Nahla und ihre Mutter Nadine kurz nach dem Vorfall in der Schön Klinik Vogtareuth. Fotos privat
Vogtareuth/Plankstadt – Es hätte ein schöner Abend werden sollen. Eine Feier mit Freunden, das schöne Feuerwerk um Mitternacht. Doch der Silvesterabend im Jahr 2022 nahm für Familie Bassler aus Plankstadt in Baden-Württemberg eine dramatische Wendung. „Es war Nachmittag, Nahla wollte sich für die Feier zurechtmachen. Sie hat geduscht und als sie sich anschließend kopfüber ihren Handtuch-Turban aufsetzen wollte, hat sie geschrien wie noch was“, erinnert sich Nahlas Mutter Nadine Bassler an den Schicksalstag. „Es hat wie einen Schlag in ihrem Kopf getan. Sie hat nur noch gesagt, ihr Kopf tut so weh.“
Aneurysma
platzte
Zunächst vermuteten Nahlas Eltern einen Migräne-Anfall. Doch nachdem sich ihre Tochter mehrmals übergeben hatte und plötzlich davon sprach, nichts mehr zu sehen, rief ihre Mutter den Rettungswagen. „Während ich am Telefon war, hat sie meine Hand gehalten, bis dann der Druck immer weniger wurde. Sie ist komplett weggedriftet.“ Als der Notarzt eintraf, war die damals 13-Jährige bereits im Koma. Sie wurde intubiert und in die Klinik nach Heidelberg gebracht. Dort stellen die Ärzte fest, dass in Nahlas Gehirn ein Aneurysma, also eine Ausbuchtung an einem Blutgefäß, geplatzt war. Sofort wurde Nahla operiert.
Heute, knapp zwei Jahre später, sitzt Nahla an einem Tisch in einem Besprechungsraum der Schön Klinik Vogtareuth. Sie hat lange Haare, lackierte Fingernägel, ein paar Piercings im Ohr und eine Zahnspange – auf den ersten Blick eine ganz normale Teenagerin. Einzig ihre Sprache erinnert im ersten Moment noch an den dramatischen Vorfall von damals. Man würde nicht denken, dass die Tatsache, dass Nahla noch lebt, an ein Wunder grenzt. Aber so ist es. „Wenn ich auf Nahlas MRT blicke, kann man auf jeden Fall von einem Wunder sprechen“, ist ihr behandelnder Arzt in der Schön-Klinik Vogtareuth, Dr. Fahd Alsalloum, überzeugt.
„Ich kann den Kollegen, der Nahlas Operation durchgeführt hat, nur loben. Das ist wirklich perfekt gelaufen. Schnell und effektiv“, betont der Oberarzt im Fachzentrum für pädiatrische Neurologie, Neuro-Rehabilitation und Epileptologie.
Nach der OP verbrachte Nahla noch 17 Tage auf der Intensivstation in Heidelberg. Nach einem weiteren Monat in der Klinik dort ging es dann zu einer fünfmonatigen Reha nach Vogtareuth.
Zu Beginn der Reha war Nahla in einem schlechten Zustand, erzählt ihre Mutter. „Sie hatte eine Nasensonde, die sie sich ständig gezogen hat, hatte das Durchgangssyndrom und musste über längere Zeit sediert werden. Sie war eigentlich komplett Reha-unfähig.“
Doch dann ging es irgendwann bergauf – und zwar „wie eine Rakete“, wie Nadine Bassler mit einem Lächeln erzählt. Von ihrer Tochter wird sie dafür direkt mit einem peinlich berührten „Mamaaaaa“ abgemahnt. Betrachtet man die Bilder und Videos von Februar 2023, ist es kaum zu glauben, dass Nahla bereits so viele Fortschritte gemacht hat. Sie konnte nicht sprechen, nicht stehen, nicht gehen. Sie musste alles von Neuem lernen.
Als Nahla nach einem Jahr wieder zur Kontrolle in die Uniklinik Heidelberg zurückkehrte, traf sie dort auf den Arzt, der ihr damals das Leben rettete – und der konnte seinen Augen kaum trauen. Er hätte nicht erwartet, dass Nahla so schnell Fortschritte machen würde.
Bei dieser Gelegenheit erzählte er Familie Bassler auch, dass er sich damals für die OP entschieden hatte, weil er und seine Frau gerade die Geburt einer kleinen Tochter erwarteten. „Ob Nahla überhaupt operiert wird, stand auf Messers Schneide“, erzählt Nadine Bassler. „Aber er hat unsere Tochter, so ein junges Mädchen, gesehen und gesagt, er muss es versuchen.“ Er schätzte Nahlas Überlebenschance damals auf nur ein Prozent. Und sie ist dieses eine Prozent. Man spürt, wie dankbar die Familie Nahlas Lebensretter ist. „Wir haben inzwischen Geschenke-Verbot“, merkt Nahla mit einem Schmunzeln an.
Doch auch nach zwei Jahren ist der Weg der 15-Jährigen zurück in ein normales Leben noch nicht zu Ende. Ihre Vorweihnachtszeit verbrachte sie erneut auf Reha in Vogtareuth. „Glücklicherweise sind die Gehirnareale, mit denen wir sprechen, die auch die Bewegungen initiieren, intakt geblieben. Aber um das volle Potenzial nutzen zu können, würde man das Kleinhirn benötigen – und das fehlt jetzt“, erklärt Dr. Alsalloum. Daher sei die Verarbeitungsgeschwindigkeit im Alltag noch zu langsam.
„Um dem zu begegnen, muss man alle Fächer an Bord haben. Heißt: Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, den Sozialdienst, Psychologen, Ärzte und die Pflege. Wir setzen uns dann zusammen und diskutieren wirklich jeden Aspekt“, sagt der Oberarzt.
Eigentlich hat sich die heute 15-Jährige lange gegen eine Rückkehr in die Reha-Klinik gewehrt. Zu viele Rückschläge waren damit verknüpft. Doch nun ist sie doch ganz froh, wieder hier zu sein. „So können wir die schlechten Erlebnisse mit schöneren überschreiben“, erzählt Nahlas Mutter, die die ganze Zeit an der Seite ihrer Tochter ist. Dass es an der Sprache noch hapert, ist für das Mädchen nicht allzu schlimm. „Ich kann damit leben“, sagt sie. „Ich habe schließlich ein Loch im Gehirn.“
Reisen, Führerschein
und Studium
Für ihre Zukunft hat Nahla viele Pläne. Sie möchte den Führerschein machen, die Schule abschließen und dann erstmal ein Jahr lang die Welt erkunden. „Sie liebt das Reisen“, erzählt ihre Mutter. Im Anschluss möchte Nahla gerne Medizin studieren – dieser Wunsch hat sich seit dem Vorfall sogar noch gefestigt.
An Silvester hat die 15-Jährige nun zum zweiten Mal ihren neuen „Geburtstag“ gefeiert. Gefeiert hat die Familie gemeinsam, wie Nadine Bassler erzählt. Und obwohl die vergangenen Jahre Nahla und ihre Eltern so viel Kraft gekostet haben, ist ihre Dankbarkeit für das Leben nicht zu übersehen.