Aschau – In den Räumen der Orthopädischen Kinderklinik wurde eine Ausstellung eröffnet, die zum Nachdenken, aber auch zum Bewundern anregt. Die Kunstwerke der Textilkünstlerin Inge Stahl (1946 bis 2023) bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Schönheit und Schmerz. Der Ausstellungsort hätte nicht trefflicher gewählt sein können, begegnen sich doch auch in der Kinderklinik Schönheit und Schmerz.
„Flugapparat für
das behinderte Kind“
Peter Wichelmann, Geschäftsführer und Personalleiter bei „Kind im Zentrum“ (Markenname der Behandlungszentrum Aschau GmbH, die in Aschau eine Orthopädische Kinderklinik und ein Heilpädagogisches Zentrum betreibt, Anm. der Red.) bedankte sich bei der Eröffnung der Ausstellung bei Bruno Stahl, dem Ehemann der Künstlerin, dass er nicht nur die Ausstellung kuratiert und bestückt habe, sondern auch für die Schenkung des „Flugapparat für das behinderte Kind“. Ein Werk, das trotz der Beinschienen luftig leicht wirkt und dank der glitzernden Flügel und Federn der Gehhilfe die Schwere nimmt.
Dem Traum vom Fliegen – dem kann man im Lichthof der Klinik nahekommen, so Wichelmann. Überhaupt zeigten die Arbeiten von Inge Stahl eine ästhetische Qualität und eine unglaubliche Vielfalt an Materialität und somit vielschichtige Interpretationsmöglichkeiten. Die Infotafeln mit Zitaten der Künstlerin laden dazu ein, nicht nur einmal die Werke zu betrachten, sondern mehrmals.
Aschaus Dritte Bürgermeisterin Monika Schmid ging in ihrem Grußwort auf die Vernetzung von Mutter und Kind ein. Die Ausstellung finde schließlich in Kooperation mit der Gemeinde und der Klinik Sonnenbichl statt. Sie habe sich schon vor der offiziellen Eröffnung die Oeuvres angesehen und sei tief beeindruckt. Sei es das Brautkleid, das um die Taille rot geschnürt ist. Ist es ein Farbtupfer oder eine Abschnürung? Oder versinnbildlicht der filigrane Baustahl um das Kleid eine Gefangennahme? Inge Stahl mache auf Missstände aufmerksam. Es gebe noch Nachholbedarf, was die Stellung der Frau betrifft. „Wir hinken immer noch hinterher.“
Julie Hausel-Schulz, Enkelin von Inge Stahl, ging – von einer Videoshow begleitet – auf das Leben und die Werke ihrer Großmutter ein. Aufgewachsen in Deutschland, später verheiratet in den USA, dann Rückkehr und schließlich der Start als Künstlerin. Daneben noch drei eigene und vier Stiefkinder. Ihr Ouevre zeigte sie weltweit, wurde dafür mit internationalen Auszeichnungen geehrt. So bekam sie 1997 den ersten Preis für „Herzbeklemmung“ im Salon de Printemps in Luxemburg, für Skin Repair I und II wurde sie 2004 in Brüssel mit dem Queen Fabiola Grand Prix geehrt und mit „Flugapparat für das behinderte Kind“ wurde ihr 2011 der Prize of Excellence bei der Internationalen Biennale für textile Kunst in Mexiko zuerkannt. Mit Draht, Stoff, Glas, Holz, Keramik, Plastik, Jute, Leder, Strickwolle habe ihre Großmutter Weiblichkeit dargestellt und dabei auch ihre Autobiografie miteinfließen lassen. „Dornröschen“ mit Seide und Dornen, „Metamorphosen oder Metamorphe Rosen“ (ein Bett mit Rosen und Brennnesseln), die „Frau im goldenen Käfig“ – eine Arbeit aus Stoff, Draht, Hanf, Perlen, Blech und Holz – die im Rathausfoyer ausgestellt ist oder „Die Bestrahlungsmaske“ (fünf Jahre kämpfte Inge Stahl gegen den Krebs an) die dank der Plastikperlen einem Schmuckstück ähnelt.
Eine dunkle Wolke mit Herz, von Inge Stahl aus 3800 Stoffstreifen zusammengesetzt, fasst es zusammen: „Was wird von mir bleiben?“ Oeuvres, deren Betrachtung ein tiefgründiges und nachhaltiges Erlebnis hervorrufen und die noch lange nachhallen.