Martina Glatt ist für ihr Programm „Alte Wege neu gehen“ bekannt.
Aschau im Chiemgau – Mit Salbei unangenehmen Besuch ausräuchern. Mit Kräutern gute Laune garantieren. Mit einer Einladung zum Essen den Segen der Perchta sichern. Träumen, was 2025 passieren wird. All das konnte man vor einer der letzten Raunächte auf einer Wanderung am mystischen Bärnsee lernen.
Sagenumwoben sind die zwölf Nächte zwischen den Jahren. Vor der letzten, der „feisten“ und wichtigsten Raunacht, weihte eine weise Frau in die Geheimnisse dieser mystischen Zeit ein: Martina Silvia Glatt, Reiseführerin und Kräuterfee, die in der Heimat fand, was sie einst in der Ferne suchte: Brauchtum und Rituale für die Seele und fürs Leben.
Premiere am Bärnsee trifft ins Schwarze
In der Region für ihre Kräuterkunde und ihr Programm „Alte Wege neu gehen“ schon bestens bekannt, war die von der Tourist-Info Aschau angeregte Raunachtswanderung zum Bärnsee eine Premiere. Und von der träumte Martina Glatt in einer der Raunächte zuvor. Und da sich erfüllen soll, was man zwischen dem 24. Dezember und 6. Januar träumt, rief sie voller Sorge in der Tourist-Info an. Dass zu viele Menschen kommen würden und doch eigentlich nur eine kleine Gruppe von 25 Leuten gut geführt werden könne, sorgte sie sich.
Dieser Traum
wurde wahr
Und so kam es dann auch: Am Freitag, 3. Januar, standen Punkt 14 Uhr, 115 Besucher am Moorbad. Einige drehten schon vorher um, weil sich der Verkehr auf der schmalen Straße nach Höhenberg staute und sie keinen Parkplatz mehr fanden. Andere kamen zur spontan angebotenen zusätzlichen Führung tags darauf wieder. 80 Erwachsene und zehn Kinder folgten Martina voller Neugier (und Disziplin) auf der ersten Führung auf schmalen Pfaden durch den Wald. Am Samstag geleitete sie weitere 25 neugierige Gäste auf mystischen Wegen durchs Holz. Das Interesse an den Raunächten war riesig, die Kulisse im verschneit glitzernden Hochmoor rund um den Bärnsee perfekt.
Und die Besucher waren nach zwei Stunden im Schnee tatsächlich „erleuchtet“. Denn Martina Glatt erzählte zwar auch die eine oder andere Sage, doch vor allem begeisterte sie mit einem umfassenden Wissen über Rituale und Bräuche, die im Chiemgau über Jahrhunderte von den Großmüttern an die Enkelinnen weitergereicht wurden. Und die keineswegs etwas mit Hexerei zu tun haben, sondern die Grundlagen einer Volksmedizin sind, die auf Natur- und Kräuterkunde beruht.
Jahrhundertealtes Wissen lebt weiter
„Das Wissen ist geblieben, es gibt auch heute noch Menschen, die Warzen oder Blutungen abbeten oder die sich gegen Krankheiten einen Sud aus Wildkräutern oder Baumpilzen kochen“, verriet sie Aschauer Geheimnisse. Die zweifelnde Frage, ob das denn auch funktioniere, wurde aus der Runde mit einem absolut überzeugenden „Und wie das wirkt!“ beantwortet.
Warum das Arbeiten „verboten“ ist
Zuerst einmal aber räumte Martina mit dem Mythos auf, dass böse Perchten die Menschen bestrafen, wenn sie zwischen den Jahren waschen, putzen oder überhaupt arbeiten. Gut: Frau Perchta sieht das wohl nicht gern, doch hinter dieser „Regel“ stecke vor allem ein gutgemeinter Rat, klärte Martina Glatt auf: „Es lohnt sich, den großen Hausputz auf die Zeit nach dem 6. Januar zu verlegen und stattdessen mit Familie und Freunden an der Wiege des neuen Jahres eine friedliche und glückliche gemeinsame Zeit zu verleben.“
So entsteht richtiges „Räucherzeug“
Sollte zwischen den Jahren wider Erwarten auch unangenehmer Besuch ins Haus kommen, könne man ihn danach wieder „ausräuchern“. Denn auch das Räuchern ist natürlich ein wichtiges Ritual in den Raunächten. „Jeder macht es. Keiner redet darüber“, sagt Martina. Denn für Menschen, die mit Brauchtum aufgewachsen sind, sei es normal.
Eine Zeit lang wurde es mit Argwohn beäugt. Doch nicht nur in der Kirche, sondern überall werde es praktiziert. Nicht nur mit Weihrauch, sondern vor allem mit eigenen Mischungen aus getrockneter Natur. Und so hatte auch Martina ihr „Räucherzeug“ dabei: aus selbst gesammelten Kräutern und Baumflechten. Mit vielen Beispielen beschrieb sie, wie vielseitig die Verarbeitung und Wirkung von Garten- und Wildkräutern, Rinden, Pilzen und allerlei anderen Pflanzen sein kann. „Nach Krankheit oder unangenehmen Besuchen reinigt der Rauch des getrockneten Salbei beispielsweise die Luft und wandelt sie wieder in eine positive Schwingung.“
Wie Unangenehmes „ausgeräuchert“ wird
Aus Pflanzen werden bekanntermaßen auch Tees oder Badezusätze bereitet. „Man kann auch Bettstrohkräuter verwenden, um Schmerzen zu nehmen“, erklärt die Kräuterfee: „Meine Großmutter beispielsweise legte sich Wurmfarn unter die Matratze, um ihre Rheumaschmerzen zu lindern.“ Eine englische Königin soll nie gereist sein, berichtet Martina, ohne dass Mädesüß-Blüten auf ihrem Weg verstreut wurden. Sie sollten als Stimmungsaufheller allen gute Laune machen. „Und das sind doch Sachen, die man einfach mal ausprobieren kann“, sagt sie lachend und fügt hinzu: „In Maßen. So wie man auch Wildkräuter nicht gleich als Salat anrichten, sondern erst einmal einzeln probieren sollte.“
Haben Sie das Jahr 2025 schon geträumt?
In den Raunächten, den Lostagen, geht es auch ums Orakeln. Doch dafür muss man keine Glaskugel oder die Karten befragen. „In unseren Träumen sehen wir an diesen Tagen vorher, was kommen wird“, sagt Martina. Die Erinnerung an ihren Traum von der großen Resonanz auf ihre Führung macht Zweifler nachdenklich. Doch beruhigt sei, wer in diesen Tagen recht wirres Zeug geträumt haben sollte, denn: „In den Raunächten geht es vor allem ums bewusste Loslassen, um das Hören mit dem Herzen“, erklärt Martina.
Dafür braucht es nicht viel. Nur den Willen, es zu tun und das Vertrauen, dass es so funktioniert, wie es weise Frauen wie Martina beschreiben: „Bei einer Wanderung trete ich bewusst in den Wald ein, um in der Natur Kraft zu schöpfen. Werfe ich in einem See oder Bach einen Stein hinter mich ins Wasser, übergebe ich meine Gedanken dem fließenden Wasser und damit dem Fluss des Lebens. Gehe ich durch einen Schlupfstein wie die Felsspalte in Maria Klobenstein hindurch, streife ich meine Sorgen ab. Alles beruht auf dem einen Ur-Bild: Wenn ich loslasse, gebe ich alles ab und vertraue darauf, dass es besser wird.“
Wo man seine Sorgen abstreifen kann
Der mystische Winterspaziergang mit Martina Glatt beginnt am Weidentunnel nahe des Moorbades in Höhenberg 1. Ein Ort, der wie eine Schlupfwurzel zum Abstreifen seelischer Last einlädt. Und der einst auch der Lieblingsort von Martina und ihrer verstorbenen Tochter Michaela war. Das Aschauer Bankerl 162 – die Feenbank – erinnert an ihre vertraute Zweisamkeit und lädt auch andere ein, die Aussicht auf Aschau und die Berge zu genießen, tief durchzuatmen und loszulassen.
Entlang des Schafelbachs geht‘s hinein in den mystischen Wald. Überall stehen kleine Mooshäuschen, die Familien mit ihren Kindern gebaut haben. Für Zwerge, Trolle, Wichtel oder Mäuschen?
Mooshäuschen
im Zauberwald
Man weiß es nicht. Doch erkennbar wird wie vielerorts in den bayrischen Wäldern, wie groß der Wunsch nach sagenhaften Gestalten ist. Ihnen Gutes zu tun, macht den Kindern Freude. Und eine Belohnung, wie sie die Zahnfee als anerkannter Hausgeist für jeden Milchzahn ins Haus bringt, braucht es dafür nicht.
Astrid Lindgren hat die Geschichte von Tomte Tummetott erzählt, für den die Schweden in Haus, Scheune und Stall einst Pudding bereitstellten, damit der Wichtel ihnen wohlgesonnen sei. Martina Glatt erzählt von Frau Perchta, der die Menschen im Chiemgau einst am Berg, vor dem Haus, im Stall oder im Garten – vor allem unter dem Holler, dem Wächter der Ahnen – Tische mit Speis und Trank aufstellten, damit sie ihnen hold sei und Segen spende.
Wer Frau Perchta wirklich ist
Niemand hat sie je gesehen. Doch der Glaube an sie war tief verankert. „An eine strahlend-leuchtende, freundliche Göttin, die nach dem Rechten schaute und Haus und Hof behütete. Die aber auch streng und böse sein konnte, wenn sie liederliche Leute antraf“, erzählt Martina. „Am Heiligen Perchtabend am 5. Januar wurde ihr Schmalzgebackenes hingestellt, weshalb diese, die wichtigste Raunacht, auch als die feiste, also fettige Raunacht bezeichnet wird“, erklärt Martina. Um Mitternacht wurden Fenster und Türen geöffnet, um den Segen der Frau Perchta hereinzulassen. Und so konnte an „Großneujahr“, dem 6. Januar, ein gesegnetes neues Jahr beginnen.
Der Rauch bringt die Wünsche auf den Weg
Mit Martinas liebstem Raunachtsmärchen aus dem Chiemgau wurde Frau Perchta in ihrer strengen Güte noch einmal präsent. Sie löschte das oberflächliche Sehen und zündete innere Lichter an. So wie es Martina auf spannende und zugleich amüsante Weise auch mit ihren Wanderern tat. Denn spätestens als sie ihre duftende Räuchermischung aus Wacholder, Salbei, Dost, Eisen-, Johannis- und Marienkraut, Lavendel und Baumflechten entzündete, den Wanderern mit einer Feder den Rauch zuwedelte und jeder aussprach, was er im alten Jahr gern zurücklassen möchte, war klar: Es ist die Sehnsucht nach Frieden, Gesundheit, Liebe und Erfüllung, die alle vereint. Und beim Losen fand jeder für sich einen Baum, eine Blume oder ein Kräuterlein, die ihm Anregungen schenkten fürs neue Jahr. Wie das Gänseblümchen beispielsweise, das dabei hilft, die Gedanken zu ordnen, um Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Individuelle Anregungen
Martina Glatt hat 115 Menschen ins neue Jahr begleitet und ihnen das Bewusstsein geschenkt, wie sie es selbstbestimmt erleben können. Raunächte, Räucherei, Losen oder Orakeln, Glaube oder Aberglaube – was auch immer es für den Einzelnen sein mag, die Botschaft der sagenhaften Gästeführerin Martina war für jeden verständlich:
Man sollte viel öfter auf seine innere Stimme hören, sein Bauchgefühl hinterfragen und sich besinnen – auf die Natur und ihre Heilkräfte, auf sich selbst und seine innere Kraft. „Das heißt es, das große Los zu ziehen“, ist sich Martina sicher. Also liegt der Mythos der Raunächte in jedem von uns? Die Kräuterfee lacht weise und antwortet mit leuchtenden Augen.