Frasdorf – Fünf Minuten Zeitersparnis für Urlaubsreisende auf der einen Seite. Auf der anderen ein Dorf, in dem nichts mehr geht: kein Rettungsdienst, kein Schulweg, kein Einkauf. Die Frasdorfer haben es satt. Der Name ihrer neuen Bürgerinitiative ist Programm: „Staufreies Dorf – Bleibt auf der Autobahn“.
Es war der Unfall eines kleinen Buben, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er wurde vor einer Grundstückseinfahrt in Frasdorf von einem Auto erfasst. Glücklicherweise befindet sich die Feuerwehr ganz in der Nähe des Unfallorts. Hier wurde der Bub sofort versorgt. „Aber es hat ewig gedauert, ehe ein Rettungswagen da war, weil er einfach nicht durch den Stau auf der Landstraße kam“, erinnert sich Maximilian Keil. Der Frasdorfer ist bei Feuerwehr und BRK aktiv. Jetzt engagiert er sich in der Bürgerinitiative „Staufreies Dorf – Bleibt auf der Autobahn“, denn: „Bei Stau auf der Autobahn geht unser Dorf im Ausweichverkehr unter. Wir sind enttäuscht, dass die Politik nicht hinter uns steht.“
Für ein paar Minuten Zeitersparnis
Am 1. Mai – am Tag nach dem Unfall – haben die Frasdorfer den Ausweichverkehr in einer spontanen Aktion gedrosselt und die Pkw-Fahrer gefragt, warum sie von der Autobahn abfahren: „Weil ihnen das Navi gesagt hat, dass sie ein paar Minuten einsparen, wenn sie die Landstraße nehmen“, berichtet Keil. Die Umleitungsstrecke zwischen Achenmühle und Frasdorf ist besonders bequem, führt parallel an der Autobahn entlang. „Doch als Umleitung darf sie eigentlich nur dann genutzt werden, wenn die Autobahn wegen eines Unfalls gesperrt ist“, macht Keil klar.
Doch die Navigation-KI schickt die Autofahrer auch bei Staus auf die Landstraße. Wer in Rohrdorf oder Achenmühle abfährt, kommt über die Hauptstraße nach Frasdorf. Wer den Schleichweg über Höhenmoos und Ginnerting kennt, steht schließlich auf der Simsseestraße in Frasdorf im Stau. Der Ort ist vom Ausweichverkehr der Autobahn besonders betroffen. Das öffentliche Leben kommt zum Erliegen. Die Bauern können ihre Ernte nicht einbringen. Einkäufe im wenige hundert Meter entfernten Supermarkt dauern Stunden. Doch das Schlimmste: Die Sicherheit der Frasdorfer ist gefährdet. Die Rettungskräfte kommen nur noch mit dem Fahrrad zum Einsatz.
Die Bürgerinitiative „Staufreies Dorf – Bleibt auf der Autobahn“ findet große Resonanz. Bei 350 Frasdorfern. Und bei den Bürgern der Gemeinden, die genauso unter dem Ausweichverkehr leiden. „Das fängt schon am Irschenberg an und betrifft im südöstlichen Landkreis Rosenheim die Chiemgau-Gemeinden an der A8 genauso wie die Inntal-Gemeinden an der A93“, beschreibt Keil. Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden wandten sich ans bayerische Verkehrsministerium, damit die Fahrzeuge bei Stau auf der Autobahn bleiben. Sie sind gescheitert. „Bei Staus aufgrund von Unfällen hat kein Mensch etwas dagegen, wenn die Leute von der Autobahn abgeleitet werden und die Bedarfsumleitung über die Landstraße nutzen“, sagt Feuerwehrler Keil.
Anders verhält es sich aber, wenn es um Staus durch Baustellen und darum geht, Zeit im Transitverkehr zu sparen. Die Bürgerinitiative will sich für Alternativen starkmachen, denn: „Das Problem muss gelöst werden und kann nicht auf dem Rücken der Anrainer ausgetragen werden.“
Das österreichische Bundesland Tirol macht es vor. Es schützt die Anwohner in seinen Autobahngemeinden. Auch für 2025 gelten für durchreisende Autofahrer wieder Abfahrverbote. Unter anderem an der Inntalautobahn. Sie gelten bis November an allen Samstagen, Sonntagen und Feiertagen, jeweils von 7 bis 19 Uhr. Der Verkehr wird auch bei Staus auf den Autobahnen und Hauptrouten gehalten. Genau das wünschen sich auch die Nachbarn in Deutschland.
Keine Rechtsgrundlage?
„Eine rechtliche Grundlage für die Sperrung von Anschlussstellen ist in der deutschen Straßenverkehrsordnung nicht vorhanden“, erklärt Josef Seebacher, Sprecher der Autobahn GmbH, auf OVB-Anfrage. Zu bedenken sei auch, dass die Sperrung einer Anschlussstelle für alle Fahrzeuge gelten würde – auch für lokale Lieferverkehre oder die lokale Wirtschaft. In Österreich ist das anders: Reisende vor Ort sind von den Fahrverboten nicht betroffen. Die Autobahn GmbH sieht aber auch die Gefahr, dass die Anschlussstelle dann nicht nur für aus-, sondern auch für einfahrende Fahrzeuge gesperrt werden müsste, denn: „Gefahrensituationen wären vorprogrammiert, denn man müsste damit rechnen, dass abfahrtswillige Verkehrsteilnehmer versuchen werden, verbotswidrig über den Auffahrtsast abzufahren“, schätzt der Autobahn-Sprecher ein.
Zudem sei es grundsätzlich jedem Verkehrsteilnehmer erlaubt, jede öffentliche Straße zu nutzen. „Eine Differenzierung in Gemeindebürger, Nachbargemeindebürger, Landkreisbürger, Touristen, Mitarbeiter oder Kunden ist in der Realität nicht möglich. Von der rechtlichen Unmöglichkeit einmal abgesehen, wäre sie auch für die Polizei nicht kontrollierbar“, betont die Autobahn GmbH. Zudem gebe es ein weiteres Problem: Bei der Sperrung einer Anschlussstelle müsste die gesamte Beschilderung auf der Autobahn und auf den zur Autobahn hinführenden Straßen geändert und angepasst werden. „Auch eine Umleitungsbeschilderung für den Verkehr, der nicht mehr von der Autobahn ab- oder auf die Autobahn auffahren kann, müsste aufgestellt werden. Und dann würden die Autofahrer vermutlich wieder auf die bereits ausgewiesenen Bedarfsumleitungen zurückgreifen“, vermutet Josef Seebacher.
Gutachten
macht Hoffnung
Gibt es also keine Lösung für die Anrainergemeinden der A8 und A93? Das Gutachten, das die Gemeinden Nußdorf und Neubeuern im Jahr 2022 in Auftrag gegeben hatten, macht den Anrainern der Autobahn ein wenig Hoffnung. Zwar ging es dabei um Durchfahrtsverbote für schwere Lkw. Entscheidend sind aber die rechtlichen Grundlagen: „Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass allen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassenen Fahrzeugkategorien der Gebrauch der Straßen im Rahmen der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet ist“, heißt es dort.
In bestimmten Fällen könne gemäß Paragraf 45 Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken von der zuständigen Straßenverkehrsbehörde beschränkt oder verboten werden, wenn dies insbesondere aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs erforderlich scheint, stellen die Gutachter fest. Verkehrsverbote dürften aber nur dann angeordnet werden, „wenn eine Gefahrenlage besteht, die das üblicherweise erwartbare Ausmaß einer Beeinträchtigung der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs erheblich übersteigt oder wenn es der Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen erfordert“.
Für die Autobahnen in Deutschland ist das Fernstraßen-Bundesamt (FBA) zuständig. Die zuständige Straßenverkehrsbehörde ist die Autobahn GmbH. Sie bearbeitet demnach auch Anträge auf den Erlass von verkehrsrechtlichen Anordnungen. „Fakt ist, dass eine Lösung gefunden werden muss“, sagt die Bürgerinitiative „Staufreies Dorf – Bleibt auf der Autobahn“. Und zwar nicht erst, wenn die A8 zwischen Achenmühle und Bernauer Berg ausgebaut wird, sondern so schnell wie möglich.
BI startet Online-Petition
Die Bürgerinitiative hat am 23. Juni eine Online-Petition gestartet. Sie ist zu finden unter www.change. org/p/schutz-unserer-gemeinden-vor-ausweichverkehr. Innerhalb von nur zwei Tagen unterzeichneten bereits 400 Menschen. Damit unterstützen sie das Anliegen der Frasdorfer BI: „Für sichere Orte, klare Verkehrsregelungen, den Schutz der Lebensqualität in unseren Gemeinden.“
Kundgebung
am 11. Juli
Mit einer Kundgebung am Freitag, 11. Juli, ab 19 Uhr, am Rathausplatz in Frasdorf wollen Bürger die Politik ins Boot holen und in einer Podiumsdiskussion mit Landtagsabgeordneten und kommunalen Mandatsträger die Auswirkungen des Ausweichverkehrs auf die Menschen in den Dörfern und mögliche Lösungen diskutieren. Der Frasdorfer Kreisrat Helmut Freund (Bayernpartei) hat auch Vertreter des Bundesverkehrsministeriums eingeladen: „Es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn der Bund präsent wäre.“