Brannenburg – Warum für etwas kämpfen, das doch schon da ist. Das ist möglicherweise das große Problem unserer Demokratie: Dass sie für die allermeisten unter uns schon immer da war, gleichsam als feststehende unveränderbare Größe. Für die „Initiative Erinnerungskultur“ ist es aber gerade heute offensichtlich: Demokratie ist nichts Statisches, sie muss von den Bürgern gewollt und gelebt werden, damit sie sich erhält.
Geradezu zwingend wird dieses Engagement, so die Überzeugung der Initiative, wenn man sich vor Augen führt, in welchem Zustand das demokratielose Deutschland in der Nazizeit war. Ein Mittel zur Erinnerung können die Stolpersteine sein, für die sich die Initiative einsetzt. Der jüngste dieser Stolpersteine im Landkreis wurde kürzlich in Brannenburg verlegt.
Im Räderwerk der Unterdrückung
Erinnert wird damit an Dr. Maximilian Mintz, 1867 geboren. Er war ein erfolgreicher und bedeutender Patentanwalt, der entscheidende Vorarbeiten für das heutige Patentrecht leistete. Und dank seiner Kenntnisse zu Zeiten der Weimarer Republik immer wieder als Sonderbeauftragter der Regierung tätig war. Sein Ziel: Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wieder zu einer gleichberechtigten Rolle unter den europäischen Mächten zu verhelfen. Der aber auch als Privatmann Gutes tun wollte, nicht zuletzt in Brannenburg, wo er sich Ende der 1920er-Jahre einen Wohnsitz schuf. Der sollte ein Hort für Kultur und Kunst sein, aber er setzte sich auch für die „einfachen Leute“ in der Gemeinde ein. So sind zahlreiche Tauf- und Firmpatenschaften verbürgt, ein Zeichen seiner Bemühungen den Ort und seine Zukunft zu fördern.
Es ist dies übrigens ein Kennzeichen der Stolpersteine, dass das Schicksal der Menschen, für die sie stehen, genau recherchiert wird. Für den Brannenburger Stolperstein übernahm diese Arbeit die Journalistin Johanna Bauer.
Für Dr. Maximilian Mintz ist dadurch klar ersichtlich: Er war nicht nur für die Weimarer Republik wichtig, sondern ein Menschenfreund. Und doch geriet er quasi über Nacht ins Räderwerk der Nazimaschinerie. Vor 1933 hatte ihm Degerndorf, heute ein Ortsteil Brannenburgs, noch die Ehrenbürgerwürde verliehen. Kurz darauf, mit der Machtergreifung durch die Nazis, war es mit den Ehrungen vorbei. Er sah sich Diffamierungen und Lügen ausgesetzt, sein Vermögen wurde eingefroren, eine Flucht außer Landes damit unmöglich. Und allerhöchstwahrscheinlich wäre er am Ende auch noch in ein Konzentrationslager verschleppt worden, wenn er nicht 1940 verstorben wäre, man vermutet durch eigene Hand. Seine einzige „Schuld“: er war Jude, wenn er auch aus Liebe zu seiner Frau Johanna 1899 zum katholischen Glauben übergetreten war.
Dass also auch hohes Ansehen und großes Renommée nicht mehr schützen, wenn die Grundlagen des Zusammenlebens, Anständigkeit, das Achten der Menschenwürde einmal ins Wanken geraten sind – das Schicksal von Dr. Maximilian Mintz macht es deutlich. Und es zeigt damit, dass dann absolut niemand vor Hass und Gewalt sicher ist.
Direkt vor
dem Rathaus
Daran zu erinnern ist die Aufgabe des Brannenburger Stolpersteins. Und eine Art späte Wiedergutmachung an Dr. Mintz ist es, dass der Gemeinderat dem Antrag der „Initiative Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim“ einstimmig und ohne Diskussion nachkam. Mehr noch: Der Stein ist nicht irgendwo versteckt eingelassen, sondern direkt beim Zugang zum Rathaus. „Dabei aber so“, wie Bürgermeister Matthias Jokisch bei der Verlegung vor rund 60 Teilnehmern sagte, „dass er zwar im unmittelbaren Blickfeld der Rathausbesucher liegt, man aber dennoch nicht auf ihm herumsteigen muss.“