Bande erleichtert Senioren um 66000 Euro

von Redaktion

Mit der Betrugsmasche des „Shoulder Surfing“ überlisteten Betrüger in ganz Südbayern alte Menschen an Geldautomaten, machten so große Beute und ließen verunsicherte Opfer zurück. Nun musste sich ein 40-jähriges Bandenmitglied vor Gericht verantworten.

Südbayern – In den Landkreisen Rosenheim, Traunstein, Miesbach, Mühldorf und Altötting wurden mehrere ältere Menschen im zweiten Quartal 2024 Opfer von sogenanntem „Shoulder Surfing“. Bei Abhebungen an Geldautomaten erbeutete eine Bande ihre EC-Karten samt PINs. Einen geständigen 40 Jahre alten Franzosen verurteilte die Siebte Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Dr. Florian Richter als Vorsitzendem nun zu vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe wegen 17 Fällen des Computerbetrugs.

Gesamtschaden in
Höhe von 66000 Euro

Beim „Shoulder Surfing“ erspähen Betrüger über die Schulter des Opfers zum Beispiel an Geldautomaten die Geheimzahlen von EC-Karten. Sie bringen die Opfer so durcheinander, dass sie ihnen die Bankkarten abnehmen können.

Der Angeklagte gehörte einer Bande an, die zwischen 20. April und 22. Juni 2024 in drei Serien zuschlug. Der Gesamtschaden belief sich in der Anklage auf über 66000 Euro. Die Täter sprachen in Banken ältere Menschen an, die soeben an Automaten Geld abgehoben hatten. Sie täuschten vor, die Opfer hätten einen Schein im Ausgabefach vergessen. Die Kunden wollten nachsehen und steckten ihre Karte erneut ein, um das Ausgabefach wieder zu öffnen. Durch Rufe wie „Abbruch“ oder „Geheimzahl“ verwirrten die Täter die alten Leute. Die Betrüger entwendeten ihnen die EC-Karten, animierten sie gleichzeitig, erneut die PIN einzugeben. Dann riefen sie etwas wie „gesperrt“. Wenn die Opfer weg waren, nahmen die Betrüger Abhebungen und Zahlungen mit den Karten vor.

Nicht immer waren
die Täter erfolgreich

Eine Geschädigte verlor auf diese Weise fast 11000 Euro – durch Abhebungen in Burghausen und Miesbach sowie durch eine mit Karte beglichene Rechnung bei McDonalds in Irschenberg. Nach einem Misserfolg in Altötting waren die Täter in Waldkraiburg erfolgreich. Die nächste Tat ging in Wasserburg über die Bühne – wiederum mit einem Zwischenstopp zum Essen in der Fastfood-Filiale in Irschenberg. 4500 Euro holten sich die Kriminellen in Kolbermoor, einen Tag später 3215 Euro in Bad Aibling.

Dort brachte die Bande auch eine Frau vier Wochen später um 9480 Euro. An der Bahnhofstraße in Traunstein musste eine Geschädigte einen Verlust von knapp 5000 Euro hinnehmen. Einen Mann übertölpelte die Bande am selben Tag in der gleichen Bank. Mit seiner Karte verschafften sie sich in Traunstein und Bad Tölz zusammen 6000 Euro.

Eine Frau in Rosenheim verhinderte einen weiteren Fall: Sie hielt die Hand konsequent auf den Schlitz für die EC-Karte. Bei der gleichen Bank veranlasste ein Kunde die sofortige Sperrung seiner Karte. Damit war mit der geklauten EC-Karte nichts mehr zu holen.

Ein in einer Bank in Altötting zufällig hinzutretender Kunde vereitelte den nächsten Betrug. In Garching an der Alz waren der Angeklagte und ein unbekannter Mittäter wieder umsonst, steckte doch die Kundin die EC-Karte falsch ein. 10000 Euro wollten die Kriminellen am gleichen Tag von einem Mann in Tacherting erbeuten. Wegen des Limits auf der Karte erzielten sie „nur“ 1110 Euro.

Halbes Jahr lang
intensive Ermittlungen

In Altenmarkt an der Alz hingegen gingen die Pläne auf. Eine alte Dame wurde um 9800 Euro erleichtert. Die letzte Tat in Trostberg war wieder eine Pleite. Die Kundin ließ sich durch den angeblich vergessenen Geldschein nicht verleiten, nochmals ihre EC-Karte einzustecken. Zahlreiche Detailvorwürfe aus den 19 Tatkomplexen wie Diebstähle und die Essensrechnungen bei McDonalds stellte die Kammer auf Antrag des Staatsanwalts mit Blick auf das strafrechtliche Gewicht der restlichen Taten ein.

Nach einem halben Jahr intensiver Ermittlungen gegen mehrere Tatverdächtige war es der Polizei gelungen, den Angeklagten Ende September 2024 dingfest zu machen. Über Einzelheiten wie Funkzellenauswertungen informierte vor Gericht der Sachbearbeiter der Kripo Rosenheim. Die Kammer hörte auch einige Geschädigte – durchwegs „ältere Semester“, so der Staatsanwalt. Alle Zeugen waren sichtlich betroffen, dass sie derart überrumpelt wurden. Eine Frau äußerte, sie traue sich gar nicht mehr, Bargeld abzuheben.

Staatsanwalt Vitus Auer plädierte auf fünf Jahre und neun Monate Gefängnis. Positiv wirke das Geständnis. Strafschärfend sah er die 17 Vorstrafen des 40-Jährigen in Frankreich, die hohe Rückfallgeschwindigkeit, die kriminelle Energie. Zusammen mit unbekannten Mittätern sei der Angeklagte eigens nach Deutschland angereist, um in Südbayern in monatlichem Abstand in kürzester Zeit immer nach dem gleichen „Modus Operandi“ vorzugehen. Negativ zu werten seien zudem die erheblichen Folgen für die Opfer.

Angeklagter
handelte aus Geldnot

Die Verteidiger, Raphael Botor und Alexander Kohut aus Rosenheim, würdigten den Wert des Geständnisses, das das Verfahren deutlich verkürzt habe. Der Franzose sei nicht der Kopf der Gruppierung, sei lediglich angeworben worden. Ihr Mandant habe aus Geldnot heraus gehandelt, habe zum Beispiel Unterhalt für seine Kinder leisten und seine Mutter unterstützen wollen. Dreieinhalb Jahre Haft hielten die Verteidiger für tat- und schuldangemessen.

Dr. Florian Richter übernahm im Urteil die Argumente aus den Plädoyers. Die Betrugsmasche „Shoulder Surfing“ sei „neu für die Kammer, auch wenn es sie schon länger gibt“. Ausländische Kriminelle kämen nach Deutschland und „zockten die Menschen ab“. Der Vorsitzende berücksichtigte das frühzeitige Geständnis besonders: „In anderen Verfahren wird gestritten bis zuletzt. Das frühzeitige Geständnis war uns etwas wert.“

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