Beschneidung: Verein warnt vor Risiken

von Redaktion

Ist die Beschneidung, die im Islam und Judentum als religiöses Ritual gilt, ein gewalttätiger Akt? Ja, findet Franziska Heywinkel (33) aus dem Landkreis Rosenheim. Bei einer Veranstaltung in Kolbermoor wollen sie und der Verein „intaktiv“ über mögliche Folgen aufklären.

Kolbermoor – Im Islam oder im Judentum ist die Beschneidung, also das Entfernen der Vorhaut am Penis, ein religiöses Ritual. Doch auch aus medizinischer Sicht vertreten diverse Ärzte die Ansicht, dass eine Beschneidung in manchen Fällen gesundheitliche Vorteile bietet. Ein Thema, das in der Medizin teilweise aber kontrovers diskutiert wird. So kann es dabei auch zu schweren Komplikationen kommen, die gar tödlich enden können.

Der Verein „intaktiv“ mit Sitz in Mainz, dem mittlerweile rund 50 Mitglieder angehören, hat es sich darum zur Aufgabe gemacht, Betroffenen zur Seite zu stehen und über mögliche Folgen von Beschneidungen aufzuklären.

Dazu lädt der Verein, für den sich unter anderem die Psychotherapeutin und Fernsehmoderatorin Angelika Bergmann-Kallwass als Botschafterin engagiert, am heutigen Montag ab 18 Uhr Interessierte aus der Region zu einem offenen Treffen ins Restaurant „Giuseppe e Amici“, An der Alten Spinnerei, in Kolbermoor ein.

Welche Erfolge der Verein bereits erzielen konnte, welcher Paragraf aus ihrer Sicht unbedingt aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch gestrichen werden muss und wieso sie die US-Sitcom „Die Nanny“ überzeugt hat, für „genitale Selbstbestimmung“ einzutreten, hat Franziska Heywinkel (33) aus dem Landkreis Rosenheim im OVB-Interview beantwortet.

Das Thema „Weibliche Genitalverstümmlungen“ wird seit Jahren von verschiedenen Vereinen und Aktivisten aufgegriffen, das Thema der „Männlichen Genitalverstümmelung“ durch Beschneidung dagegen kaum. Können Sie sich erklären, woran das liegt?

Die Gründe dafür sind vielfältig und können nicht kurz beantwortet werden. Zum einen bagatellisiert und verharmlost unsere Gesellschaft diese Eingriffe mit dem Wort der „Beschneidung“. Zum anderen verdrängt die Gesellschaft gerne die Parallelen, die zwischen den genitalen Zwangseingriffen bei Mädchen und Jungen bestehen.

In beiden Fällen werden diese Eingriffe gegen den Willen der Kinder und aufgrund religiöser oder kultureller Forderungen durchgeführt, in beiden Fällen entstehen Schmerzen, körperliches und seelisches Leid, in beiden Fällen soll die Sexualität kontrolliert werden und für beide Geschlechter können die Eingriffe tödlich enden. Wir leben hier also mit einer gewissen Doppelmoral.

Was sind die größten körperlichen und seelischen Gefahren durch die Beschneidung und wie häufig ergeben sich daraus gesundheitliche Probleme?

Laut einer retrospektiven Analyse eines deutschen Referenzzentrums werden jedes Jahr in Deutschland mindestens 400 Jungen aufgrund von Komplikationen während oder nach einer Zirkumzision, also einer Beschneidung, stationär nachbehandelt.

Das bedeutet, dass täglich ein Junge aufgrund von Komplikationen stationär nachbehandelt werden muss und hier eine sehr hohe Dunkelziffer vermutet wird. Die häufigsten Komplikationen sind starke Nachblutungen, Infektionen, schmerzhafte Narbenbildung, Teil- bis Komplettamputation der Eichel, Amputation des Penis bis hin zum Tod.

Letztes Jahr sind allein in Italien vier Jungen an den Folgen einer rituellen Vorhautamputation gestorben. Die häufigsten Folgen dieser Eingriffe auf die psychische Gesundheit sind Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und Angststörungen.

Was ist Ihr persönlicher Antrieb, sich für „genitale Selbstbestimmung“ einzusetzen?

Vor ein paar Jahren habe ich eine Folge der „Nanny“ gesehen, eine US-amerikanische Comedy-Serie. Fran Drescher verkörpert in dieser Serie „Fran Fine“, die sich als Nanny um die drei Kinder des Broadway-Produzenten Maxwell Sheffield kümmert. In einer Folge wurde einem Baby  die Vorhaut entfernt. Daraufhin habe ich Nachforschungen angestellt und war erschrocken darüber, dass diese Gewalt an kleinen Jungen weltweit legal ist und auch gesellschaftlich akzeptiert wird. Ich kann und möchte das nicht hinnehmen und engagiere mich daher beim Verein „intaktiv“ und auch politisch in der Partei der Humanisten (PdH).

Am heutigen Montag lädt der Verein zu einem offenen Treffen in Kolbermoor ein. Wieso haben Sie sich gerade die Region als Veranstaltungsort ausgesucht und was erwarten Sie sich von diesem Abend?

Bisher waren wir von „intaktiv“ überwiegend online aktiv, unter anderem durch das Beschneidungsforum. Dieses Forum bietet Männern die Möglichkeit, sich über die negativen Auswirkungen ihrer Vorhautamputation auszutauschen.

Aber auch Eltern wenden sich an uns, wenn sie beispielsweise nach einem Arzt für eine Zweitmeinung suchen, wenn ihren Söhnen die Diagnose einer Phimose (Anm.d.Red. Verengung der Vorhaut) gestellt wurde und eine Operation im Raum steht. Dieses Angebot möchten wir nun vor Ort durch ein persönliches Gespräch ermöglichen.

Geht es dem Verein und Ihnen nur um Information und Hilfestellung oder haben Sie auch konkrete Forderungen an Politik, Gesellschaft und an die Religionsgemeinschaften?

Wir fordern von der Politik ganz konkret die Abschaffung des Paragrafen 1631d im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Dieser Paragraf legalisiert die sogenannte „Jungenbeschneidung“ am nicht einsichts- und urteilsfähigen Kind.

Vor allem bei Kindern, die jünger als sechs Monate alt sind, dürfen diese Eingriffe von Personen durchgeführt werden, die keine Ärzte sind und damit finden diese Eingriffe in solchen Fällen ohne Betäubung statt, ganz legal. Von der Gesellschaft erwarten wir einen sensibleren Umgang mit dem Thema, was wir vor allem durch Aufklärung erreichen möchten.

Die Beschneidung ist vor allem im Judentum und im Islam weitverbreitet. Haben Sie als Verein das Gespräch mit Vertretern dieser Religionen gesucht?

Die routinemäßige Amputation der Vorhaut ist vor allem in den USA weitverbreitet, denn dort wird propagiert, dies würde vor Infektionen schützen oder es sei hygienischer, was wissenschaftlich mehrfach widerlegt wurde.

Ich kenne betroffene Männer aus der muslimischen als auch aus der jüdischen Community, die an den Folgen dieses Zwangseingriffs leiden, denn sie wollten diesen Eingriff nicht, ihnen gilt meine Solidarität. Unser Verein bietet Beratung und Aufklärung rund um das Thema der Phimose, der rituellen Vorhautamputation, sowie auch im Bereich der Wiederherstellung der Vorhaut an. Unsere Arbeit richtet sich dabei an alle Menschen, die sich an uns wenden, und wir treten allen Menschen mit derselben Grundhaltung entgegen und klären sie gleichermaßen auf.

Gibt es Erfolge, die der Verein durch sein Engagement bereits erzielen konnte?

Wir konnten beispielsweise in einem jüngsten Fall einem Vater helfen, der sich an uns mit der Bitte um Beratung gewandt hatte. Bei seinem Sohn wurde eine Phimose diagnostiziert und ein Arzt wollte bei dem Jungen eine Zirkumzision durchführen, also die Vorhaut entfernen.

Wir haben für seinen Sohn dann einen Arzt in seiner Wohngegend gefunden, der nach der aktuellen Leitlinie zur Phimose und Paraphimose der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendchirurgie arbeitet. Dieser Arzt hat dann von einer Operation dringend abgeraten. Das Kind konnte so vor einer unnötigen Operation geschützt werden.

Zentraler Punkt Ihres Anliegens ist letztlich die körperliche Unversehrtheit von Kindern. Zählt für Sie da beispielsweise auch dazu, wenn Kindern auf Wunsch der Eltern Ohrlöcher gestochen werden?

Zentrale Forderungen des Vereins sind die Achtung der Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, Menschenwürde, Religionsfreiheit und den Gleichheitsgrundsatz. Diese Rechte müssen für alle Kinder gleichermaßen gelten. Das Stechen von Ohrlöchern darf mit dem Thema der männlichen Genitalverstümmelung nicht verglichen werden und sollte auch nicht in einem Atemzug mit dieser erwähnt werden. Interview: Mathias Weinzierl

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