Kiefersfelden/Passau/Waidhaus – Dieses Verfahren vor dem Amtsgericht Rosenheim war einerseits ein Beweis für die Effektivität der Ermittlungsbehörden, andererseits für die Probleme, welche sich für die Justiz bei einer Beweiswürdigung ergeben können. Die Schleuserorganisation stellte sich als wahres Labyrinth dar.
Den Ermittlungsbehörden war es gelungen, die Täter aus drei unterschiedlichen Einschleusungen aus dem Jahr 2020 im Laufe der Ermittlungen einander zuzuordnen und die dahintersteckende Schleuserbande anzuklagen. Deshalb waren die drei Angeklagten im Februar 2022 festgenommen worden.
Männer wollen illegal
Geld verdienen
Bei Festnahmen in Kiefersfelden, Passau und Waidhaus waren deren Smartphones eingezogen und kriminaltechnisch ausgelesen worden. Erst damit wurden die Verbindungen und die Zusammenarbeit der drei Angeklagten deutlich. Klar wurde, dass im Wesentlichen Menschen aus Bangladesch ins Land kamen. Jedoch wollten diese in Deutschland kein Asyl beantragen. Vielmehr war deren einzige Absicht, in einem der europäischen Staaten Schwarzarbeit zu finden. Denn selbst bei hiesigen Hungerlöhnen, wie sie diese Illegalen nur zu erwarten hatten, würden sie ein Vielfaches davon verdienen, was sie in ihrem Heimatland erwirtschaften konnten.
Vorzugsweise wurden sie nach Frankreich durchgeschleust. In einem Video, das die Schleuser auf dem Lkw als „Werbe-Film“ gedreht hatten, waren ausschließlich junge Männer zu sehen, die sich sichtlich darauf freuten, für die zu Hause Gebliebenen Geld verdienen zu können.
Weil gegen die drei Angeklagten, ein 54-jähriger und zwei 44-jährige Bangladeschi, keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nachzuweisen war und alle drei feste Wohnsitze in München oder Köln haben, waren sie nach einigen Monaten wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Zu den Verhandlungstagen – inzwischen vier an der Zahl – waren sie auch selber angereist.
Die Grundproblematik war, dass die Beweise fast ausschließlich aus den Chats herrührten, die auf den Handys gefunden worden waren. Diese waren aber fast ausschließlich in Bengalisch oder Farsi verfasst. So musste eine Vielzahl von Sprachnachrichten erst von Dolmetschern übersetzt und dann nach strafrelevanten Inhalten durchsucht werden. Im Ergebnis konnte die erste Anklage vom Rosenheimer Schöffenrichter zweimal wegen juristischer Unzulänglichkeiten nicht zugelassen werden. So kam die Sache im dritten Anlauf erneut vor das Schöffengericht Rosenheim unter dem Vorsitz von Richterin Isabella Hubert, die dieses Verfahren nun von ihrem Vorgänger „geerbt“ hatte.
In einem Rechtsgespräch stellte sich schnell heraus, dass die Staatsanwaltschaft schon wegen der vorgeworfenen Gewerbs- und Bandenmäßigkeit eine Bewährungsstrafe für unmöglich hielt, was eine Verständigung verhinderte.
Die Taktik der Verteidigung wurde schnell klar: Sie bezweifelte generell die Richtigkeit der übersetzten Sprachtexte an. So wurde Satz für Satz dem anwesenden Dolmetscher vorgespielt, der dann zu bestätigen hatte, ob die Übersetzungen des Dolmetschers bei der Ermittlung korrekt waren. Es wurde deutlich, dass es sich hier um wahrhaft internationale Verknüpfungen handelte.
Der ermittelnde Beamte der Bundespolizei belegte, wie generalstabsmäßig die Organisation der Schleusung abgewickelt wird. Ob die Verteidiger mit vielen Verständnisschwierigkeiten dabei den Zeugen immer wieder bewusst missverstehen wollten, blieb offen.
Die Fachkunde des Dolmetschers wurde deutlich, als er verschiedene Sprecher wiedererkennen und Dialekte benennen konnte. Durch den Ermittler konnten Honorare belegt und dokumentiert werden.
Auf der Route von Armenien über Rumänien, Ungarn und Österreich nach Deutschland wurden nachweislich unterwegs schon Taxis für Deutschland organisiert, um von Passau ins Rheinland und von dort weiter nach Frankreich zu gelangen.
In einem Fall fiel der Polizei in Passau ein solches Taxi jedoch bereits am 4. September 2020 auf. Die Passagiere wurden festgenommen. Der Ermittler berichtete weiter, dass die Schleuser in Deutschland nicht bereit waren, einen Teil der Geschleusten damals tagsüber weiterzutransportieren, und diese in einem Maisfeld die Nacht abwarten mussten. Davon gab es sogar ein Video, das bei den Geschleusten aufgefunden und von diesen lachend in die Heimat versandt worden war.
Die Verteidigerin Daniela Gabler bestritt nach wie vor, dass diese Texte ihrem Mandanten zuzuordnen seien. Ein Teil der geschleusten Bangladeschi war zwischenzeitig im Rheinland angekommen, wo diese in einen Bus zur Weiterreise gesetzt wurden. Die Tatsache der Ticket-Beschaffung und Abwicklung der Bezahlung geht zweifelsfrei aus den abgehörten Gesprächen hervor. Nach wie vor musste der Dolmetscher diese Sprachnachrichten Satz für Satz übersetzen und die Richtigkeit der vorhandenen Übersetzungen bestätigen.
Der Ermittler beschrieb nun, welche Mühe und welch großer Aufwand vonnöten ist, die Quell-Codes aus den Smartphones zu fixieren, zu entschlüsseln und zu bewerten. Die Richterin stellte allerdings fest, dass die Weiterschleusung in Richtung Frankreich nach Meinung des Gerichtes nicht des großen Nachweises bedarf. Vielmehr sei die Beteiligung an der Einschleusung – sofern das Gericht zu dieser Auffassung kommt – die wesentliche Straftat. Falls das Gericht zu der Erkenntnis käme, dass eine Zusammenarbeit mit den Schleusern nach Deutschland bewiesen sei, ergäbe sich zwangsläufig ein bandenmäßiges Vergehen, das dann entsprechend zu bestrafen sei. Sie drang darauf, dieses Verfahren zu beenden.
Verteidigung beantragt Gutachten
Dem begegnete die Verteidigerin, Rechtsanwältin Daniela Gabler, mit einem Beweisantrag: Sie beantragte ein phonetisches Sachverständigen-Gutachten der Sprachnachrichten.
Spannende Aufgabe der Justiz wird es nun sein, einen phonetischen Sachverständigen zu finden, der dazu in der Lage ist, diese bengalischen Sprachnachrichten den jeweiligen Sprechern zuzuordnen. Das Verfahren wurde nach drei Verhandlungstagen erneut unterbrochen und muss – wegen der Zeitdauer der Gutachten – wieder völlig neu aufgerollt werden. Eine schier unendliche Geschichte.