Die Kunst des perfekten hohen Cs

von Redaktion

Opernstar Judith Spießer aus Edling singt auf den Bühnen der Welt

Edling/München – Judith Spießer hat einen aufregenden Start ins neue Jahr hinter sich: Mit dem „Orchestre des Champs-Elysées“ tourte sie Anfang Januar durch Frankreichs und Italiens Theaterhäuser.

„Die Tournee bestand aus einer Auswahl von Walzern aus der Strauss-Familie unter Leitung des belgischen Dirigenten Philippe Herreweghe. Es war toll, jeden Tag woanders zu sein“, erzählt Judith Spießer begeistert. Und dabei ist sie nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt unterwegs.

Musikbegeistert von Kindesbeinen an

In Erinnerung bleiben wird ihr vor allem der Auftritt in Taiwan: Vor eineinhalb Jahren gab sie ihr Debüt als „La Fée“ in Massenets Oper „Cendrillon“. „Das ‚National Taichung Theater‘ ist ein fantastisches, erst wenige Jahre altes Opernhaus, mit einer wahnsinnig beeindruckenden Architektur und phänomenaler Akustik. Das Publikum hat getobt. In Taiwan ist die Klassik noch nicht so bekannt, was dem Ganzen einen ganz besonderen Flair verleiht.“

Gesungen hat Judith Spießer schon immer gern. Das Talent und die Begeisterung für Musik wurde ihr wohl in die Wiege gelegt: Die Mama ein großer Opernfan mit wunderschöner Stimme, der Papa Gründer eines Kammerorchesters.

Die ersten Schritte in die Gesangswelt beschritt Judith Spießer – damals noch mitten im Modedesign-Studium – in einer Bigband, die auch Fernsehauftritte absolvierte. „Ich hatte jedes Mal unglaubliches Lampenfieber und befürchtete, dass ich das, was ich im Zimmer geübt habe, auf der Bühne nicht abrufen kann“, erinnert sie sich. Daher entschloss sie sich, die Musical-Schule in Hamburg zu besuchen.

Ein Opernsänger, der dort als Lehrer unterrichtete, wurde auf sie aufmerksam. „Mit diesem Stimmumfang kannst du Weltkarriere machen.“ Seine Worte verhallten zwar zunächst, doch in Judith Spießer wuchs die Neugierde: „Das hat in mir ein Feuer entfacht. Ich informierte mich umfassend und hörte nur noch Opernmusik, tauchte in eine Zauberwelt ein. Von dem Moment an wusste ich, dass ich das mein Leben lang machen möchte.“

Wie jede Branche hat auch die Klassik ihre Schattenseiten. Opern werden gerne mit Glamour assoziiert, doch das Leben einer „Primadonna“ ist nicht nur schillernd, sondern in erster Linie sehr anstrengend, wie Judith Spießer aus Erfahrung weiß. „Ich muss immer zu 100 Prozent abliefern – egal, in welcher mentalen Verfassung ich mich gerade befinde. Ob Jetlag, zu wenig Schlaf oder einfach mal schlecht gelaunt und traurig: Du stehst auf der Bühne und performst. Was wirklich hinter dem strahlenden Menschen auf der Bühne steckt, weiß das Publikum nicht. Es ist eine riesige Herausforderung, die Contenance zu wahren.“

Ihren Lebensstil vergleicht sie deshalb gern mit dem eines Hochleistungssportlers: „Ich friste schon ein spießiges Leben“, sagt sie nicht ganz ernst gemeint mit einem Augenzwinkern. „Aber ich lebe auch dafür. Wer eine Märchenoper singen und tanzen will, kann es sich nicht leisten, nicht fit zu sein.“

Verplante Wochenenden gibt es bei Judith Spießer daher nicht: „Alkohol, Zigaretten, ungesundes Essen, durchzechte Nächte mit zu wenig Schlaf ist alles Gift. Ich muss mich unter Kontrolle haben und wissen, wie mein Körper funktioniert. Auch, wenn mir nicht nach Singen zumute ist, weiß ich, welche Knöpfe ich drücken muss, damit das hohe C perfekt sitzt.“ Dabei helfen ihr unter anderem eine Massage-Pistole gegen Verspannungen, die sie bei jedem Auftritt dabei hat, Yoga und Laufeinheiten.

Welche Schwierigkeiten hinter einer Performance stecken, wird von vielen unterschätzt: Junge Nachwuchskünstler geraten zu Beginn ihrer Karriere oft ins Straucheln. Judith Spießer sieht sich hier ein bisserl als Mentorin, gibt unter anderem auf Instagram Tipps, wie es im Business läuft, wie man mit diversen Situationen umgeht und unterstützt die jungen Sänger. Langfristig möchte sie stärker in die Beratung einsteigen, sieht sich Seminare geben, in denen sie Wissen und Erfahrung weitergibt. Natürlich gibt es auch in der Opernszene Konkurrenzdenken, wenn sich auf eine Rolle mehrere Anwärter bewerben. Für Judith Spießer aber gehört ein gesundes Wettbewerbsfeeling dazu: „Beim Vorsingen darf der Beste gewinnen. Am Ende entscheidet der Intendant, wer was singt.“

Bekommt Judith Spießer eine neue Rolle, bereitet sie sich intensiv darauf vor, zunächst mit Notenlesen, dann mit Musik und sobald sie das Stück „im Ohr“ habe, wird mit Pianisten durchgespielt. Italienisch und Französisch singen sei übrigens nur bedingt vergleichbar mit Sprechen, die Vokale werden unterschiedlich betont.

Einen anderen Beruf kann und mag sich die Koloratursopranistin nicht vorstellen. Als Freiberuflerin führt Judith ein flexibles und individuelles Leben und genießt es, ihre Zeit überwiegend frei einteilen zu können. Davon profitiert auch ihre neunjährige Tochter, die die Mama zu Auftritten auf der ganzen Welt begleitet, wo es möglich ist.

Natürlich gibt es für Judith Spießer feste mehrstündige Probenzeiten, mit und ohne Pianisten, hier eine Matinee am Vormittag, dort eine Vorstellung am Abend oder am Wochenende. Viel Zeit geht auch für die Organisation von Fototerminen, die Überarbeitung der Website oder Büroarbeit drauf.

Ihr Ziel ist es, auf dem Level, auf dem sie sich jetzt befindet, zu bleiben: „Freilich habe ich Träume, auf welchen Bühnen dieser Welt ich noch stehen möchte, aber ich will mich da gar nicht festlegen. Ich möchte gute Musik auf hohem Niveau machen, an welchem Ort ist vorläufig zweitrangig.“

Vorfreude auf Veranstaltungen

Heimatverbunden ist und bleibt Judith Spießer mit Edling, aber vor allem mit Wasserburg. Bei ihrem Auftritt am 13. Januar im „Teatro Verdi“ in Pordenone erinnerte sie das italienische Städtchen sehr an die heimische Innstadt. „Die Arkaden und bunten Häuser waren so ähnlich, das war faszinierend. Wasserburg stellt ohnehin ein kleines Juwel dar“, schwärmt Judith Spießer. Vor allem der historische Rathaussaal hat es ihr angetan. Dort hat sie als Kind schon Ballett getanzt: „Die Akustik in dem alten Gebäude ist wunderbar und sehr klar. Ich freue mich, am 18. Mai in dem schönen Saal einen Liederabend abhalten zu dürfen.“ Veranstalter des Benefizevents in der Innstadt ist die Stiftung „KuRa Kultur“.

Von Theater- und Opernhäusern auf der ganzen Welt aus, zieht es Judith Spießer also hin und wieder auch gerne zurück in die alte Heimat.

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