Vogtareuth – Die Erinnerungen an legendäre Faschingsbälle in den „Katakomben“ beim Vogtareuther Wirt oder an den strengen Lehrer, der gerne Watschn verteilte – sie sind so präsent, obwohl schon lange her. Lebendig schildern Senioren aus Vogtareuth und Umgebung bei den monatlichen Treffen des Erzählcafés, wie es so war, in der „guten alten Zeit“. Als die Mädchen, kaum hatten sie das elterliche Haus verlassen und waren außer Sichtweite, den Rock zum Minirock hochkrempelten. Und sich die Buben einen Zigarettenstummel teilten und gierig und hustend daran sogen. Es ist, als wäre es gestern gewesen und nicht schon 70 Jahre her“, erklären sie immer wieder.
So kommt das Gespräch auf längst verstorbene Originale, aber auch ernste Begebenheiten. Als etwa beim Einmarsch der Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg ein Vogtareuther die weiße Fahne auf dem Kirchturm hissen wollte, er aber „runtergeschossen“ wurde. Auch beim Thema Flurbereinigung geht es hoch her. Die Wogen sind auch heute noch nicht immer geglättet. „Schön ist, dass man hier beim Erzählcafé wieder zum Reden kommt. Deshalb komme ich so gerne. Sonst spreche ich fast nur noch mit dem Fernseher“, sinniert ein Gast.
Und genau um dieses Sprechen und ums Erinnern geht es Sigrid Knothe, die die monatlichen Treffen im Vogtareuther Café Hiesig aus der Taufe gehoben hat und seither moderiert. „Bei der Betreuung meiner hochbetagten Mutter habe ich bemerkt, welch interessante Geschichten sie zu erzählen hat und die verloren gehen, wenn nicht darüber gesprochen wird.“ Das war der Auslöser für die ehemalige Redakteurin, das Erzählcafé zu starten. „Ich freue mich über die inzwischen große Resonanz gerade der älteren Mitbürger aus Vogtareuth und Umgebung, sich hier aktiv zu beteiligen. Sie haben so die Chance, aus ihrem Alltag herauszukommen und ganz ungezwungen bei Kaffee und Kuchen zu reden, zu ratschen und Gemeinschaft in einer Gruppe zu erleben“, so Knothe.
Und obwohl einige der Senioren nicht in Vogtareuth aufwuchsen, verstehen sie sich – trotz anderem Dialekt und Herkunft. Sie verbindet die gemeinsam erlebte Geschichte von Krieg, Nachkriegszeit und den harten Jahren des Aufbaus. Heute genießen die älteren Damen und Herren ihr Stück Torte ohne schlechtes Gewissen. „Das hätten wir früher nie gemacht. Man ging nicht ins Café, man hat gearbeitet.“
Jetzt wurde im Pfarrstadl mit Sekt, Torte, Kaffee und einer großen Bilderrückschau Jubiläum gefeiert. Bürgermeister Rudolf Leitmannstetter, der als Ehrengast die Torte mitgebracht hatte, erinnerte an die Anfänge. Er sei stolz darauf, dass sich das Erzählcafé so gut entwickelt habe. In seinem Rückblick dankte Thomas Gögerl, Vorsitzender der Vogtareuther Bürgerhilfe, der Organisatorin Sigrid Knothe für ihr Engagement.
Am 11. November 2021, so Gögerl, fand das erste Treffen statt und seither 25-mal, nur unterbrochen durch Corona. Pfarrer Guido Seidenberger zeigte sich in seinem Grußwort erfreut: „Gerne erinnere ich mich, als ich über meine persönlichen Erinnerungen an verschiedene Osterbräuche beim Erzählcafé sprach. Es war eine richtige Wohlfühlatmosphäre.“
„Genau das ist mein Ziel. Gerade die älteren Besucher sollen sich wohlfühlen, sollen Gemeinschaft erleben und sich an längst vergangene Tage erinnern“, meint Knothe. Doch nicht sie allein stemme das Erzählcafé, das jeden zweiten Donnerstag im Monat stattfindet: „An meiner Seite stehen die Seniorenbeauftragte Berta Frai, Dorothee Scheuerl als Pressefrau und Rudi Sturainer als unermüdlicher Fotograf. Und natürlich all die Senioren, die durch ihre lebhaften Erinnerungen längst Vergangenes wieder lebendig werden lassen“, so Knothe.
In einer Bilderschau erinnerte Knothe an die einzelnen Veranstaltungen: an das alte Krankenhaus und die einstige Badeanstalt, von denen fast nichts mehr übrig ist, an Ferien bei der Tante, den ersten Fernseher im Ort oder den Flugplatz, auf dem schon Franz Josef Strauß landete, an ausgedehnte Schulwege und einstige Lehrerpersönlichkeiten, an Rodelspaß und den obligatorischen Kirchgang vor der Schule. Zum Schluss wurden noch Blumen und kleine Säckchen Fleur de Sel überreicht. „Schließlich sind wir Senioren das Salz in der Suppe“, so Knothe.