Eggstätt – Familie Hering ist vom Personalnotstand in der Pflege betroffen: Vor 45 Jahren haben sich Bernhard (78) und Sofie (73) mit ihrem kleinen Fachpflegeheim einen Traum erfüllt. Weil Fachkräfte fehlen, ist ihre Eggstätter Seniorenfamilie nun gefährdet. Wie eine Rettung möglich wäre.
Seit 42 Jahren betreiben Bernhard und Sofie Hering ihr beschützendes Fachpflegeheim in Eggstätt als Familienbetrieb. Sie ist Altenpflegerin. Er gerontopsychiatrische Pflegefachkraft. Vor 14 Jahren stiegen auch Sohn Sven und seine Ehefrau Camelia mit ein. Er leitet bis heute das Fachpflegeheim, sie die Pflege. Alle sind zugleich Köche, Hausmeister und Gärtner. Zum Team gehören derzeit sieben Mitarbeiter. Die Seniorenfamilie ist klein und besonders beschützt. Im Fachpflegeheim leben neun Menschen, die an einer Demenzerkrankung leiden und hohe Pflegegrade haben. Doch schon bald könnten sie ihr besonderes Zuhause verlieren.
Gründer schufen ein
besonderes Domizil
Vor 45 Jahren haben die Gründer – Sofie und Bernhard Hering – mit viel Mühe und Liebe zum Detail ein besonderes Domizil für ihre Seniorenfamilie geschaffen. „Wir wollten nach Südtiroler Vorbild ein Zuhause zum Wohlfühlen bauen“, erzählen die Beiden. Sie gehören zu den Vorreitern der individuellen Pflege in familiär ausgerichteten, gerontopsychiatrischen Wohngruppen, kümmern sich um betagte Menschen, die an psychischen Erkrankungen wie Demenz leiden.
Vor 45 Jahren haben sie dafür in Eggstätt ein besonderes Haus gebaut. Mit viel Liebe zum Detail, mit viel Holz und Natursteinen. Mit weiß verputzter Fassade, Sprossenfenstern, einem weit vorspringenden Satteldach, mit großen Holzbalkonen und Blumenkästen. „Manche Fenstergewände sind aus Adneter Marmor“, sagen die Herings, denn als Bauherren haben sie jedes Detail bewusst ausgewählt.
Es sind historische Bauelemente, die dem Haus seinen besonderen Charme geben. Die Herings retteten sie aus betagten, zum Abriss bestimmten Gebäuden. Die Bundwerkverzierung an der Fassade stammt aus einem alten Bauernhof. Die schwere Haustür mit Renaissance-Granitstock bargen sie aus einem abgebrannten Schloss in Südtirol. Alte Granitsäulen stützen das Kreuzgewölbe im Eingangsbereich, das sie selbst konstruierten. Jeden einzelnen Deckenholzbalken bauten sie in Abrisshäusern aus und setzten ihn saniert in ihrem Eggstätter Traumhaus ein. Die Zimmertüren, gefertigt in Südtirol, sind aus Zirbelkiefer und verströmen auch nach 45 Jahren noch ihren wohltuenden Duft.
Das Haus verfügt über Grundwasserwärmepumpe und Solaranlage. Es ist von einem Garten mit Wasserspiel, Grillkamin, viel Grün, Kinderschaukel und gemütlichen Sitzecken umgeben. Antiquitäten wie Skulpturen, Ölgemälde oder historische Möbel schaffen in allen Bereichen eine besondere Atmosphäre. Und zu jedem Stück können die Erbauer des Hauses eine Geschichte erzählen. Bernhard und Sofie Hering sind stolz auf das, was sie mit eigenen Händen geschaffen haben: „Ein Wohlfühlhaus im Stile eines traditionellen Südtiroler Bauernhauses, in dem ältere, pflegebedürftige Menschen ihren Lebensabend wie einen Urlaub genießen können.“
Seit 42 Jahren leben sie ihren Traum, sind rund um die Uhr für ihre Bewohner da. Doch nun bedroht der Fachkräftemangel in der Pflege ihre Seniorenfamilie. „Wir haben seit einigen Jahren Probleme, neues Personal zu gewinnen, wenn Mitarbeiter in Rente gehen, Kinder bekommen oder wegziehen“, erklärt Familie Hering.
Personalmangel und
zu viel Bürokratie
Obwohl sie ihren Mitarbeitern das durchschnittliche Gehalt der Branche zahlen, gleicht die Suche nach Fachkräften einem Kampf gegen Windmühlen. „Es gibt einfach nicht genügend Fachkräfte. Die Regierung hat es über Jahrzehnte verschlafen, der Pflege höchste Priorität einzuräumen“, kritisiert Bernhard Hering. „Jetzt ist es zu spät.“
Die Herings bemühen sich seit Jahren darum, qualifiziertes Pflegepersonal auch aus Osteuropa nach Eggstätt zu holen. Sie halten Mitarbeiterwohnungen vor, kümmern sich um alle Papiere. „Doch es dauert oft zwei Jahre, ehe Visum und Arbeitserlaubnis erteilt sind“, berichtet Sven Hering. Auch in der Pflege selbst sei überbordende Bürokratie „das größte Hindernis“. Selbst die neue „Anerkennungspartnerschaft“, durch die berufliche Anerkennungsverfahren nicht vor, sondern mit der Einreise in Deutschland beginnen, habe die Situation nicht wirklich entspannt.
Um ihre Seniorenfamilie trotzdem gut zu versorgen, ist Familie Hering auch im Rentenalter noch im Einsatz. Sofie (73) kocht täglich frisch: Auch der angenehme Duft nach einem guten Mittagessen gehört zum Wohlfühlkonzept einer familiennahen Pflege. Bernhard (78) übernimmt die Nachtwache. Allmählich aber gehen ihre Kräfte zur Neige. Doch wenn Bernhard als gerontopsychiatrische Fachkraft nicht mehr da ist, verliert das kleine Demenzheim seinen Status für die spezielle, gerontopsychiatrische Betriebserlaubnis. Sohn Sven und seine Frau möchten sich beruflich verändern. „Deshalb suchen wir dringend geeignete Nachfolger für unsere Einrichtung“, erklären die Gründer des Hauses. Sie haben schon bei Wohlfahrtsverbänden in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein angefragt, ob sie die Einrichtung übernehmen möchten. Aber den Großen ist das Projekt offenbar zu klein.
Auch das Landratsamt hat keine Lösung. „Es könnte uns nur dabei helfen, für unsere Bewohner neue Heimplätze zu finden“, sagt Bernhard Hering. „Doch die Bewohner leben seit vielen Jahren bei uns. Es ist ihr Zuhause.“ Deshalb suchen die Herings nach einer Lösung. Sie möchten ihr beschützendes Fachpflegeheim übergeben. In die Hände von jungen Pflegefachkräften, die den betagten Menschen einen schönen Lebensabend in gemütlicher Atmosphäre ermöglichen wollen. So wie sie es mit ihrem Team 42 Jahre lang gemacht haben.
Einmalige Chance für
ein neues Pflegeteam
„Vielleicht gibt es ja ein Pflegeteam mit Spezialisierungen in Gerontopsychiatrie und Pflegedienstleitung, das sich gut versteht, und gemeinsam unsere Seniorenfamilie hier in Eggstätt in selbstständiger Verantwortung weiterführen möchte“, wünschen sie sich das scheinbar Unmögliche. Sie geben die Hoffnung nicht auf. „Wir würden das Haus verpachten, auf Wunsch aber auch verkaufen. Hauptsache ist, dass es weitergeht.“ Wohnungen für ihre Nachfolger könnten sie in Eggstätt anbieten oder vermitteln.
Wenn alle Bemühungen vergebens sein sollten, könnten sich Bernhard und Sofie Hering für das hotelartige Gebäude auch andere Nutzungen vorstellen: Eine Wohngemeinschaft für rüstige Senioren vielleicht. Oder eine ambulant betreute Wohngemeinschaft. Eine WG für berufstätige Menschen mit Behinderung oder solche, die sich bereits in Rente befinden. Oder eine Unterkunft für geflüchtete Mütter mit ihren Kindern. „Unser größter Wunsch ist, dass in diesem Haus auch künftig soziales Engagement gelebt wird“, sagen sie und hoffen, dass sich Menschen finden, die eine Zukunft in diesem Sinn gestalten wollen.