Ache. Kann dort überhaupt ein wirksamer Hochwasserschutz erreicht werden?

Wir bauen einen Hochwasserschutz nach aktuellen Standards auf ein bestimmtes Schutzniveau aus. Aber einen hundertprozentigen Schutz wird es nie geben. Wir müssen damit rechnen, dass Starkregen und Überflutungen häufiger auftreten und dass gerade Starkregen auch abseits von Gewässern Siedlungen und Keller unter Wasser setzen. Wir empfehlen daher immer bereits auf der Ebene der kommunalen Bauleitplanung, aber auch bei Einzelbauvorhaben, die Wassergefahren mit im Blick zu haben. Hochwasser, Starkregen, hohe Grundwasserstände – die Risiken können mit guten Planungen stark reduziert werden. Auch an eine Versicherung sollte gedacht werden. Dichte Kellerfenster, Rückschlagklappen, etwas hochgesetzte Tiefgarageneinfahrten – hier lässt sich viel erreichen. Staatlicher, kommunaler Schutz und private Vorsorge müssen Hand in Hand gehen.

Wird bei der Bauleitplanung darauf geachtet, dass in hochwassergefährdeten Flächen nicht mehr gebaut wird?

Hafner: Im Grunde schon lange. Trotz der Flutkatastrophen der vergangenen Jahre erleben wir aber auch im Landkreis Rosenheim, dass es Grundstückseigentümer nicht akzeptieren, wenn sie in einem Überschwemmungsgebiet kein Baurecht erhalten. Grundsätzlich ist die Errichtung oder Erweiterung von Gebäuden in einem festgesetzten oder gesicherten Überschwemmungsgebiet zwar untersagt. Im Wasserhaushaltsgesetz des Bundes ist aber auch geregelt, dass in Ausnahmefällen gebaut werden darf. Letztlich führt das dann leider dazu, dass das Risiko von Schäden im Hochwasserfall zunimmt. Problematisch ist einfach, dass wir in allen Bereichen einen enormen Flächendruck haben. Wohnbebauung, Gewerbe, Landwirtschaft, erneuerbare Energien, Ausbau von Verkehrswegen, Renaturierungen – das alles erhöht den Flächendruck. Die Erfahrungen beim Hochwasser im Juni haben aber auch wieder gezeigt, dass gerade bei kleineren Gewässern die Anlieger möglicherweise unbeabsichtigt das Risiko erhöhen, indem zum Beispiel Stege ins Gewässer gebaut werden, direkt am Ufer abschwemmbare Dinge gelagert oder teils sogar Deichböschungen mit Treppchen oder Steinmauern abgegraben werden. All das erschwert natürlich die Gewässerunterhaltung und erhöht das Risiko.

Apropos Gesetze: Stimmt es, dass die Kosten für den Hochwasserschutz auf die Bürger umgelegt werden könnten?

Ja. Im Artikel 42 des Bayerischen Wassergesetzes ist geregelt, dass von denjenigen, die vom Ausbau eines Gewässers Vorteile haben, und dazu zählt auch die Schadensabwehr, Beiträge und Vorschüsse verlangt werden können. Üblicherweise übernehmen das die Gemeinden oder der Freistaat Bayern – somit tragen es „alle Bürger“ solidarisch gemeinschaftlich. Sie könnten diese Kosten aber auch umlegen. Es gibt auch einen Paragraf 5 im Wasserhaushaltsgesetz, der besagt, dass jede Person, die von Hochwasser betroffen sein kann, im Rahmen des ihr möglichen verpflichtet ist, Vorsorge zu treffen. Auch im Baugesetzbuch steht, dass die Belange des Hochwasserschutzes berücksichtigt werden müssen. Insofern sind wir alle gemeinsam gefordert, die Hochwasserrisiken zu senken.

Interview: Kathrin Gerlach

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