Wasserburg – Angst ist ein lebenswichtiges Warnsignal – doch wenn sie plötzlich und mit extremer Intensität auftritt, kann sie krank machen. Was im Körper bei Panikattacken geschieht und wie man in einer solchen Situation richtig reagiert, erklärt Professor Dr. Peter Zwanzger vom kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg zum heutigen Internationalen Tag der Panik.
Kein Zeichen
von Schwäche
„Angst ist ein Grundgefühl des Menschen – wie Freude, Trauer oder Wut. Sie ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein hochwirksames Alarmsystem, das uns seit Urzeiten vor Gefahren schützt. Doch wenn dieses System fehlreguliert ist, kann Angst auch krank machen – vor allem dann, wenn sie plötzlich, ohne erkennbare Ursache und mit massiver körperlicher Intensität auftritt. Dann sprechen wir von Panik. Und wenn dies gehäuft geschieht und den Lebensalltag der Betroffenen spürbar einschränkt, dann sprechen wir von einer Panikstörung“, erklärt Professor Zwanzger.
Ein Beispiel: „Stellen Sie sich vor, Sie gehen im Wald spazieren und hören plötzlich ein lautes Rascheln. Innerhalb eines Augenblicks reagiert Ihr Körper: Das Herz schlägt schneller, die Atmung beschleunigt sich, Muskeln spannen sich an – Sie sind bereit, zu kämpfen, zu fliehen oder sich starr zu verhalten. Diese sogenannte „Fight-, Flight- oder Freeze“-Reaktion (Kampf, Flucht oder Erstarren) ist tief in unseren neurologischen Schaltkreisen verankert – insbesondere im limbischen System, wo die Amygdala als „Gefahrenmelder“ fungiert“, erklärt der Experte.
Diese Form von Angst sei lebenswichtig. „Sie hilft, Risiken zu erkennen und entsprechend zu handeln – sei es im Straßenverkehr, bei schwierigen Entscheidungen oder in sozialen Situationen. Angst schützt. Doch sie kann auch entgleisen“, weiß Professor Zwanzger.
Panik unterscheide sich von „normaler“ Angst. „Sie tritt unvermittelt auf, ohne dass ein erkennbarer Auslöser vorhanden ist. Die Betroffenen erleben Symptome, die sich bedrohlich anfühlen: Herzrasen, Beklemmungsgefühle, Atemnot, Zittern, Schwindel, Hitzewallungen, das Gefühl, ohnmächtig zu werden oder zu sterben“, erklärt er. „Ein weiteres Beispiel: Die 28-jährige Lisa sitzt in der U-Bahn, auf dem Weg zur Arbeit. Plötzlich fühlt sie sich, als würde ihr die Luft abgeschnürt. Ihr Herz rast, sie hat das Gefühl, gleich zusammenzubrechen. In Panik steigt sie an der nächsten Station aus und ruft den Notarzt. Körperlich ist alles in Ordnung – doch Lisa hat gerade ihre erste Panikattacke erlebt“, sagt der Wasserburger Experte.
„Solche Attacken dauern in der Regel nur wenige Minuten – wirken aber wie eine Ewigkeit. Und sie hinterlassen Spuren: Die Angst, dass es erneut passiert, wächst. Viele beginnen, bestimmte Situationen zu vermeiden: öffentliche Verkehrsmittel, große Plätze, enge Räume, Reisen – selbst der Gang zum Supermarkt kann zum Problem werden. Wenn sich Angst also vermeintlich grundlos zu Panikanfällen steigert, dies wiederholt geschieht, dadurch das Leben spürbar eingeschränkt wird und auch keine körperlichen Ursachen vorliegen, liegt sehr wahrscheinlich die Diagnose einer Panikstörung vor“, erklärt Professor Zwanzger.
Panikstörungen würden zu den häufigeren psychischen Erkrankungen zählen. Schätzungsweise zwei bis drei Prozent der Bevölkerung seien betroffen, Frauen häufiger als Männer. Die Erkrankung beginne meist im jungen Erwachsenenalter. „Und sie bleibt oft lange unerkannt – nicht zuletzt, weil die Symptome stark körperlich sind und zunächst fälschlich für Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen gehalten werden. Oft begeben sich Betroffene zunächst auf eine Odyssee zu unterschiedlichen Fachärzten wie Kardiologen, Endokrinologen oder Neurologen, ehe schließlich eine psychologische Ursache erkannt und behandelt wird“, weiß der Experte.
„Die Entstehung von Panikstörungen ist komplex. Biologische Faktoren – etwa eine erhöhte Sensibilität gegenüber körpereigenen Signalen oder eine niedrigere Reizschwelle der Chemorezeptoren im Gehirn für Kohlenstoffdioxid in der Atemluft – spielen ebenso eine Rolle wie Lernerfahrungen oder dauerhafter Stress“, erklärt er. „Viele Betroffene beschreiben eine ‚Katastrophenbrille‘: Ein harmloser Körperreiz wie ein schneller Herzschlag wird als Vorbote eines Infarkts gedeutet. Diese Fehlinterpretation verstärkt die Angst – ein Teufelskreis, der immer enger wird.“
Professor Zwanzger kann aber Entwarnung geben für Betroffene: „Panikstörungen sind sehr gut behandelbar“, betont er. An erster Stelle stehe die kognitive Verhaltenstherapie, die auf die Erkennung und Veränderung angstfördernder Denkmuster abziele.
Ein zentraler Bestandteil sei die sogenannte Exposition: das bewusste Erleben von Situationen, die bisher vermieden wurden – in sicherem therapeutischen Rahmen. „So lernt das Gehirn: Die Situation ist nicht gefährlich, die körperlichen Symptome sind unangenehm, aber nicht bedrohlich. In schwereren Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung mit modernen Antidepressiva, wie beispielsweise SSRI, hilfreich sein – nicht, weil die Patientinnen und Patienten ‚depressiv‘ sind, sondern weil diese Medikamente gezielt in das überaktive Angstnetzwerk eingreifen“, erklärt der Ärztliche Direktor.
Ergänzend würden Atemtechniken, progressive Muskelentspannung, Achtsamkeit oder auch Biofeedback helfen, um den eigenen Körper wieder als verlässlich zu erleben. „Wichtig ist: Hilfe ist möglich – und der Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben offen“, verdeutlicht er.
Wege aus
der Spirale
„Im Buch ‚Das Alphabet der Angst‘, das ich mit Professor Dr. Dr. med. Katharina Domschke kürzlich veröffentlicht habe, haben wir es so formuliert: Solange Angst namenlos bleibt, wirkt sie mächtig. Sobald wir aber verstehen, was mit uns geschieht, verliert sie ihren Schrecken. Angst lässt sich behandeln. Panik lässt sich bewältigen. Es gibt Wege aus der Spirale – evidenzbasiert, individuell und erfolgreich. Wer sich der Angst stellt, ist nicht schwach – sondern mutig. Und wer Hilfe annimmt, übernimmt Verantwortung für sich und sein Leben“, schließt der Experte.