Brannenburg – Es gibt ein wunderschönes Grabmal auf dem alten Dorffriedhof der katholischen Kirche Mariä Himmelfahrt in Brannenburg. Wie für die Ewigkeit gemacht, so wirkt es, gefertigt aus dem an der nahen „Biber“ abgebauten Nagelfluh-Gestein. Mit einem Kupferdach, das die zwei Gedenktafeln darunter vor Regen und Verwitterung schützt. „Hier ruht in Frieden Dr. honoris causa Maximilian Josef Mintz, gestorben am 23. Februar 1940“ steht auf der einen der beiden Tafeln. Auf der anderen der Name der Ehefrau, Rosa Johanna Mintz. Sie starb am 9. Januar 1952, zwölf Jahre nach ihrem Mann.
Das imposante Grabmal verrät nichts von dem besonderen Schicksal des Ehepaares. Maximilian Mintz wurde, obwohl gläubiger Katholik wie seine Ehefrau, von 1933 bis zu seinem Tod 1940 massiv rassistisch verfolgt. Denn nach den Rassengesetzen der Nationalsozialisten galt er als Jude.
Villa wurde
zum Priesterheim
Die prächtige Villa, die das Ehepaar Mintz Ende der 1920er-Jahre im Ortsteil Weidach hatte bauen lassen, ist vielen alten Brannenburgern noch in Erinnerung. Sie wurde nach dem Tod der Ehefrau vom Sudetendeutschen Priesterwerk erworben und zum „Priesterheim St. Johann“ umgebaut. Der Name des Erbauers aber und dessen Schicksal geriet in der Nachkriegszeit so gut wie in Vergessenheit.
Auch die ehemalige Villa des Ehepaars Mintz existiert heute nicht mehr. Das Priesterheim wurde 2018 verkauft und abgerissen, das Grundstück mit mehreren Wohnhäusern bebaut. Damals bildete sich eine Bürgerinitiative in Brannenburg, die mithilfe einer Unterschriftenliste die prächtige Villa unter Denkmalschutz stellen wollte, doch vergeblich. Ein Artikel im Oberbayerischen Volksblatt machte am 4. April 2018, mehr als 70 Jahre nach dem Krieg, die Brannenburger erstmals öffentlich auf das Schicksal des ursprünglichen Erbauers aufmerksam.
Ein 1928 geborener Brannenburger, dessen Vater in der Nachbarschaft eine Schreinerei hatte, kann sich auch heute noch gut an Maximilian Mintz erinnern. Als kinderlieb und „echten Wohltäter“, so hat er das Ehepaar in Erinnerung. „Immer wenn wir dort vorbeikamen, haben sie uns Kindern etwas geschenkt.“ Einmal eine Banane: „Das war die erste Banane in meinem Leben!“
Und noch etwas fällt dem 96-Jährigen aus seiner Kindheit ein: „Unser Vater hat uns immer erzählt: ‚Das müsst’s euch merken, Kinder: 1928/29 wurden bei uns im Dorf nur zwei Häuser gebaut. Eins davon war die Villa vom Mintz. Ohne ihn wären wir damals verhungert.‘“ Der Vater meinte damit, dass er als Schreiner sonst keine Aufträge hatte – Stichwort Weltwirtschaftskrise – und nicht gewusst hätte, wie er seine Familie hätte ernähren sollen.
Das soziale und kirchliche Engagement des zugezogenen, selbst kinderlosen Ehepaars ist unbestritten. Jährlich an Weihnachten und Ostern beschenkten sie Kinder aus ärmeren Familien im Dorf mit Kleidung, Schuhen und Spielsachen und übernahmen Tauf- und Firmpatenschaften von Brannenburger und Degerndorfer Kindern.
Wer war dieser Mann? Woher kam er? Und warum konnte er es sich leisten, in diesen schwierigen Zeiten ein stattliches Landhaus im Inntal zu bauen? Maximilian Mintz war vor 1933 als Patentanwalt in Berlin tätig. Er wurde 1867 als Sohn jüdischer Eltern in Jassi in Rumänien geboren. Seine Eltern Emil und Rosalia Mintz siedelten nach Wien über, dort besuchte er das Gymnasium und studierte an der Technischen Hochschule.
Noch in Wien lernte er seine spätere Frau Rosa Johanna Windisch kennen, die aus Plauen in Sachsen stammte. Wohl auch ihr zuliebe ließ er sich 1899 in der Votivkirche in Wien römisch-katholisch taufen. Die beiden zogen 1903 nach Berlin und nahmen die preußische Staatsbürgerschaft an.
Doch Mintz war mehr als nur ein erfolgreicher Berliner Patentanwalt. Aus einem Eintrag im „Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft“ von 1930 geht hervor, dass er einflussreiche Ämter und Funktionen innehatte: Er war Vorsitzender des Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums, der deutschen Landesgruppe der „Association littéraire et artistique internationale“ und der internationalen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz.
Er veröffentlichte einige wichtige Werke auf seinem Fachgebiet, wie „Die Patentgesetze der Erde“, gemeinsam mit Professor Josef Kohler, und war Herausgeber der Zeitschrift „Gewerblicher Rechtsschutz“. Mehrfach war er auch als Sonderbeauftragter der damaligen Reichsregierung im diplomatischen Auslandsdienst tätig, vertrat die Interessen Deutschlands auf Konferenzen in Bern, Kairo und Rom. Als Anerkennung seines Wirkens bekam er von der Universität Berlin die Würde eines Ehrendoktors der Rechte verliehen.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 aber sah Mintz sich gezwungen, alle seine Ämter und Funktionen abzugeben. Er zog sich mit seiner Ehefrau in das Haus in Brannenburg zurück. Doch auch hier, im idyllischen Inntal, war das Ehepaar nicht sicher vor Ausgrenzung und Verfolgung. Ab 1938 wurden die Bankkonten jüdischer Bürger systematisch gesperrt. Auch Maximilian Mintz wurde zur sogenannten „Judenvermögensabgabe“ gezwungen und verlor fast sein gesamtes Vermögen.
Und auch im Ort selbst wurde das Ehepaar in der NS-Zeit schikaniert und ausgegrenzt. Fensterscheiben im Haus wurden eingeworfen, Telefon und Radio durch die Polizei beschlagnahmt, die Lieferung von Kohlen verweigert. Sein Hausarzt versuchte, sich für ihn einzusetzen, und schrieb an den NSDAP-Kreisleiter Josef Heliel in Rosenheim zu den „Vorfällen in Sachen Mintz“: „…ich sehe wie der Mann physisch und seelisch darunter leidet.“
Maximilian Mintz hätte wohl ein ähnliches Schicksal gedroht wie so vielen damals – bis hin zur Deportation in ein Konzentrationslager. Vermutlich hat ihn nur sein plötzlicher Tod davor bewahrt. Er starb angeblich an „Herzlähmung“, am 23. Februar 1940, in seinem Haus.
Erinnerungsgeste
85 Jahre später
85 Jahre nach seinem Tod wird nun, am Dienstag, 27. Mai, um 15.30 Uhr, vor dem Rathaus in Brannenburg ein Stolperstein für Maximilian Mintz verlegt. Der Künstler Gunter Demnig bringt seit fast 30 Jahren mit den Stolpersteinen die Namen und Schicksale der Opfer des NS-Terrors zurück in unsere Erinnerung. Mit über 120000 Steinen ist das Projekt mittlerweile das größte Flächendenkmal der Welt.