Erl/Tirol – Im kleinen Tiroler Festspielort Erl liegt in diesen Tagen ein besonderer Ernst in der Luft. Die Vorbereitungen für die Passionsspiele erreichen ihren Höhepunkt, und mit jeder Probe wächst die Spannung. Am Sonntag, 25. Mai, hebt sich im Passionsspielhaus der Vorhang – für eine Inszenierung, die mehr ist als Theater. Es ist ein Glaubensbekenntnis, ein kollektives Erinnern, ein Spiel von Leben, Leiden, Tod und Auferstehung. Nur alle sechs Jahre kommt das Dorf zusammen, um die letzten Tage Jesu Christi auf die Bühne zu bringen. Und jedes Mal verändert es die, die spielen – und die, die zusehen. Viele der männlichen Mitwirkenden – insbesondere jene mit Sprechrollen – lassen sich in der Regel rund ein Jahr vor Beginn der Aufführungen die Haare nicht mehr schneiden und wachsen einen Bart. Mehr als 600 Laiendarsteller, rund ein Drittel der Bevölkerung, stehen in diesem Jahr auf der Bühne. Von den Jüngsten bis hin zu den Hochbetagten ist jeder dabei, der in Erl lebt oder von dort stammt. Geprobt wird fast täglich – in zwei Teams, damit auch bei Krankheit oder Ausfällen nichts ins Wanken gerät. Die neue Bühne steht – und mit ihr entfaltet sich das Bühnenbild von Hartmut Schörghofer, das eigens für die Passion 2025 geschaffen wurde: eindrucksvoll in seiner Größe, berührend in seiner Zurückhaltung. Es ist keine Dekoration, sondern ein bewusst gesetztes, dramaturgisches Element, das Raum lässt für Emotion, Stille und spirituelle Tiefe. In klarer Reduktion und offener Symbolik begleitet es Publikum und Darsteller durch die letzten Tage Jesu – nicht belehrend, sondern einladend zum Mitfühlen und Nachdenken, erklärt Spielleiter Peter Esterl.
Auf durchscheinenden Elementen angedeutet, wird auch die Erler Berglandschaft als Teil des Geschehens: ein stiller Begleiter, der das Bühnengeschehen in eine größere, zeitlose Dimension hebt. Man arbeitet mit Headsets, um Sprache und Nuancen über die Lautsprecheranlage zu tragen. Die Musik stammt aus der Feder von Christian Kolonovits. Sie wird live gespielt, von einem Orchester und einem Chor mit rund 30 Stimmen, die die Dramatik der Passion unterstreichen, ohne sie zu überzeichnen. Einige der Lieder erklingen auf Hebräisch – eine bewusste Entscheidung, die nicht nur musikalisch Brücken schlägt. Denn auch inhaltlich wagt die Inszenierung unter der Regie von Martin Leutgeb einen neuen Blick auf alte Fragen. Sie zeigt einen Hohen Rat, der nicht einhellig ist, sondern ringt. Der Zweifel kennt, Hoffnung, Furcht. Und sie stellt sich gegen die pauschale Schuldzuweisung, die „die Juden“ als Mörder Jesu stigmatisiert.
Leutgebs Inszenierung sucht Differenzierung, sucht Wahrheit – und findet Menschlichkeit. Der Text ist neu, geschrieben von Leutgeb selbst. Zum dritten Mal steht er in der Passion, liebevoll betreut, geduldig trainiert. Auch er gehört dazu, zu diesem Spiel, das ein Dorf in Bewegung versetzt. Am Palmsonntag wurde das Stück erstmals vollständig durchgespielt. Zwei Teile, je etwa eineinhalb Stunden lang, getrennt durch eine Pause – Aufführungsbeginn ist 13.30 Uhr, das Ende gegen 17 Uhr. Derzeit wird intensiv an Teil II gearbeitet, beginnend mit dem letzten Abendmahl, dem Verrat und der Gefangennahme Jesu. Es sind Szenen von großer Dichte, in denen jedes Wort zählt. Nicht nur für die Zuschauer, auch für die, die spielen. Denn das Leiden Christi lässt sich nicht „darstellen“ – man muss es durchleben, zumindest in Ansätzen, auf der Bühne, in den Proben, im Innern. Und dann, am Ende: die Auferstehung. Maria Magdalena erkennt Jesus als Erste. Sie ist es, die den Auferstandenen bezeugt. Nicht Petrus, nicht Johannes – sie. Und damit hebt die Inszenierung auch eine andere Geschichte: die von der Kraft der Frauen in der Bibel, die oft übersehen, oft verdrängt wurde.
Die Premiere ist längst ausverkauft. Insgesamt, berichtet Spielleiter Peter Esterl, seien schon rund 40 Prozent der Karten vergeben. Wer dabei sein will, sollte sich beeilen. Denn in Erl, wo Tradition auf Zeitgeist trifft, wo ein ganzes Dorf das Drama der Weltreligion in Szene setzt, ist jeder Abend ein Bekenntnis. Und jede Aufführung ein Schritt ins Licht.
Eintrittskarten für die Passionsspiele Erl 2025 gibt es online über www.passionsspiele.at. Auch telefonisch unter 0043/5373/8139 oder per E-Mail an info@passionsspiele.at können Karten reserviert werden.
Volkhard Steffenhagen