Oberaudorf – Kinder spüren. Wohl mehr als wir, die wir erwachsen sind. Denn für Kinder ist dieses Spüren ein wichtiger Zugang zu ihrer Umwelt, bis diese direkte Verbindung allmählich durch den wachsenden Intellekt zurückgedrängt wird.
Von dieser Tatsache muss man ausgehen, wenn man begreifen will, wie Kinder wohl den Tod in ihrer nächsten Umgebung erleben: Als eine komplett aus den Fugen geratene Welt. Dabei ist noch nicht mal die Tatsache des Todes an sich das Schlimme, dass etwa Oma oder Opa nicht mehr da sind. Es ist vor allem, dass alle anderen nicht mehr die sind, die sie vor Kurzem noch waren.
Die Geborgenheit
geht verloren
Kinder spüren die Trauer, oft auch die Verzweiflung in ihrer Umgebung, haben das Gefühl, dass da eine unbekannte Macht in ihr Leben eingedrungen ist, die alle festen Bezugspunkte, auch alle festen Bezugspersonen verändert hat. Sie, die darauf angewiesen sind, dass es Bereiche im Leben gibt, in denen man sich aufgehoben und geborgen fühlen kann, empfinden das plötzliche Fehlen eines solchen Rückzugsortes als besonders schlimm.
Reden würde helfen, doch da ist das Problem, dass man nicht weiß, was man sagen soll. Jeder kennt ja diesen Moment: Da ist jemand gestorben und man möchte den Angehörigen helfen, ihnen zumindest sein Beileid aussprechen – doch man fühlt sich mit einem Mal ganz und gar sprachlos. Gegenüber Kindern ist dieses Gefühl noch einmal schlimmer – wie jemandem gegenübertreten, von dem man nicht wirklich weiß, wie er diese Situation empfindet?
Helfen will hier der Trostkoffer, der in immer mehr Büchereien des Landkreises schon vorgehalten wird oder demnächst zur Verfügung stehen soll. So ab sofort auch in der Bücherei in Oberaudorf. Es handelt sich um einen Koffer voller Kinderbücher, die von den jeweiligen Büchereien sorgfältig ausgewählt sind und sich deshalb wirklich kindgerecht mit dem Thema Tod befassen. Sie sind quasi Hilfe für die Kinder wie die Erwachsenen gleichermaßen. Denn wer zusammen mit dem Kind Bilderbuch anschaut oder vorliest, findet ein helfendes Sprachrohr und damit allmählich auch zur eigenen Sprache zurück. Und für alle, die schon selbst lesen können, helfen sie zu verstehen. Vor allem aber auch, das unbestimmte Gefühl des Bedrohtseins und der Angst in Fragen überführen. Fragen die den damit konfrontierten Erwachsenen wiederum leichter das Reden ermöglichen.
„Denn reden und zur Sprache zurückzufinden“, sagt Martina Mauder, Pastoralreferentin in Oberaudorf, die im Landkreis eine der treibenden Kräfte hinter der Trostkofferidee ist, „bleibt das Entscheidende in einem bewussten Umgang mit dem Tod“. Die allgemeine Sprachlosigkeit, anderen aber auch sich selbst gegenüber, die sich in unserem täglichen Leben schleichend zu verstärken scheine, trete da besonders auffällig zutage.
Eben deshalb, so meinen Martina Mauder und Karin Obwieser, die Leiterin der Oberaudorfer Bücherei, ist der Trostkoffer eine wertvolle Hilfe auch für alle Erwachsenen, gerade auch für die durch den Todesfall unmittelbar Betroffenen. Denn im Gespräch mit denen, die nicht nur für die Zukunft stehen, sondern die die Zukunft selbst sind, ist es immerhin zu spüren: Das Leben wird und kann trotz allem weitergehen.
Die bisherige Erfahrung mit den Trostkoffern zeigt zudem, dass sie auch denen helfen, die von Berufs wegen mit Kindern umgehen, wie Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher in Kindergärten und Horten. Auch sie, so Martina Mauder, sind offenbar dankbar für den Koffer und seine Bücher: Denn diese helfen auch ihnen bei der Suche nach dem richtigen Umgang mit betroffenen Kindern.
Charlie ist zum
Kuscheln da
Und noch etwas gehört zum Koffer, das keineswegs vergessen werden darf: Es ist Charlie, der Trösteengel. Denn so wichtig das Reden für Kinder auch ist, mindestens ebenso wichtig ist ein Gegenüber das sich drücken, herzen, mit dem sich kuscheln lässt. Dieser Charlie darf in der Familie bleiben, möglich wird dies durch Freiwillige, die ihn nähen und andere, die das Material dafür spendieren. In Oberaudorf war dies die Frauengemeinschaft.
Wer nun mehr über den Koffer wissen will – die Oberaudorfer Bücherei hat Dienstag und Donnerstag von 15.45 bis 18 Uhr und am Sonntag von 9.30 bis 12 Uhr geöffnet.