Aschau – Der Neubau eines Mehrfamilienhauses mit sieben Wohnungen an der Ganghoferstraße 22 in Hohenaschau wurde am 29. Januar genehmigt. Bestandskraft erlangte die Baugenehmigung nicht. Ein Nachbar hat dagegen geklagt. Damit liegt das Bauvorhaben faktisch erst einmal auf Eis.
Ungeheuerliche
Vorwürfe
Parallel dazu formierte sich eine „Bürgerbewegung Ganghoferstraße 22“. Die adressierte ein anonymes Schreiben an Bürgermeister Simon Frank und sandte es auch an die OVB-Redaktion. Aus Angst vor „Friktionen durch die Gemeinde, den Bauträger und den Grundstückseigentümer“ verzichten die Autoren auf die Angabe eines Absenders, wie sie erklären.
Doch in Trump-Manier setzen sie Fake-News in die Welt, beleidigen den „Bürgermeister oder die Mitglieder des Bauausschusses“ als „unkundig“, vermuten „Klüngeleien“ mit „dem Bauträger/Grundstückseigentümer“, die „der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis zu bringen“ seien. Und sie drohen dem Bürgermeister, dass er „diesen ungeheuerlichen Vorgang“ politisch wohl nicht überleben werde. Alles mit dem Ziel, dass die „Baugenehmigung unverzüglich aufzuheben“ sei.
Erhebliche Vorwürfe, die nach Aufklärung schreien. Denn zwar geben sich die Absender aus Angst vor „Friktionen“ – also „Reibungen“ oder „Widerständen“ – nicht zu erkennen. Gleichzeitig aber drohen und beleidigen sie. Wenn auch den falschen Adressaten, denn nicht die Gemeinde, sondern das Landratsamt hat hier die Baugenehmigung erteilt. Der Bauausschuss oder der Gemeinderat geben nur ein „gemeindliches Einvernehmen“ oder verweigern es. Und das kann bei unterschiedlichen fachlichen Auffassungen von der Baugenehmigungsbehörde jederzeit ersetzt werden. Trotzdem greift die „Bürgerbewegung“ den Aschauer Bürgermeister Simon Frank persönlich an. Der fühlt sich nicht bedroht, ist aber sehr verwundert, was „für eine seltsame Art, Kritik zu üben, es in der Gesellschaft gibt“.
Halten Fakten einer
Prüfung stand?
Doch rollen wir den „ungeheuerlichen Vorgang“ von Anfang an auf. Zumal die Bürgerbewegung mit „Fakten“ argumentiert, die kompetent zu sein scheinen. Doch halten sie auch einer Prüfung stand? Das alte Pfarrheim aus den 1950er-Jahren an der Ganghoferstraße 22 steht schon seit geraumer Zeit leer. Eigentümerin ist die katholische Kirchenstiftung Aschau. Sie entschied sich, Grundstück und Gebäude zu veräußern. Das Flurstück liegt im Bereich des Bebauungsplanes „Hohenaschau-Nord-West“. Der stammt aus dem Jahr 1967, ist noch handgezeichnet und schon seit langem nicht mehr zeitgemäß. Im Mai 2024 beschloss der Bauausschuss in öffentlicher Sitzung, den Bebauungsplan zu ändern. Verwaltung, Gemeinderat und Städteplaner beschäftigten sich damit, wie an der Ganghoferstraße 22 städtebauliche Entwicklung im Innenbereich möglich werden könnte. „Es ging um Nachverdichtung in einem heterogenen Wohngebiet mit Einfamilien- und Doppelhäusern sowie Mehrspännern“, beschreibt Josef Schrank vom gemeindlichen Bauamt Umgebung und Ausgangslage.
Nicht ein Bürger hatte
etwas einzuwenden
Mit dem Bebauungsplan sollte Begrünung geplant und das „Maß der baulichen Nutzung“ an der Ganghoferstraße 22 – dazu zählen beispielsweise Grundflächenzahl (GRZ) und Gebäudehöhe – an die umliegende Bebauung angepasst werden. Der große „Fußabdruck“ von einer 0,32er-GRZ des Hauptgebäudes des unmittelbaren Nachbargrundstücks an der Cramer-Klett-Straße 6 sollte dabei aber nicht „als Referenzobjekt“ betrachtet werden.
Der Bebauungsplan wurde von einem Planungsbüro aktualisiert und dem Bauausschuss vorgelegt. Der stimmte der Entwurfsplanung am 17. September 2024 zu. Diese wurde vier Wochen lang im Rathaus ausgelegt und im Internet veröffentlicht, damit sich alle Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange sowie die Bürger informieren und ihren Bedenken einbringen konnten.
Im November wurden mögliche Einwände besprochen und abgewogen: Von der Öffentlichkeit – also den Bürgern – waren weder Stellungnahmen eingegangen, noch Anregungen oder Sorgen in der Verwaltung vorgetragen worden. Übrigens auch nicht bei der katholischen Kirchenstiftung Aschau. Fachbehörden für Immissionsschutz, Abfallrecht, Wasserrecht, Straßenverkehr, Bauleitplanung und Wasserwirtschaft dagegen meldeten sich zu Wort. Einwände hatten sie keine. Und so nahm der demokratische Prozess seinen Lauf. Der Bau- und Umweltausschuss beschloss die Änderung des Bebauungsplanes am 21. November 2024 einstimmig. Die Satzung wurde auf der Homepage der Gemeinde veröffentlicht und am 16. Januar 2025 rechtskräftig.
Für den Grundstücksbesitzer Anlass, sich ab November noch einmal intensiver um einen Käufer zu bemühen. Viele Anläufe hatte es bereits gegeben. Doch ohne Erfolg. Mit einem zeitgemäßen Bebauungsplan sah das nun anders aus. Ein Bauträger aus dem Chiemgau meldete Interesse an, diskutierte seine Ideen mit der Genehmigungsbehörde und plante den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit einer Grundfläche von 271 Quadratmetern, zwei Etagen plus Dachgeschoss und sieben Wohneinheiten.
Die Fahrzeuge der Mieter sollen in der Tiefgarage verschwinden. Damit weder Grundstück noch die enge Straße zugeparkt werden und der Großteil der Fläche – etwa 600 Quadratmeter – grün bleibt, will der Bauträger zusätzliches Geld für die Tiefgarage in die Hand nehmen: mindestens 250000 Euro. Unterirdisch sollen zehn Fahrzeuge Platz finden. Drei Parkplätze entstehen oberirdisch.
Am 21. Januar wird der Bauantrag im Bauausschuss behandelt. Die einzige Sorge: Bloß keine Zweitwohnungen! Ein Parkplatz fehlt dem Projekt nach Stellplatzordnung, doch da der zu einer kleinen Wohnung gehört, wird der beantragten Ausnahme durch den Ausschuss zugestimmt. Die Rampe zur Tiefgarage erscheint den Gemeinderäten zu steil. Doch die technische Ausführung solle das Landratsamt prüfen. Mit diesem Hinweis und dem Einvernehmen der Gemeinde geht der Bauantrag zur Genehmigungsbehörde, dem Landratsamt Rosenheim. Am 29. Januar wird die Baugenehmigung erteilt. Sie wird nicht nur dem Bauwerber zugestellt, sondern auch den Nachbarn.
Ende Februar geht bei Aschaus Bürgermeister Simon Frank eine Unterschriftenliste ein. Damit wollen etwa 35 Anwohner der Ganghoferstraße ihren „Widerspruch gegen die Art der Bebauung“ einlegen. „Widerspruchsverfahren gegen Baugenehmigungen gibt es aber schon seit vielen Jahren nicht mehr“, erläutert Josef Schrank auf OVB-Anfrage. Mit der Unterschriftenliste können die Anwohner also nichts bewirken. Am 26. Februar und damit kurz vor Ende der vierwöchigen Klagefrist gegen einen Verwaltungsakt reicht ein Nachbar Klage gegen die Baugenehmigung vom 29. Januar ein.
Warum geklagt wird, scheint die „Bürgerbewegung Ganghoferstraße“ in ihrem anonymen Schreiben erklären zu wollen: „Weil im Bebauungsplan-Verfahren nicht alle Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange eingeholt“ wurden. Das stimmt nicht. Hätten sich die Bürger in den öffentlichen Bauausschusssitzungen oder auf der Homepage der Gemeinde informiert, wüssten sie das. Zudem macht das Kreisbauamt darauf aufmerksam, dass „der Bebauungsplan, der aufgrund der Planungshoheit der Gemeinde erlassen wurde, rechtskräftig und vom Landratsamt als untere Bauaufsichtsbehörde im Verfahren verbindlich anzuwenden ist.“
Auch die Versiegelung des Grundstücks scheint der „Bürgerbewegung“ zu groß zu sein: „Der Bebauungsplan sieht eine maximale Versiegelung des Grundstücks (GRZ) mit 0,25 vor“. Das entspräche „bei einer Grundstücksgröße von 1044 Quadratmetern einer Versiegelung von 261 Quadratmetern“. Inklusive der Tiefgarage würden aber „mindestens 401 Quadratmeter versiegelt“. Was die Verfasser übersehen: „Nach Baunutzungsverordnung wird zwischen baulichen Anlagen im Einzelnen unterschieden. Je nach Anlage fällt diese in die Berechnung der zulässigen Grundflächenzahl“, erklärt ein Sprecher des Kreisbauamtes.
Im konkreten Fall bedeutet das: Die im Bebauungsplan festgesetzte GRZ I von 0,25 darf aufgrund der gesetzlichen Regelungen durch die Anlagen nach Paragraf 19 Absatz 4 BauNVO – hierzu gehören unter anderem Tiefgaragen – überschritten werden, die sogenannte GRZ II. Danach kann die Bauaufsichtbehörde für die Anlagen nach § 19 Abs. 4 BauNVO im allgemeinen Wohngebiet eine Grundfläche bis zu einer GRZ II von 0,6 zulassen. Die Zahlen für das Bauvorhaben an der Ganghoferstraße 22 liegen darunter: „Bei Einberechnung aller maßgebenden Anlagen nach § 3 Absatz 4 BauNVO ergibt sich eine GRZ II von rund 0,5. Dieser Wert der baulichen Nutzung entspricht auch in etwa der in der umliegenden bestehenden Nachbarbebauung“, erläutert das Kreisbauamt auf OVB-Anfrage.
Niederschlagswasser
bleibt auf Grundstück
Wegen der „massiven Versiegelung“ sei eine Versickerung der „Dachflächen- und Niederschlagswasser auf dem Grundstück“ nicht möglich, kritisiert die „Bürgerbewegung“. Daran ändere auch „eine Rigole nichts, die ohne Ablauf geplant“ sei. Wozu die Rigole einen Ablauf braucht, erklären die Verfasser des anonymen Schreibens leider nicht. Schließlich soll das Oberflächenwasser ja im Boden auf dem Grundstück versickern.
Dafür sind 600 Quadratmeter unbebauter Grundstücksfläche vorhanden. Das wurde von Fachleuten geprüft. Der Bauträger legte mit seinem Bauantrag nicht nur eine Entwässerungsplanung, sondern auch ein Bodengutachten vor. Und darin erklärt der vom Bauträger beauftragte Geologe, dass „die Bodenbeschaffenheit optimal für eine Versickerung geeignet ist“. Das Kreisbauamt ergänzt: „Die Niederschlagswasserbeseitigung wurde ordnungsgemäß mittels Rigolen angegeben, welches eine zulässige Variante der Niederschlagswasserbeseitigung ist.“
So wird der Teufel
an die Wand gemalt
Doch die „Bürgerbewegung“ schürt noch größere Ängste: „Die benachbarten Grundstücke“ würden „in Mitleidenschaft gezogen“ und „wegen des hohen Grundwasserstandes“ drohe „eine Aufschwemmung der nicht überbauten Tiefgarage“. Doch die Ängste sind unbegründet, denn zum einen werden Tiefgaragen hochwasser- und auftriebssicher gebaut. Das ist übrigens auch eine Forderung, die im Bebauungsplan fixiert ist. Zum anderen liegt der mittlere Grundwasserspiegel in Aschau im Chiemgau mehrere Meter unter Gelände.
Die seit 2012 betriebene Messstelle des Wasserwirtschaftsamtes Rosenheim gibt darüber genauer Auskunft. Sie registrierte in 13 Jahren einen durchschnittlichen Grundwasserstand von 13,5 Metern unter dem Gelände (u.G.). Der allzeit höchste Grundwasserspiegel wurde im Jahr 2013 mit 7,80 Metern u.G. gemessen. Im regenreichen Jahr 2024 stieg er nach dem Starkregen im Juni auf 10,60 Meter u.G. und im September auf 9,80 Meter u.G. an. Und selbst nahe der Prien liegt er mehrere Meter unter der normalen Nutzungstiefe.
Gutachten geben
genaue Auskunft
Der Bauherr hat auch dafür ein eigenes Gutachten erstellen lassen. Das geht von einem maximal zu erwartenden Grundwasserspiegel von 3,50 Metern unter der Geländeoberkante (u.G.) aus.
Da sich der Neubau des Mehrfamilienhauses an der Ganghoferstraße 22 nahe der Prien befindet, gilt er als „Anlage an einem Gewässer“. Die wasserrechtliche Genehmigung dafür liegt bereits vor und gibt folgende Auskunft: „Laut Lageplan beträgt der Abstand des Vorhabens zum Gewässer etwa 42 Meter. Das Vorhaben beeinträchtigt weder die Gewässerunterhaltung noch den Wasserabfluss.“
Die Einwände und Ängste der „Bürgerbewegung“ sind also unbegründet. Das Fazit des Kreisbauamtes: „Die Festsetzungen des Bebauungsplans wurden vollumfänglich durch das geplante Bauvorhaben eingehalten.“