In Niedersachsen abgängiger Senior landet in Priener Polizeigewahrsam

von Redaktion

Frau trifft reiselustigen 74-Jährigen aus Pflegeheim in Alfeld mitten in der Nacht auf dem Friedhof von Bad Endorf an – Polizei greift ein und hilft

Bad Endorf – Es war am Mittwochabend, gegen 23 Uhr, als einer Frau am Friedhof in Bad Endorf ein scheinbar hilfloser, verwirrter Mann auffiel. In einer verregneten, kühlen Nacht wollte sie den 74-Jährigen nicht sich selbst überlassen. Also rief sie die Priener Polizei zu Hilfe. Die fand den 74-jährigen Rentner im polizeilichen Fahndungssystem: Ein Pflegeheim in Alfeld (Landkreis Hildesheim in Niedersachsen) hatte Manfred S. als „abgängig“ gemeldet. Doch wie war er nach Bad Endorf gekommen?

„Offenbar war er mit dem Zug unterwegs und ist in Bad Endorf ausgestiegen“, erklärt ein Sprecher der Polizeiinspektion Prien. Es komme immer mal wieder vor, dass Senioren in der Region strandeten. Dann versuchen die Beamten, anhand der Personalien die Angehörigen oder richtigen Ansprechpartner ausfindig zu machen. Im Falle von Manfred S. fanden sich eine gesetzliche Betreuerin und das Pflegeheim in Alfeld, in dem er lebt. Gegen 1 Uhr erhielten sie die gute Nachricht, dass der 74-Jährige wohlauf und in Bad Endorf in guten Händen ist. Dass es dem Mann auch wirklich gut geht, hatten die Beamten zuvor in der Klinik in Prien abklären lassen. Sie versorgten ihn mit Essen und Trinken. Und damit er nicht obdachlos in der kalten, regnerischen Nacht herumirrt, durfte er in der Dienststelle übernachten: Ein Bett gibt es dort nur im Schutzgewahrsam, also hinter verschlossenen Türen.

Einige Antworten, etliche offene Fragen

Bei den Kollegen im Polizeikommissariat in Alfeld war der 74-Jährige schon am Dienstag, 25. März, als „abgängig“ gemeldet worden. Mit dem Hinweis, dass er als reiselustig bekannt sei, an einer leichten Persönlichkeitsstörung leide, für sich und andere aber keine Gefahr darstelle und auch durchaus allein klarkomme. „Eine Vermisstensuche war also nicht erforderlich“, informiert ein Sprecher der Alfelder Polizei auf OVB-Anfrage. Der Senior wurde ins polizeiliche Fahndungssystem aufgenommen und so schließlich in Bad Endorf gefunden.

Wie Manfred S. die 670 Kilometer von Alfeld nach Bad Endorf absolvierte, wissen die Priener Beamten nicht genau. Anzunehmen ist, dass er mit dem Zug gefahren, in Göttingen und München umgestiegen und in Bad Endorf schließlich ausgestiegen ist. Warum er ausgerechnet nach Bad Endorf gefahren ist, konnten sie auch nicht herausfinden.

In seinem Pflegeheim in Alfeld ist der 74-Jährige als reiselustig bekannt. Es reise viel, auch ins Ausland. Zudem sei der Heimleitung bekannt gewesen, dass er sich am Dienstag auf Reisen gemacht habe, heißt es auf OVB-Anfrage. Bewohner eines Pflegeheimes – in diesem Fall eines Fachpflegeheimes für Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen – seien freie Menschen. „Sie haben die gleichen Menschenrechte wie jeder andere Mensch. Sie leben hier freiwillig, können sich frei bewegen und selbst entscheiden, ob und wann sie verreisen möchten“, betonte die Heimleiterin auf OVB-Anfrage. Sie hält es vielmehr für bedenklich, dass Manfred S. „einfach aufgegriffen und in Polizeigewahrsam genommen“ wurde, obwohl er „sich zu dieser Reise selbst und bewusst entschieden“ habe. Die Bad Endorferin und die Priener Polizei wiederum haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Sie begegneten in der Nacht an einer abgelegenen Straße einem Menschen, der offenbar in einem verwirrten Zustand, örtlich und zeitlich desorientiert war. Doch auch das, so die Heimleiterin aus Alfeld, sei normal: „In jedem psychischen Erkrankungsbild gibt es ein Auf und Ab.“

Im Polizeigewahrsam konnte der 74-Jährige verschnaufen. Während er schlief, klärten die Beamten mit Heim und Betreuerin ab, wie der Senior wieder nach Hause kommen solle. Eine siebenstündige Autofahrt, um ihn in Bad Endorf abzuholen, kam für das Fachpflegeheim nicht infrage: „Dafür haben wir keine Ressourcen. Und das ist auch nicht erforderlich“, betonte die Heimleitung auf OVB-Anfrage. Also ermöglichten ihm die Polizeibeamten die Rückfahrt nach Niedersachsen und brachten den 74-Jährigen zum Priener Bahnhof. Wohin er fährt und wo er aussteigt, kann er auch bei dieser Reise selbst entscheiden. Kathrin Gerlach

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