„Denkmal für die ganze Region“

von Redaktion

Siegi Maurer arbeitet hart daran, damit das Inntal sein Wahrzeichen zurückbekommt: Er schleppt uralte Steine, reinigt jeden einzelnen mit dem Hochdruckreiniger. Ein Besuch vor Ort – ein Jahr nach dem verheerenden Hangrutsch an der Burg Falkenstein.

Flintsbach – Es ist eine Baustelle mit Aussicht, auf der sich Siegi Maurer gerade buckelig plagt. Maurer, der auch Maurer ist und einen Betrieb in Brannenburg hat, steht auf der Ruine der Burg Falkenstein, der Himmel ist blau, der Blick reicht weit über das Inntal und die Berge. Vor dem drahtigen Mann mit grauem Haar steht eine Schubkarre, darin und drum herum liegen große Steine. „Die habe ich alle raufgeschleppt“, sagt Siegi Maurer und lacht: „Da sind die Arme lang auf d‘Nacht.“ Jetzt macht er die Steine mit dem Dampfstrahler sauber. Sie sind uralt, Teile der Burgmauer aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die vor einem Jahr spektakulär abgerutscht ist. Bald soll Flintsbach sein Wahrzeichen 50 Meter über dem Tal zurückbekommen. „Das ist mein Herzensanliegen“, sagt Maurer.

Heute vor einem
Jahr kam der Regen

3. Juni 2024. Seit Tagen regnet es in der Region – wie auch in anderen Teilen Bayerns – stark. Eine ältere Dame, die in einem der 15 Häuser im Ortsteil Falkenstein direkt unterhalb der Burgruine wohnt, aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, erinnert sich genau. „Der Bach war den ganzen Tag schon so voll“, sagt sie. Das Gewässer, eigentlich ein Rinnsal, verläuft vielleicht fünf Meter vor ihrer Haustür. Seit 1954 wohnt sie hier, den Blick auf die Burgruine mag sie gern, im Winter sind ihre Kinder und Enkel immer den Hang runtergerodelt. Plötzlich kracht es gewaltig an diesem Montagabend – „und dann kam die ganze Mauer runter“, erzählt die Seniorin. Eine Flutwelle, der ganze Hang samt Steinen aus der Mauer rutscht einen Meter vor ihrer Haustür vorbei. Fassungslos schauen sie und ihre Familie zu. Sie werden wie die anderen 50 Falkensteiner evakuiert, gehen erst mal zum Wirt, der eigentlich Ruhetag hat, aber aufsperrt. Die Nacht verbringt sie bei einem Sohn, der Rest der Familie kommt im Gasthof unter. Am nächsten Tag Entwarnung, sie dürfen heim. „Heute noch liegen große Brocken auf dem Weg“, sagt sie.

Es ist ein Kraftakt, den sie in Falkenstein vor sich haben. Dabei wurde die Burgruine, die man auch von der Inntalautobahn aus sieht, erst vor Kurzem saniert. Um den Verfall des Kulturdenkmals, das der Umwelt-, Kultur- und Sozialstiftung des Landkreises Rosenheim seit 2009 gehört, zu stoppen, wurde es bis 2020 für eine Million Euro saniert. Die Burg war um 1300 von dem herzoglich wittelsbachischen Pfleger von Hasslang erbaut worden, an der Stelle etwas bergauf gab es zuvor bereits eine Burganlage. Falkenstein war Sitz des bedeutenden und gleichnamigen Grafengeschlechts, wurde immer mal wieder zerstört und erneuert. Die Eigentümer wechselten, aber die Burg und später die Burgruine waren stets eng mit dem Dorf verbunden. Der Wirt hier heißt „Falkenstein“, wer von Flintsbach aus auf den Hohen Asten wandert, kommt an der Ruine vorbei. Wie viele Besucher im Jahr dort oben stehen und sich das Leben vor Hunderten von Jahren vorstellen, zählt niemand. „Aber die Burg ist ein Denkmal für die ganze Region“, sagt Stefan Forstmeier. Stefan Forstmeier ist Vorsitzender des Stiftungsvorstands, jetzt steht er auf dem Gerüst, das sie nach dem Erdrutsch über die abgebrochene Burgmauer gestellt haben. Es ist gewaltig, vier Ebenen, darüber ein Vlies. Damit sollte über den Winter verhindert werden, dass Wasser in die Mauerreste eindringt und bei Frost Steine sprengt. Hat gut funktioniert. Forstmeier schaut Richtung Dorf, eine Geröllschneise zieht sich durch die abschüssige Wiese unterhalb der Burg. „Ich denke manchmal, dass die Mauer ihren Zweck erfüllt hat: Sie hat die Menschen und ihre Häuser vor der Flutwelle geschützt, die da runtergekommen ist“, sagt er. „Ohne wäre es schlimmer gekommen.“ Aber jetzt geht es darum, die Burgruine möglichst originalgetreu aufzubauen.

Stefan Forstmeier führt gerade viele Gespräche. Es geht oft um Geld, die Stiftung braucht 90 Prozent Kostenerstattung durch den Freistaat – mindestens. Gerechnet wir mit 650000 Euro. Es gibt eine grundsätzliche Zusage, aber noch nicht über die Höhe. Das Landesamt für Denkmalschutz begleitet den Wiederaufbau, Mitarbeiter fanden sogar uralte Ofenkacheln und Teile einer alten Treppe ins Tal. Architekt Daniel Hoheneder begleitet die Restaurierung. Derzeit arbeitet er an einem sogenannten Muster: Er versucht herauszufinden, welche heute verfügbaren Materialien denen von früher am ähnlichsten sind. Damit baut er ein Stück Mauer nach. Das ist die Grundlage für die Ausschreibung. „Im Herbst wollen wir mit den Arbeiten starten“, sagt Forstmeier. Nächstes Jahr soll die Burgmauer wieder stehen.

Dann haben nicht nur die Wanderer, sondern auch die Anwohner ihren gewohnten Blick auf die Burg zurück. Die ältere Dame geht zurück in den Hauseingang, von der Wand nimmt sie ein Bild und hält es in Richtung Ruine. Der Stich zeigt „Schloß und Herrschafft Valckenstain“, eine beeindruckende Anlage. Längst vergangene Zeiten. Wenigstens ein Teil wird bald wieder so sein wie früher.

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