„Äußerst fragwürdig“

von Redaktion

Anwalt der Gemeinde Rott empört über Entscheidung zur Flüchtlingsunterkunft

Rott – „Fragwürdig“, „kurios“, „unverständlich“: So bezeichnete Jürgen Greß von der Anwaltskanzlei hgrs in München die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts, den Eilantrag von Rott gegen die geplante Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete abzulehnen. Seit geraumer Zeit vertritt Greß die Gemeinde in Sachen „Sammelunterkunft für Geflüchtete im Gewerbegebiet am Eckfeld“ und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts löste bei ihm nur noch Kopfschütteln aus. Das wurde auch in der Sondersitzung des Rotter Gemeinderats zu dieser Thematik am vergangenen Montag deutlich.

Keine Entscheidung
in der Hauptsache

Das Gericht hatte mit Beschluss vom 4. Juni den Eilantrag der Gemeinde abgelehnt. Mit diesem hatte Rott eine „Anordnung der aufschiebenden Wirkung“ erzielen wollen und gehofft, so den Einzug von Geflüchteten zu verhindern, also die Umsetzung der Baugenehmigung hinauszögern zu können.

Über die Klage selbst, im Juristischen spricht man hier vom „Hauptsacheverfahren“, ist noch nicht entschieden. Da der Eilantrag aber abgelehnt wurde, scheint es unwahrscheinlich, dass Rotts Klage gegen die Unterkunft noch erfolgreich sein wird. Auch das Verwaltungsgericht hatte auf Anfrage der Wasserburger Zeitung bereits bestätigt, dass sie „voraussichtlich keinen Erfolg“ haben werde.

Argumente nicht
berücksichtigt

All das sorgte nun aber bei Anwalt Greß für großes Stirnrunzeln. Denn seiner Meinung nach habe das Gericht die Argumente gegen die Flüchtlingsunterkunft „überhaupt nicht berücksichtigt“, so Greß. Stattdessen seien im Wesentlichen die Überzeugungen des Landratsamts und der Regierung von Oberbayern übernommen worden. „Und das halte ich für eine äußerst fragwürdige Entscheidung“, erklärte der Anwalt.

Das Gericht habe kaum berücksichtigt, dass eine Betriebsbeschreibung für die Flüchtlingsunterkunft – also wie der Ablauf, beispielsweise in Sachen Verpflegung, Sanitär und Hygiene, sein soll – beinahe gänzlich fehle. Auch sei in „keinster Weise berücksichtigt worden“, welche „massiven Anstrengungen“ die Gemeinde unternommen habe, um Alternativgrundstücke für eine Flüchtlingsunterkunft zu finden.

Knappe
Wasserversorgung

„Kurios“ fand Greß zudem den Umgang bezüglich der knappen Wasserversorgung. So habe sich das Gericht auf die derzeit hohen Grundwasserstände bezogen. „Eine gesicherte Wasserversorgung sieht für mich allerdings anders aus. In einem halben Jahr könnten die Grundwasserstände wieder sinken“, meinte Greß. „Diese Entscheidung kann man so nicht akzeptieren“, argumentierte er.

„Noch unverständlicher“ sei für ihn allerdings die Bewertung des lückenhaften Brandschutzes. Dieses Sicherheitsproblem habe das Gericht abgetan mit der Argumentation, dass dies nichts mit „bodenrechtlichen Argumenten“ zu tun habe. Somit sei es nicht klagerelevant und würde damit auch keine Rolle für die Gemeinde spielen. Tatsache sei aber: Die Kommune müsste für den Brandschutz aufkommen, zudem würden durch den mangelhaften Schutz auch umliegende Grundstücke gefährdet, also habe dies „sehr wohl“ eine bodenrechtliche Auswirkung, fand der Anwalt.

Auch die eingeschränkten Planungsmöglichkeiten beim Baugebiet „Rotter Feld-Meiling“ hätte das Gericht kaum berücksichtigt. Diese Einschränkung habe das Gericht mit Verweis auf den befristeten Bauantrag abgetan und damit argumentiert, dass in diesem Baugebiet in den nächsten 3,5 Jahren ohnehin keine Gebäude entstehen würden.

Planungen schreiten
zügig voran

„Warum sie zu diesem Schluss kommen, ist unklar“, meinte Greß. Schließlich würden die Planungen für das Baugebiet sehr zügig voranschreiten und eine Veräußerung der Grundstücke stünde bald bevor.

Auch die Veränderungssperre, die derzeit über den Plänen für das Gewerbegebiet „Am Eckfeld“ liegt, habe das Gericht nicht als ausschlaggebendes Argument gegen die Flüchtlingsunterkunft angesehen, so der Anwalt.

Sinkende Zahlen
außer Acht gelassen

Die Sperre könne nur ausgehebelt werden, wenn eine Dringlichkeit für die Schaffung von Flüchtlingsunterkünften bestehe. Das Gericht habe die Dringlichkeit vor allem damit begründet, dass der Landkreis Rosenheim derzeit eine Untererfüllung der Quoten zur Unterbringung von Asylbewerbern vorweist. „Diese Quote wird wohl derzeit nur zu 75 Prozent erfüllt“, meinte Greß.

Nach Ansicht des Gerichts sei damit die Dringlichkeit automatisch gegeben, ganz egal, ob der Landkreis andere Anstrengungen unternommen habe, um Unterkünfte zu schaffen, kritisierte Greß. „Außer Acht gelassen wurden auch die drastisch sinkenden Zugangszahlen von Geflüchteten“, so Greß. Dies sei abgetan worden mit Verweis auf die vielen Flüchtlinge, die bereits im Land sind. „Dass es sich in Rott um eine Erstaufnahmeeinrichtung handelt, hat das Gericht in diesem Zusammenhang wohl nicht verstanden“, beanstandete Greß. Am Ende empfahl der Anwalt dem Gemeinderat „dringendst“, Beschwerde gegen den Beschluss auf der nächsthöheren Instanz, also dem Verwaltungsgerichtshof, einzulegen. Bis 7. Juli habe die Kommune Zeit, diese zu begründen. Mit einer Entscheidung sei wohl in den nächsten vier bis acht Wochen zu rechnen, wie Greß auf Anfrage von Matthias Eggerl (CSU) erklärte.

Bis dahin herrscht laut dem Anwalt allerdings „keine aufschiebende Wirkung“. Das Landratsamt könne also die Baugenehmigung umsetzen und Geflüchtete in die Halle einziehen lassen. „Diese Entscheidung werden sie wohl nicht abwarten“, meinte Bürgermeister Daniel Wendrock (parteifrei). Auch gegenüber der Wasserburger Zeitung hatte das Landratsamt von einem Einzugsdatum Anfang bis Mitte Juli gesprochen.

Hans Gilg (Bürger für Rott) sah die Beschwerde aber dennoch als notwendig an. „Wenn wir nachgeben, haben wir ganz verloren“, meinte er und erinnerte an die Forderung eines zweiten Quecksilbergutachtens.

Zweites Gutachten soll kommen

Der Anwalt sah jedoch wenig Chancen, den Verwaltungsgerichtshof mit diesem Argument zu überzeugen. „Das Verwaltungsgericht hat sich auf das vorliegende Gutachten gestützt“, meinte Greß. „Ich sehe tatsächlich auch wenig Möglichkeiten, die nächste Instanz zu einer anderen Entscheidung zu bringen. Aber natürlich werden wir das noch mal vorbringen“, so Greß.

Wendrock verwies darauf, dass „wohl ein zweites Gutachten kommen soll“. Das habe sowohl der Innenminister als auch das Landratsamt Rosenheim ihm gegenüber so angegeben. „Wann das der Fall sein wird, kann ich aber nicht sagen.“

Eggerl fragte nach, ob auch die Kosten für eine Beschwerde von der Rechtsschutzversicherung getragen werden. Greß bestätigte dies zwar, verwies allerdings auf den geringen Streitwert. Dieser liege bei 7500 Euro. „Daran orientiert sich auch der Zuschuss der Versicherung“, meinte Greß.

Kosten trägt die Gemeinde selbst

Das bedeutet: Den Großteil der Kosten müsse die Gemeinde selbst tragen, denn schon jetzt würden die Arbeitsstunden der Kanzlei die Versicherungsleistung übersteigen.

Und auch wenn die Gemeinde schlussendlich gewinnen sollte, müsste das Landratsamt nur den Streitwert erstatten. Max Zangerl (Bürger für Rott) bat daraufhin, auch den Streitwert anzufechten, denn dieser erscheine ihm „aberwitzig gering.“

Schlussendlich beschloss das Gremium einstimmig, die letzte Chance gegen die Flüchtlingsunterkunft zu ergreifen und Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof einzulegen.

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